Eine Million abgeschrieben

Eine Million abgeschrieben
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Patrick Manser ist ein ideen- und erfolgreicher Geschäftsmann. Vor gut 20 Jahren begann der Horner mit dem Aufbau der heutigen Manser Group AG mit Sitz in Arbon. Wegen der Marty Bauunternehmung in Bischofszell geriet Manser Anfang Jahr in Kritik: Er entliess Ende Januar alle 51 Angestellten der Firma, ohne die gesetzliche Frist für Massentlassungen einzuhalten. Im aktuellen LEADER erklärt Manser, wie es zur Schliessung kam.

Patrick Manser, die Massentlassung bei der Marty Bauunternehmung AG hat hohe Wellen geworfen. Würden Sie heute etwas anders machen?
Glücklicherweise musste ich in meiner ganzen beruflichen Laufbahn noch nie Mitarbeiter aus wirtschaftlichen Gründen entlassen. Sogar bei der letzten Finanzkrise konnten wir dies mit viel Einsatz vermeiden. Dass ich bei den leider nötig gewordenen Massnahmen bei Marty gesetzliche Vorschriften nicht beachtet habe, war ein Fehler. Es geschah nicht vorsätzlich, leider wurde ich hier falsch beraten.

Für die Angestellten kam die Entlassung sehr überraschend. Was war der Grund für diesen einschneidenden Schritt?

Wichtig ist zu wissen: Die Marty Bauunternehmung AG gehörte nur zur Hälfte der Manser Group AG. Sie war als Investor beteiligt und ich sass im Verwaltungsrat. Die Firma wurde ohne mein operatives Mitwirken geleitet. Weil die Firma vom Geschäftsleiter fristlos verlassen wurde, übernahm ich notgedrungen im Januar 2020 die Geschäftsleitung. Bald musste ich konsterniert feststellen, dass der Ist-Zustand völlig anders war als dargestellt. Ende September 2019 lag noch ein revidierter Geschäftsabschluss vor, der absolut positiv war – auf Seite Eigenkapital wie auf Seite Gewinn. Ende Januar 2020 sah ich, dass die Firma massiv überschuldet war. Ein Beispiel: Diverse Aufträge, die im Dezember noch in die Auftragsbücher geschrieben wurden, waren inexistent.

Die Angestellten waren noch im Januar der Meinung, die Marty Bauunternehmung AG sei gesund – wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?

Ich kann sie verstehen. Auch ich hatte wegen des revidierten Geschäftsabschlusses per Ende September 2019 die gleiche Meinung. Erst nachdem ich mir ein genaues Bild über die Finanzen und den Auftragsbestand habe machen können, wurde klar, dass diese überhaupt nicht stimmen. Im 4. Quartal 2019 wurde enorme Misswirtschaft betrieben. Wie es dazu gekommen ist, wird jetzt untersucht.

Gegenüber den Medien äusserten Angestellte und die Gewerkschaft Unia happige Vorwürfe an Ihre Adresse, darunter, Sie hätten Geld aus der Firma abgezogen. Wie war es wirklich?

Da werden Dinge falsch dargestellt, oft bewusst und boshaft. Ich hätte Geld abgezogen, stimmt einfach nicht: Es ging im Juni 2019 um die vereinbarte Rückzahlung eines Vorschusses und die Tilgung von fälligen Forderungen der Manser Gruppe von rund 750'000 Franken. Marty hatte anschliessend immer noch genügend liquide Mittel, wie aus dem Zwischenabschluss per 30. September 2019 hervorging.

  

Waren Sie dann nicht mehr als Investor engagiert?

Doch. Die Manser Gruppe war auch nach dieser Zahlung immer noch mit mehr als einer Million Franken bei der Marty Bauunternehmung AG engagiert. Dieser Betrag muss durch die inzwischen erfolgte Deponierung der Bilanz abgeschrieben werden.

Nochmals zurück zur Massentlassungen mit gesetzlichen Vorgaben und Fristen. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit hat wegen Missachtung dieser Frist Strafanzeige erstattet. Sie selbst sind ein erfahrener Unternehmer, wie konnten Sie hier falsch beraten werden

Ich ärgere mich da selbst am meisten. Die ganze Situation war im Januar sehr hektisch: Keine ordentliche Übergabe des Tagesgeschäftes, kein Informationsfluss, gelöschte Computerdaten, fristlose Kündigung durch den Geschäftsführer und die Freistellung aller Innendienstmitarbeiter. Ich musste praktisch ohne Informationen und ohne Computerdaten ein Unternehmen mit 51 Mitarbeitern führen. In diesem Umfeld ist dieses Versäumnis passiert – ich habe mich dafür auch mehrfach entschuldigt. Und werde eine allfällige Busse natürlich bezahlen.

Über die Marty Bauunternehmung AG wurde am 18. Februar offiziell der Konkurs eröffnet. Wo steht das Verfahren derzeit?

Ich hatte bis zuletzt gehofft, diesen Schritt zu vermeiden. Nachdem ich mir ein klares Bild über die Finanzen und den Auftragsbestand verschafft hatte, war ich jedoch gesetzlich dazu verpflichtet, die Marty-Bilanz zu deponieren. Ich war nur vier Wochen operativ tätig und musste diesen Schritt vollziehen. Der Konkurs wurde beim Konkursamt Frauenfeld beantragt und ist noch nicht abgeschlossen.

Was bedeutet dies nun für die ehemaligen Angestellten – bekommen sie noch Geld?

Bis Ende Januar 2020 wurden alle Löhne ausbezahlt; teilweise habe ich Lohnanteile sogar von meinem eigenen Konto bezahlt. Jeder Arbeitnehmer hat das Anrecht der Insolvenzentschädigung und auf die Unterstützung durch die Arbeitslosenkasse. Wie der genaue Stand des Inkassos gegenüber den Kunden ist, entzieht sich meiner Kenntnis, da dies vom Konkursamt geleitet wird.

Wie ist die aktuelle Situation bei den ehemaligen Angestellten?

Angestellte für den Bau werden meist auf den Frühling hin gesucht. Ich hoffe, dass diese grossteils eine Stelle haben. Ich habe leider keine Übersicht, wer alles schon eine neue Stelle gefunden hat. Auch das RAV konnte mir dazu keinen Daten nennen.

 

Ihre Manser Group besitzt verschiedene Firmen: Gibt oder gab es von Ihrer Seite Stellenangebote für ehemalige Marty-Leute?

Wir haben diverse Angebote an ehemalige Mitarbeiter gemacht, jedoch hatten viele bereits eine andere Anstellung gefunden. Andere wollten nicht zu uns. Da hat sich wohl ausgewirkt, dass gegen mich eine Negativpropaganda betrieben wurde.

Blicken wir auf die ausserordentliche Wirtschaftslage: Seit Mitte März ist die Ostschweizer Wirtschaft durch das Coronavirus weitgehend gelähmt – wie schätzen Sie die Auswirkungen für die Wirtschaft ein?

Tourismus, Gastronomie, Freizeit, Detailhandel und andere Branchen trifft es enorm hart und damit sehr viele Lieferanten und Unternehmen, die für diese Zweige arbeiten. Wir befinden uns in einer wirtschaftlichen Negativspirale. Diese wurde durch die schnelle und unbürokratische Unterstützung durch den Bund ein wenig abgebremst. Ich gehe davon aus, dass die Wirtschaft als Ganzes ab Sommer 2020 wieder Fahrt aufnehmen kann.

Und wie trifft die Situation die Manser Group? Sie sind ja auch im stark betroffenen Freizeitbereich tätig?

Der Bereich Freizeit ist komplett zum Erliegen kommen. Wir mussten 13 Fitness- und ein Bowlingcenter schliessen. Auch konnten wir natürlich am 26. März unser neues Fitnesscenter in Kreuzlingen nicht eröffnen. Hier ist der finanzielle Schaden immens. Wir dürfen aber dankbar sein, dass wir in der Schweiz mit all ihren behördlichen Unterstützungsmodellen wie Kurzarbeit oder Bundesdarlehen leben. Ich möchte dem Bund ein grosses Lob aussprechen. Wir erleben eine noch nie dagewesene Krisensituation - und der Bund entscheidet schnell, unkompliziert und pragmatisch

Vor gut 20 Jahren begann Patrick Manser (*1972) mit dem Aufbau der heutigen Manser Group AG, die aktuell rund 600 Mitarbeiter und ein- bis zweihundert Temporärangestellte beschäftigt. Mit der Manser Invest AG hat Manser konstant ein beachtliches Immobilienportfolio aufgebaut, mit den Tochtergesellschaften Manser Handwerkercenter AG, Taff Tool AG und manser24.ch werden Werkzeuge und Maschinen vertrieben, und mit der Clever Sports AG 13 Fitnesscenter sowie mit der Starbowling AG ein Bowlingcenter betrieben. Die Manser Group hält auch wesentliche Beteiligungen im Bau (Methabau, iLive), im Personalbereich (Helvetic Personal AG) und in der Produktion (Fortatech).

Text: Tanja Millius

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