Wirtschaft

Quo vadis, Ostschweizer Gastronomie?

Quo vadis, Ostschweizer Gastronomie?
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Viele Gastrobetriebe mussten seit Ausbruch der Corona-Pandemie massive Umsatzeinbussen hinnehmen. Und nun, wo sie endlich wieder Gäste bewirten dürfen, fehlt es an gut ausgebildetem Personal – teilweise aber auch an Kundschaft. Wie dramatisch ist die Situation in der Ostschweiz?

Erst lange geschlossen, dann nur draussen geöffnet und seit Mai dieses Jahres wieder gänzlich offen – draussen für alle, in Innenbereichen vorerst nur für Gäste, die ein gültiges Covid-Zertifikat vorweisen können. Also gemäss den geltenden 3-G-Regeln entweder genesen, getestet oder geimpft sind. Zu kämpfen haben vor allem Restaurants und Beizen, da sie, im Gegensatz zu den Hotels, während der Lockdowns komplett schliessen mussten. Hotels durften auch in dieser Zeit Übernachtungen anbieten und Hotelgäste verpflegen. Und: Auf dem Land ist der Leidensdruck meist grösser als in urbanen Gebieten.

Situation widerspiegelt Impfbereitschaft

Die Auswirkungen der Zertifikatspflicht gesamthaft zu beurteilen, ist nicht ganz einfach. So sagt beispielsweise Walter Tobler, Präsident von Gastro St.Gallen: «Ich habe von Landbeizen gehört, dass sie den besten Oktober gehabt hätten. Gleichzeitig höre ich von Restaurants in der Stadt, dass tote Hose herrsche.» Im Toggenburg, wo die Impfbereitschaft in der Bevölkerung bekanntlich tiefer ist als im Rest des Kantons St.Gallen, seien die Probleme allerdings schon grösser, so Tobler.

Auch im Thurgau sieht es ähnlich aus: «In grösseren Ortschaften und in Städten sind die Umsatzeinbussen etwas geringer als in der ländlichen Gastronomie», erklärt Ruedi Bartel, Präsident von Gastro Thurgau. Er betont: «Nicht die Zertifikatspflicht hat zu massiven Umsatzeinbussen geführt, sondern die Impfunwilligkeit auf dem Lande.»

In Appenzell Innerrhoden, wo die Impfquote zu den tiefsten in der Schweiz gehört, scheint die Zertifikatspflicht allerdings keine schwerwiegenden negativen Auswirkungen zu haben. «Anfangs hat sie bei vielen berechtigterweise Ängste wegen hohen Umsatzeinbusse ausgelöst», sagt Stephan Sutter, Präsident von Gastro Appenzell Innerrhoden. «Heute herrscht aber mehrheitlich Zufriedenheit über die verlaufene Sommer- und Herbstsaison. Die befürchteten Umsatzeinbussen sind vielerorts nur wenig bis gar nicht eingetroffen.»

In Appenzell Ausserrhoden hingegen zeigt sich ein ähnliches Bild wie im Thurgau und St.Gallen: «Je ländlicher und naturverbundener die Region ist, desto weniger Gäste sind in den Restaurants anzutreffen», sagt Markus Strässle, Präsident von Gastro AR. Gepflegte Speiserestaurants und Gourmetbetriebe hätten aber zeitweise sogar eine sehr gute Auslastung erreicht. «Für den Besuch eines Spezialitäten- oder Gourmetbetriebs sind die Gäste eher bereit, die Kosten für einen Test auf sich zu nehmen», vermutet Strässle. Im Durchschnitt verzeichne die Gastronomie in Ausserrhoden aber Umsatzverluste von 30 bis 50 Prozent.

  

Wochenenden meist wieder gut

Wenn Einbussen verzeichnen werden, dann in vielen Gastronomiebetriebe vor allem am Mittag. An den Wochenenden herrscht vielerorts bereits wieder Hochbetrieb. «Vor allem die Znünizeiten wie auch der Mittagsbetrieb und das Feierabendbier haben im Thurgau teils massive Einbrüche erlitten. Das Geschäft am Wochenende, also von Freitag- bis Sonntagabend, ist aber bereits wieder ziemlich im Aufwärtstrend und somit fast im gleichen Segment, wie vor Corona», erklärt Ruedi Bartel. Und Markus Strässle von Gastro AR sagt: «In allen Regionen hat das Mittagsgeschäft zum Teil massiv abgenommen; die Hauptauslastung konzentriert sich zunehmend auf den Abend.»

Auch im St.Galler Oberrheintal an der Grenze zu Österreich läuft es von Montag bis Donnerstag noch eher schleppend, dafür an den Wochenenden wieder gut. Und bevor in Österreich wieder ein Lockdown verordnet wurde, hoffte Walter Tobler noch, dass die zuvor geltende 2-G-Regel in unserem Nachbarland möglicherweise ein paar Gäste in die Schweiz treiben würde. Bis zum 13. Dezember wird daraus sicher schon mal nichts, denn in Österreich gelten aktuell ganztägige Ausgangsbeschränkungen. Das heisst, die Leute müssen grundsätzlich zuhause bleiben.

Arbeit in der Gastro? Nein danke!

Ein Problem, mit dem viele Ostschweizer Restaurants und Beizen zusätzlich zu kämpfen haben, ist das fehlende Personal – sowohl ausgebildetes als auch der Nachwuchs. Das Problem ist nicht neu, hat sich aber durch Corona weiter verschärft. Viele Angestellte wurden seit Ausbruch der Pandemie entweder entlassen oder haben von sich aus gekündigt und die Branche gewechselt. «Ich habe kürzlich von elf Serviceangestellten erfahren, die jetzt alle bei der Post arbeiten», sagt St.Gallens Gastro-Präsi Walter Tobler.

Auch im Kanton Thurgau ist Personal für Service und Küche gemäss Ruedi Bartel derzeit nur mühsam zu rekrutieren. Einige Betriebe sind seiner Ansicht nach allerdings nicht ganz unschuldig an ihrer Situation: «Betriebe, die Personal entlassen haben, um die AHV und die Pensionskassenkosten zu umgehen, finden jetzt auch vielfach kein Personal mehr. Weil sich diese Leute anderweitig um Arbeit bemüht haben», so Bartel.

In Appenzell Innerrhoden sei die Personalsituation zum Teil dramatisch, sagt Stephan Sutter. Es sei deswegen aber bislang noch zu keinen Betriebsschliessungen gekommen. Ähnlich ist die Situation in Ausserrhoden: «Vor allem Fachmitarbeiter zu finden, ist äusserst schwierig und die Voraussetzungen für die meisten Landbetriebe noch komplexer», erklärt Markus Strässle. «Die Arbeitszeiten können selten als eine Schicht angeboten werden, die Wege zu den Freizeitaktivitäten sind weiter, und das Angebot auf dem Land ist nicht so abwechslungsreich wie in den Städten.»

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Ruedi Bartel, Gastro TG: «In grösseren Ortschaften und Städten sind die Umsatzeinbussen etwas geringer.»
Ruedi Bartel, Gastro TG: «In grösseren Ortschaften und Städten sind die Umsatzeinbussen etwas geringer.»
Walter Tobler, Gastro SG: «Ich habe von elf Serviceangestellten erfahren, die jetzt bei der Post arbeiten.»
Walter Tobler, Gastro SG: «Ich habe von elf Serviceangestellten erfahren, die jetzt bei der Post arbeiten.»

Schulungen und flexiblere Arbeitszeiten

Aber auch dort, wo das Angebot grösser ist als auf dem Land, macht man sich Gedanken, wie man mit weniger Personal weitermachen kann. «Man muss jetzt flexibel sein, beispielsweise Speisekarten verkleinern, damit es auch mit weniger Personal geht», sagt Walter Tobler. Die grosse Frage sei aber, wie man wieder an jungen Nachwuchs komme. Dabei gelte es unter anderem zu vermitteln, dass man auch als Quereinsteiger erfolgreich sein und schnell zu einem guten Job kommen könne.

Im Thurgau will man die Jungen mit speziellen Werbeauftritten erreichen. «Wir wollen ihnen damit aufzeigen, welche Möglichkeiten bestehen, um mit einem erlernten Beruf in der Gastronomie Fuss zu fassen – oder auch den Sprung ins Ausland zu schaffen», erklärt Ruedi Bartel.

Für den Innerrhoder Gastro-Präsidenten Stephan Sutter braucht es mehr Wertschätzung für die Leistung der Mitarbeiter – aber auch mehr Geld vom Chef. «Teilweise werden leider immer noch miserable Löhne bezahlt. Und dies, obwohl wir einen L-GAV haben», sagt Sutter. «Wir arbeiten deshalb eng mit Gastro SG zusammen, die viele Schulungen zu fairen Preisen für unsere Mitarbeiter anbietet.»

Und im Kanton Appenzell Ausserrhoden haben gemäss Markus Strässle verschiedene Betriebe unterdessen auf attraktivere Arbeitszeitsysteme umgestellt – beispielsweise Einschichtdienste oder Vier-Tage-Modelle.

Stephan Sutter, Gastro AI: «Teilweise werden leider immer noch miserable Löhne bezahlt.»
Stephan Sutter, Gastro AI: «Teilweise werden leider immer noch miserable Löhne bezahlt.»
Markus Strässle, Gastro AR: «In allen Regionen hat das Mittagsgeschäft zum Teil massiv abgenommen.»
Markus Strässle, Gastro AR: «In allen Regionen hat das Mittagsgeschäft zum Teil massiv abgenommen.»

«Das Beste aus der Sache machen»

Die Ostschweizer Gastronomie blickt mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Man probiere, das Beste aus der Sache zu machen, erklärt Walter Tobler. Und Ruedi Bartel meint: «Wir hoffen natürlich, dass die Einschränkungen mit der Zertifikatspflicht in absehbarer Zeit aufgehoben werden, damit wir die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel wieder im normalen Rahmen und mit sehr vielen Gästen bewerkstelligen können. Aber im Moment sieht es nicht sehr positiv aus.»

«Wird ein System so abrupt und langfristig durch diverse Massnahmen heruntergefahren, braucht es eine gewisse Zeit, bis sich entweder alles wieder normalisiert hat und die Abläufe wieder in gewohnten Bahnen funktionieren – oder aber, bis sich alle, Gastwirte, Mitarbeiter, Gäste, an die neue Situation angepasst haben», ist Markus Strässle überzeugt. Die finanziellen Einbussen würden die Branche aber noch lange begleiten. Nicht zuletzt, weil Übergangskredite zurückbezahlt werden müssten, die Auflagen aber immer noch kein normales Umsatzvolumen zulassen würden.

Erfreulich positiv ist die Stimmung offenbar in Appenzell Innerrhoden: «Wenn ich mit meinen Berufskollegen spreche, schauen viele positiv in die Zukunft», erklärt Stephan Sutter. «Wir müssen aber stets wachsam bleiben, Gästebedürfnisse erkennen und immer eine hohe Qualität bieten. Dann dürfen wir auch in Zukunft viele Gäste im Appenzellerland begrüssen.»

 

 

Branche muss sich anpassen

Die Krise habe gezeigt, dass die Branche für die Zukunft dem veränderten Umfeld entgegentreten müsse, ist Markus Strässle überzeugt. «So wird es unumgänglich sein, in den Kalkulationen mehr Reserven für Fixkosten, nicht versicherbare Schadensfälle wie Epidemien und Pandemien, Umsatzausfälle und steigende Löhne durch den Fachkräftemangel einzuplanen. Ich bin überzeugt, dass die Gastronomie ihre Lektion für die Zukunft gelernt hat und nach der überstandenen Krise alles Nötige in die Wege leiten wird, um wieder durchzustarten.»

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