Den Willen der Stifter wahren

Den Willen der Stifter wahren
Stefan Stumpf
Lesezeit: 7 Minuten

Über 600 Stiftungen in den Kantonen St.Gallen und Thurgau werden von der Ostschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht geführt. Die Aufsicht konzentriert sich primär auf die Frage, ob sich die Stiftungsorgane im Rahmen des festgelegten Zwecks bewegen.

Die Ostschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht deckt eine Ostschweiz in zwei höchst unterschiedlichen Ausdehnungen ab. Im Bereich Vorsorge umfasst das Aufsichtsgebiet Appenzell, Glarus, Graubünden, St.Gallen, Thurgau und Tessin. Die interkantonale öffentlich-rechtliche Anstalt hat den Sitz in St.Gallen, in Muralto gibt es eine Filiale. Bei den klassischen Stiftungen werden hier aber nur Einrichtungen aus St.Gallen und Thurgau sowie dem Tessin betreut. 1 171 waren es Ende 2022, ein Dutzend mehr als im Vorjahr. Fast die Hälfte davon, 564 Stiftungen, entfallen auf den Kanton Tessin. Dazu kommen 184 Thurgauer Stiftungen und 423 Stiftungen aus dem Kanton St.Gallen.

«In der beruflichen Vorsorge machen alle dasselbe, alle Stiftungen sind gleich reguliert», sagt Stefan Stumpf, der Direktor der Ostschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht. «Bei klassischen Stiftungen hingegen ist nichts standardisiert, insbesondere gibt es viele verschiedene Aufsichtsinstanzen.»

Aufsicht am Ort der Begünstigten

Laut Gesetz wird eine Stiftung dort beaufsichtigt, wo der Zweck der Stiftung angesiedelt ist. Wenn der Zweck weitgehend auf eine Tätigkeit im Gebiet einer Gemeinde beschränkt ist, macht diese Gemeinde die Aufsicht. Ist der Zweck auf eine Region ausgerichtet, macht der Kanton die Aufsicht. Eine Stiftung, die schweizweit oder international tätig ist, wird vom Bund beaufsichtigt. «Das ist die Theorie. In der Praxis ist es in der Schweiz – wen wundert es – etwas komplizierter», erklärt Stefan Stumpf. Es gibt Kantone, die kennen keine Gemeindeaufsicht mehr, da macht alles der Kanton, und es gibt Kantone, die keine Kantonsaufsicht mehr haben, dort wurde die Aufgabe der Ostschweizer Stiftungsaufsicht delegiert. Der Kanton Thurgau kennt allerdings noch die Gemeindeaufsicht, weshalb Stiftungen hier auch vor Ort geprüft werden können, St.Gallen kennt keine Gemeindeaufsicht, weshalb viele klassische Stiftungen von der Ostschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht betreut werden. Nicht alle, denn Stiftungen mit einer klar überkantonalen Ausstrahlung werden vom Bund kontrolliert. 

Der Sitz der Stiftung ist nicht relevant. Stefan Stumpf und sein Team erklären das den Leuten, die eine neue Stiftung errichten wollen, jeweils in der Vorprüfung. Wenn der Stiftungszweck besagt, dass eine Stiftung «... hauptsächlich in der Ostschweiz» tätig sein soll, dann wird sie von der Ostschweizer Aufsicht geprüft. «Wir schauen dann aber darauf, dass diese Bestimmung auch eingehalten wird», sagt Stefan Stumpf.

Die unterschiedlichen Aufsichtsgremien sind einander gleichgestellt, es gibt keine Hierarchie. Die Aufsicht des Bundes ist gegenüber anderen Aufsichtsgremien nicht weisungsberechtigt, ebenso kann die Ostschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht Kantonen und Gemeinden keine Vorgaben machen.

  

«Wir prüfen, ob es zulässig ist oder nicht. Ob es sinnvoll ist oder nicht, ist nicht unsere Frage.»

Ganz grosse und ganz kleine Stiftungen

Die 1 171 bei der Ostschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht geführten klassischen Stiftungen hatten Ende 2022 zusammen ein Vermögen von 4,3 Milliarden Franken. Diese Summe ist sehr ungleich verteilt. Zwei Stiftungen haben ein Vermögen von über 100 Millionen Franken, zehn Stiftungen verfügen über 50 bis 100 Millionen Franken. Im Bereich einer halben bis einer ganzen Million werden 250 Stiftungen gezählt, 300 weitere Stiftungen verfügen über Gelder zwischen 100'000 bis 500'000 Franken. Fast 200 Stiftungen haben weniger als 100'000 Franken, um ihren Stiftungszweck zu erfüllen, wie Stefan Stumpf sagt: «Die meisten Stiftungen sind eher klein und haben kaum Vermögenserträge. Doch auch der Willen des Stifters eines kleinen Vermögens ist ein Stifter-Willen.»

Hohe Autonomie einer Stiftung

Die verschiedenen Aufsichtsorgane prüfen jeweils die Jahresrechnungen der Stiftungen und kontrollieren, ob formal alles korrekt abgelaufen ist und der Stiftungszweck eingehalten wurde. «Es ist nicht unsere Aufgabe, die Tätigkeit des Stiftungsrates zu beurteilen. Wenn der Stiftungsrat in seinem Ermessen handelt, geht uns das nichts an», hält Stefan Stumpf fest. «Wenn zwei Optionen im zulässigen Rahmen liegen, muss es uns nicht kümmern, wenn der Stiftungsrat die vermeintlich schlechtere Option wählt. Wir prüfen, ob es zulässig ist oder nicht. Ob es sinnvoll ist oder nicht, ist nicht unsere Frage.»

Das Bundesgericht hat in solchen Fällen wiederholt festgestellt, dass die Autonomie einer Stiftung sehr hoch zu gewichten ist. Stefan Stumpf unterstützt diese Haltung: «Ich will nicht in einem Staat leben, in dem die Aufsichtsbehörde per se besser weiss, was zu tun ist, als eine Stiftung.»

Oberste Richtschnur ist stets der Wille des Stifters. Solange dieser Wille erfüllbar ist, sei es nicht Aufgabe der Aufsichtsbehörde, in einem Stiftungsrat Streit zu verhindern, sagt Stefan Stumpf. Man dürfe durchaus unterschiedlicher Meinung sein, solange der Stiftungsrat funktioniert. «Erst wenn ein Stiftungsrat sich ob einer Frage so zerstreitet, dass er handlungsunfähig wird, wenn die Reputation der Stiftung gefährdet ist oder vielleicht keine Spenden mehr generiert werden können – dann geht es uns etwas an.» Die Stiftungsaufsicht könne dann versuchen zu vermitteln, manchmal müsse sie auch von oben herab etwas vorgeben.

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«In der Regel hat man keinen Leistungsanspruch auf Beiträge einer Stiftung.»

Unerfüllbarer Zweck

Gelegentlich ist der ursprünglich formulierte Stiftungszweck aus der Zeit gefallen und kann nicht eingehalten werden. Wenn etwa explizit die Unterstützung von bedürftigen Hausboten, reformierten Glaubens, männlichen Geschlechts, in der Gemeinde Eschlikon postuliert wird, dann kann ein Stiftungsrat keine Vergabungen machen. Die Stiftung hat aber die Möglichkeit, eine Änderung des Stiftungszwecks beim Aufsichtsorgan beantragen, wie Stefan Stumpf erläutert. «In solchen Fällen müssen wir überlegen: Was wollte der Stifter damals? Wie hätte er heute den Stiftungszweck formuliert?»

Wenn ein Stiftungsrat nicht mehr handeln kann, steht er in der Pflicht, sachgerechte Lösungen zu suchen. «Wir können dem Stiftungsrat aufzeigen, welche Möglichkeiten es gibt», sagt Stefan Stumpf. Es gelte, so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig zu ändern. «Als Aufsichtsorgan müssen wir darüber wachen, dass der Willen der Stifterin oder des Stifters gewahrt bleibt. Der Stiftungsrat kann nicht nach eigenem Gutdünken machen, was er will. Wenn junge Musiker unterstützt werden sollen, kann nicht plötzlich ein Seniorenheim begünstigt werden.»

Da die Stifter in der Regel nicht mehr gefragt werden können, liegt eine Neuformulierung des Stiftungszwecks im Ermessen der Stiftungsaufsicht. «Da ist jeder Fall ein Einzelfall.» In der Praxis seien solche Schritte kaum je ein Problem, «da findet man sich immer.»

Die Stiftungsaufsicht macht dann eine Verfügung, und die Neuschrift der Stiftungsurkunde wird im Handelsregister publiziert. Ist jemand damit nicht einverstanden, kann der Rechtsweg beschritten werden. Das könnte etwa ein bisheriger Begünstigter tun, der nun plötzlich kein Geld mehr bekommt. Die Hürden, um sich gegen eine Neuausrichtung zu wehren, sind aber hoch, «in der Regel hat man keinen Leistungsanspruch auf Beiträge einer Stiftung», sagt Stefan Stumpf.

Ausnahmen sind Stiftungen, die eine Institution oder einen anderen Destinatär explizit als Stiftungszweck nennen. Wird ein bestimmter Kindergarten genannt, kann der Stiftungsrat nicht die Beiträge streichen, weil ihm ein neues pädagogisches Konzept nicht passt. Wird aus dem Kindergarten aber ein Altersheim, ist der Anlass für eine Neufassung des Stiftungszwecks gegeben. «Ein Stifter wollte ja mutmasslich nicht das Haus begünstigen, sondern die Kinder, die dort unterrichtet wurden.»

 

Stiftungen als Grossbetriebe

Zu den vermögendsten Stiftungen in der Ostschweiz gehören operativ tätige Stiftungen im Gesundheitswesen. Die Stiftung Ostschweizer Kinderspital beispielsweise beschäftigt 800 Spezialisten verschiedenster Disziplinen und baut aktuell ein neues Spitalgebäude beim Kantonsspital St.Gallen. Die Kliniken Valens beschäftigen an acht Standorten 1300 Mitarbeiter – und fusioniert jetzt mit der Stiftung Zürcher Rehazentren, die ihrerseits vier Standorte betreibt.

Auch viele Institutionen wie Alterszentren, Schulen oder Museen sind als operativ tätige Stiftung organisiert. Die Zahl der reinen Vergabestiftungen ohne eigene betriebliche Tätigkeiten ist aber deutlich grösser. Der Stiftungszweck kann sich bei einem kleinen Stiftungsvermögen auf einen eng begrenzten Mitteleinsatz beschränken. Ein Stifter kann beispielsweise festlegen, dass für einen gewissen Betrag jedes Jahr in einer bestimmten Kirche ein Konzert organisiert werden soll.

Daneben gibt es Millionen-schwere Stiftungen, die einen ganzen Strauss von Möglichkeiten im Stiftungszweck aufgelistet haben, von der Erhaltung und Pflege historischer Ortsbilder über die Unterstützung einer Musikschule und der Spitex-Organisation in einer definierten Region bis hin zur Unterstützung von Not leidenden Familien in der ganzen Schweiz.

Stiftung mit Ablaufdatum

Abhängig vom Vermögen ist auch die beabsichtigte Lebensdauer einer Stiftung, wie Stefan Stumpf erklärt. «Wenn ein Stifter sagt, die Stiftung soll auf ewig bestehen, dann darf der Stiftungsrat das Vermögen nicht anknabbern. Die Tätigkeit der Stiftung muss mit den Erträgen aus dem Vermögen finanziert werden.»

Wenn eine solche Vorgabe nicht existiert, geht man in der Schweiz davon aus, dass eine Stiftung auf Zeit angelegt ist. Ein Stifter kann sogar bereits bei der Gründung festlegen, wann eine Stiftung wieder aufgelöst werden soll – bis dann muss Vermögen entsprechend eingesetzt worden sein.

Welche Variante sinnvoll ist, hängt sehr vom Vermögen ab. «Wenn eine Stiftung mit 50 oder 100 Millionen ausgestattet wurde, ist es vielleicht nicht so schlau, das ganze Geld in fünf Jahren auszugeben», sagt Stefan Stumpf. Anders sieht es bei einer Stiftung aus, die mit einigen zehntausend Franken ausgestattet wurde. «Da stelle ich mich auf den Standpunkt, dass der Stifter Wirkung erzielen wollte. Dem Stiftungszweck ist wohl mehr gedient, wenn man vom Vermögen zehrt und in zehn oder zwanzig Jahren eben nichts mehr da ist.» Schliesslich, betont der Direktor der Ostschweizer Stiftungsaufsicht, sei eine Stiftung ist kein Selbstzweck, um Geld zu horten.

Text: Philipp Landmark

Bild: Thomas Hary

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