Putins Krieg gegen die freie Wirtschaft

Putins Krieg  gegen die freie Wirtschaft
Putins Soldaten ziehen eine Spur der Verwüstung durch die Ukraine. Der Krieg hinterlässt seine Spuren aber auch in der Weltwirtschaft.
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Der Krieg in der Ukraine hat spürbare Folgen für die Ostschweizer Wirtschaft – weil weltweit die Konjunktur leidet, aber auch, weil einige Unternehmen direkt in ihren Geschäftsaktivitäten betroffen sind.

Nachrichten über den Krieg in der Ukraine sind schwer verdauliche Kost. Kaum jemand hätte es für möglich gehalten, dass im Jahr 2022 in Europa systematisch Zivilisten gefoltert und massakriert werden, dass eine barbarische Soldateska Kinder vergewaltigt, dass ein grössenwahnsinniger Führer ganze Städte seines Nachbarlands in Schutt und Asche legt.
Die Ukraine war noch längst keine ausgereifte lupenreine, korruptionsfreie und rechtsstaatlich einwandfreie Demokratie. Aber sie bewegte sich Schritt für Schritt in diese Richtung. Nun wurde die Ukraine über Nacht zum Vorposten der freien Welt. Die Menschen in der Ukraine, die sich der russischen Aggression entgegenstemmen, verteidigen auch ganz direkt unsere Werte und unsere Zukunft. Wladimir Putins Krieg richtet sich gegen alle Werte, dem Westen heilig sind – nicht zuletzt auch gegen eine liberale Wirtschaftsordnung.

Steigende Energiepreise
Die USA und die Europäische Union haben in mehreren Schritten Wirtschaftssanktionen gegen Russland beschlossen. Im Gegensatz zu 2014, als der russische Diktator Putin die Krim annektierte und Söldner in den Donbass schickte, zeigen die jetzt beschlossenen Sanktionen tatsächlich Wirkung. Da Handel immer zwei Seiten braucht, schmerzen diese Massnahmen nicht nur die Russen, auch die westliche Wirtschaft spürt die Einschränkungen. Insbesondere der aktuell im Raum stehende völlige Verzicht auf russisches Gas und russisches Öl wird die ohnehin schon sehr angespannte Situation auf dem Energiemarkt noch verschärfen, die Preise kennen schon seit der Pandemie nur eine Richtung: nach oben. Auf die Schnelle lässt sich kaum vollwertiger Ersatz für Gas aus Russland finden, auch wenn westliche Politiker nun bei anderen möglichen Lieferanten Schlange stehen – fast ausnahmslos mindestens so zweifelhafte Regimes wie Russland.

  

Die Ukraine wurde über Nacht zum Vorposten der freien Welt.

Die Schweiz hat sich richtigerweise den EU-Sanktionen mehr oder weniger kongruent angeschlossen. Dies mit dem Verweis auf die helvetische Neutralität nicht zu tun, wäre politisch, aber auch rein sachlich falsch gewesen. Denn wer jetzt den gewohnten Handel mit Russland aufrecht erhält, ist alles andere als neutral, sondern unterstützt den Kriegstreiber.

Keine Alternative zu Sanktionen
Die Schweizer Wirtschaft ist weltweit verflochten und leidet an den Folgen des Kriegs, natürlich auch an den direkten Folgen der mitgetragenen Sanktionen. Doch selbst wenn man die moralische Verpflichtung, der Ukraine auf diesem Weg zumindest ein bisschen beizustehen, ausser acht lassen würde: Eine Alternative gibt es realistischerweise gar nicht. Bliebe die Schweiz beim Courant normal, würde sie sich als Plattform zur Umgehung der Sanktionen der anderen Staaten andienen. Das aber würden sich die westlichen Demokratien, die auch die wichtigsten Handelspartner der Schweiz sind, nicht bieten lassen; die Folgen für die hiesige Wirtschaft wären weitaus gravierender, als sie es jetzt sind.
Die Folgen des Kriegs und der Sanktionen sind freilich nicht zu unterschätzen. In der Ostschweiz gibt es einige namhafte Unternehmen, die vom Krieg ganz direkt betroffen sind und sich deswegen zum Teil neu ausrichten mussten.

Marginalisierung von Stadler Minsk
Der Zugbauer Stadler hat 2014 in Fanipol nahe Minsk ein Prduktionswerk eingeweiht, das zwischenzeitlich auf 1500 Mitarbeiter anwuchs. Mit der Produktion in Belarus sollten insbesondere auch Märkte der ehemaligen Sowjetunion bedient werden, Aufträge aus dieser Region blieben aber rar. Deshalb hatte Stadler schon aus Auslastungsgründen die Kapazität des Werks auf wenige hundert Mitarbeiter reduziert, nun hat das Unternehmen mit Hauptsitz im thurgauischen Bussnang auch im Sinne des Risikomanagements weitere Teile der Produktion in andere Länder verschoben, namentlich nach Polen. Der Standort in Belarus hat nur noch marginale Bedeutung. Das Sanitärtechnik Unternehmen Geberit aus Rapperswil-Jona hat ein namhaftes Standbein in der Ukraine: Neben einer Vertriebsgesellschaft mit 40 Mitarbeitern in Kiew betreibt Geberit in Slavuta, 300 Kilometer westlich der Hauptstadt, ein Keramikwerk mit gut 550 Mitarbeitern. Nach dem russischen Überfall Ende Februar sah sich Geberit gezwungen, seine Aktivitäten in der Ukraine aus Sicherheitsgründen vorläufig stillzulegen. Später entschloss sich Geberit, auch das Russland-Geschäft zu stoppen, die 70 Mitarbeiter der Vertriebsgesellschaft bleiben vorläufig aber auf der Payroll. In den ersten Kriegstagen hielt Geberit noch an den Russland-Aktivitäten fest – mit dem Argument, dass man menschliche Grundbedürfnisse abdecke. Für diese Sichtweise wurde der Konzern verschiedentlich kritisiert.
Mit Weidmann ist auch ein zweiter grosser Konzern aus Rapperswil-Jona vom Krieg betroffen. Das Unternehmen stellt in der Ukraine Isolationsmaterialien her – unter anderem mit Rohmaterialien aus der russischen Region Karelien. 620 Mitarbeiter waren in Malyn im Grossraum Kiew tätig, bis das Werk vorläufig den Betrieb einstellen musste.

Willkommene Flüchtlinge
Über hundert Schweizer Firmen haben vor dem russischen Angriff in der Ukraine Niederlassungen betrieben. Viele Mitarbeiter sind nun im In- und Ausland auf der Flucht, über zwölf Millionen Menschen sollen inzwischen ihre Heimat verloren haben. Männer können allenfalls im Land eine sichere Bleibe suchen, die meisten dürfen die Ukraine nicht verlassen. Viele Männer dienen inzwischen in den ukrainischen Streitkräften. Die Flüchtlinge, die westeuropäische Länder erreichen, sind zu einem grossen Teil Frauen und Kinder. Das dürfte einer der Gründe dafür sein, dass diese Flüchtlinge ungewöhnlich warmherzig empfangen werden, während Kriegsvertriebene aus anderen Weltgegenden eher argwöhnisch behandelt werden.

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Wer den Handel mit Russland aufrecht erhält, unterstützt den Kriegstreiber.

Ein weiterer möglicher Grund: Viele Ukrainer haben eine Berufsausbildung, die im Westen gefragt ist. Schätzungen zufolge soll es in der Ukraine alleine eine Viertelmillion Programmierer geben – manche davon waren schon in ihrer Heimat für Schweizer Unternehmen tätig. Die Vorstellung, dass die ukrainischen Flüchtlinge nun schlagartig den Fachkräftemangel lindern könnten, dürfte sich dennoch als Wunschdenken entpuppen.

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