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Webmaschinen, Wandel und Weitblick

Webmaschinen, Wandel und Weitblick
Benjamin J. Fuchs
Lesezeit: 4 Minuten

Vom französischen Textilpionier über eine florierende Modeproduktion bis zum Standort für 3D-Druck, Retail und digitale Logistik – das Ziel-Areal in Appenzell erzählt seit 150 Jahren eine Geschichte von Unternehmertum, Wandel und Weitsicht. Heute markiert es nicht nur einen bedeutenden Gewerbestandort, sondern steht exemplarisch für die Transformation regionaler Industriebrachen in wirtschaftlich lebendige Zukunftsorte.

Handelskriege, Zölle und die Verlagerung von Produktionsstätten halten die Schweizer Exportwirtschaft derzeit in Atem. Der riesige Absatzmarkt in den USA hatte schon immer eine überproportional grosse Bedeutung – selbst im ländlichen Appenzell. So exportierte der junge Appenzeller Textilkaufmann Albin Breitenmoser, eng mit der Geschichte des Ziel-Areals verbunden, bereits im frühen 20. Jahrhundert veredelte Textilien, hauptsächlich in die USA.

Das zweitgrösste Gebäude im Kanton

Der Ursprung der Ziel-Fabrik, die seit über 150 Jahren das nördliche Dorfbild von Appenzell prägt, reicht ins Jahr 1871 zurück: Damals erwarb das französische Textilunternehmen Mme. Driou, Moret & Cie. Land an der Zielstrasse und errichtete eine Fabrik, deren Dimensionen für Appenzeller Verhältnisse monumental waren. Lange Zeit war sie – nach der Pfarrkirche – das zweitgrösste Gebäude im Kanton. Während die Textilfertigung in Appenzell traditionell durch Heimarbeit geprägt war, brachte dieses Projekt industriellen Massstab ins Dorf.

Die Präsenz des französischen Unternehmens war jedoch nur von kurzer Dauer. Der Pioniergeist und die industrielle Nutzung hingegen blieben. Nach mehreren Besitzerwechseln erwarben 1951 Albin Breitenmoser und Josef Fässler die Anlage. Mit der Alba Albin Breitenmoser AG und der Weba Weberei Appenzell AG entwickelten sie ein florierendes Textilunternehmen, das bestickte Taschentücher und später auch modische Textilien produzierte. Das Familienunternehmen Alba blieb über Jahrzehnte prägend für die Appenzeller Wirtschaft – und ist bis heute Eigentümerin des Areals.

Wachstum, Wiederaufbau und neue Wege

Ein Grossbrand zerstörte die Fabrik 1958 weitgehend. Doch Alba baute sie wieder auf – grösser als je zuvor. In den 1960er Jahren arbeiteten rund 400 Personen im Schichtbetrieb an 112 Webmaschinen. Die letzte grosse Investition erfolgte 1999 mit dem Bau eines neuen Webereigebäudes samt Glasfassade und Tonnendach. Dort wurden bis zur Covid-Pandemie edle Stoffe hergestellt und weltweit exportiert. Danach wurde die Textilproduktion eingestellt und der Fokus auf die Immobilienentwicklung gelegt. «Der industrielle Wandel ist eine Realität – und wir haben ihn als Chance genutzt, um neue Perspektiven für das Areal zu entwickeln», sagt Benjamin J. Fuchs, Präsident und Delegierter des Verwaltungsrates der Alba Immobilien AG.

Mit Unterstützung der Area Assets AG entwickelte die Alba ab 2021 eine neue Strategie für das Areal. Neben der Vermarktung gewerblicher Mietflächen standen bauliche Optimierungen und die laufende Quartierplanrevision im Vordergrund.

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Neue Mieter und nachhaltige Investitionen

Ein Paradebeispiel für die Neunutzung ist die Prodartis AG, ein führendes Unternehmen im Bereich 3D-Druck und additiver Fertigung. Sie nutzt die ehemalige Webhalle als hochmoderne Produktionsstätte und bedient von Appenzell aus internationale Kundschaft. Auch andere Unternehmen mit textilen Wurzeln prägen das Areal weiterhin. Die Unternehmerfamilie Goldener betreibt neben dem renommierten Modehaus «Ziel» die Marken Scopus (junge Mode), bekleidung.ch (Corporate Fashion) sowie die Subsidia AG, ein IT-Unternehmen für digitale Verkaufs- und Logistiklösungen im Modebereich. Die Lutz Sport-Mode AG, ein Spezialist für Golfausrüstung, beliefert von Appenzell aus die gesamte Schweiz. Die Weba ist ebenfalls vor Ort geblieben und entwickelt weiterhin hochwertige Textilien für internationale Luxusmarken.

«Wir wollten nie einfach nur Räume vermieten – wir suchen gezielt Mieter, die zum Geist des Areals passen», so Fuchs. «Innovative Unternehmen mit Bezug zur Region und Weitblick in die Zukunft sind uns besonders wichtig.» Das Ziel-Areal beherbergt ausserdem das Bezirks- und Kantonsgericht – ein Zeichen für seine gute Erschliessung und zentrale Lage.

«Hier sollen weiterhin Unternehmen eine Heimat finden, die regional verankert, aber global ausgerichtet sind.»

Der Einzug von Lidl – ein Wendepunkt

Die Nachbarschaft rund um das Ziel-Areal wandelte sich in den vergangenen Jahren stetig. Im Februar 2025 eröffnete Lidl seine 187. Filiale der Schweiz auf dem Areal – und schloss damit eine Marktlücke zwischen Migros und Coop. Der Entscheid fiel auch aufgrund von Lidls Bekenntnis zu regionalen Produkten und attraktiven Arbeitsplätzen in der Region. «Bei der Auswahl unserer Mieter schauen wir nicht nur auf die Mieteinnahmen, sondern auf den Mehrwert für die Bevölkerung und die regionale Wirtschaft», erklärt Fuchs. «Lidl erfüllt beide Kriterien überzeugend.»

Für den Einzug wurden weitreichende bauliche Anpassungen vorgenommen: Eine nicht mehr nutzbare Webhalle im Süden wurde rückgebaut, wodurch dringend benötigte Parkplätze entstanden. Im Norden wurde ein neuer Haupteingang erstellt, die Erschliessung des Erdgeschosses komplett überarbeitet und die Gebäude teilweise energetisch saniert. Auf den grossen Dächern installierte man Photovoltaikanlagen, die jährlich rund 310’000 Kilowattstunden Strom erzeugen – genug für 120 Personen. «Nachhaltigkeit ist für uns kein Schlagwort, sondern eine Investition in die Zukunftsfähigkeit des Standorts», betont Fuchs. «Die neuen PV-Anlagen zeigen, wohin die Reise geht.»

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Standort mit Perspektive

Das Ziel-Areal punktet heute mit grosszügigen, flexibel teilbaren Büro- und Gewerbeflächen, überdachter Anlieferung mit zwei Entladebuchten, guter Verkehrsanbindung und Aussicht auf den Alpstein. Es ist ein Standort mit Substanz und Perspektive – nicht zuletzt dank nachhaltiger Investitionen. Parallel dazu arbeitet die Feuerschaugemeinde an einer Revision des Quartierplans aus den 1990er Jahren. Die Planungsbehörde hat das Gebiet zur Planungszone erklärt, um die Entwicklung koordiniert zu steuern. Neben dem Ziel-Areal soll auch das ehemalige Migros-Areal – direkt gegenüber – einer teilweisen Wohnnutzung zugeführt werden. Das Gebiet rund um den nördlichen Dorfeingang befindet sich im Wandel – mit Potenzial für eine neue städtebauliche Identität.

Unternehmerische Vision mit Appenzeller Wurzeln

Das Ziel-Areal ist seit 150 Jahren eng mit dem Appenzeller Unternehmertum verbunden. Für die Eigentümerin Alba ist die Weiterentwicklung des Areals mehr als nur Immobilienbewirtschaftung – sie ist Ausdruck einer langfristigen Vision. «Wir glauben an Appenzell – als attraktiven Wohn- und Arbeitsort und als unternehmerisches Kraftzentrum mit Tradition und Zukunft», sagt Fuchs.

Hier sollen weiterhin Unternehmen eine Heimat finden, die regional verankert, aber global ausgerichtet sind. Appenzell bietet dafür beste Voraussetzungen: eine wirtschaftsfreundliche Steuerpolitik, eine hohe Lebensqualität – und mit dem Ziel-Areal einen Standort, der Geschichte und Zukunft verbindet.

Text: Stephan Ziegler

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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