«Eine starke Marke beginnt mit der Frage: Wofür stehen wir?»

Johanna Gollnhofer, was zeichnet eine wirklich starke Marke aus – jenseits von Bekanntheit und Werbebudget?
Eine starke Marke ist weit mehr als ein Logo oder ein einprägsamer Slogan. Sie vermittelt ein Lebensgefühl und eine Haltung, die über das Produkt hinausgehen. Relevanz entsteht dann, wenn eine Marke glaubwürdig ist und eine Rolle im Alltag der Menschen spielt. Ein gutes Beispiel ist Freitag: Die Marke verkauft zwar Taschen, steht aber eigentlich für urbane Nachhaltigkeit, Designbewusstsein und Individualität. Wer Freitag trägt, zeigt damit Haltung – das geht weit über reine Funktionalität hinaus.
Welche konkreten Schritte empfehlen Sie Unternehmen, die eine starke Marke aufbauen möchten – sei es im Start-up-Stadium oder im Mittelstand?
Zu Beginn ist es entscheidend, sich die zentrale Frage zu stellen: Wofür stehen wir – und warum? Sowohl Startups als auch mittelständische Unternehmen sollten ein klares Markenversprechen formulieren, das authentisch aus der eigenen Identität heraus entsteht. Ein inspirierendes Beispiel dafür ist Oatly: Die Marke hat nicht einfach Hafermilch eingeführt, sondern ein Statement für pflanzenbasierte Ernährung gesetzt – konsequent kommuniziert durch Sprache, Haltung und Gestaltung.
Lohnt sich Markenpflege vor allem dann, wenn sich ein Unternehmen stark vom Wettbewerb abheben muss – oder ist sie grundsätzlich eine strategische Notwendigkeit?
Markenpflege sollte nicht nur in schwierigen Phasen erfolgen, sondern ist immer ein strategisches Muss. Tupperware etwa zeigt, wie fatal es sein kann, wenn eine Marke über Jahre hinweg nicht aktiv gepflegt wird: Die Differenzierung geht verloren, und selbst ein ikonisches Produkt wird beliebig. Demgegenüber stehen Marken wie Nivea, die durch kontinuierliche Pflege über Generationen hinweg anschlussfähig bleiben.
Sind erfolgreiche Markenstrategien also übertragbar – oder müssen sie für jedes Unternehmen völlig individuell entwickelt werden?
Grundsätzlich lassen sich erfolgreiche Prinzipien durchaus übertragen. Entscheidend ist jedoch, dass die Strategie zur DNA des jeweiligen Unternehmens passt. Ob ein junges Start-up wie Gorillas oder ein traditionsreiches Unternehmen wie Ricola – beide müssen sich fragen: Was ist unser Beitrag zur Lebenswelt unserer Kunden? Der Markenkern, also das, wofür man steht, ist das verbindende Element. Ausdruck und Tonalität hingegen variieren je nach Kontext.
Und was passiert mit einer Marke, wenn sie versucht, sich neu zu erfinden – etwa im Zuge eines Rebrandings?
Ein Rebranding ist stets ein Balanceakt. Es kann neue Zielgruppen erschliessen – birgt aber auch die Gefahr, bestehende Kunden zu verlieren. Ein positives Beispiel ist Burberry: Die Marke hat es geschafft, sich von einem verstaubten Image zu lösen und gleichzeitig ihre Wurzeln zu bewahren. Im Gegensatz dazu wirken Rebrandings vieler Tech-Startups oft überambitioniert und beliebig – insbesondere dann, wenn der Bezug zur Unternehmensidentität fehlt.
Aber wie wird dann aus einer starken Marke eine sogenannte Love Brand?
Der entscheidende Unterschied liegt in der emotionalen Bindung: Eine Love Brand spricht nicht nur den Verstand, sondern auch das Herz an. Lego etwa ist weit mehr als ein Spielzeug: Die Marke steht für Kreativität, gemeinsames Bauen und Kindheitserinnerungen. Love Brands werden Teil des eigenen Lebensnarrativs – das schafft eine tiefe Loyalität, die weit über den Preis hinausgeht. In der Schweiz ist das Phänomen beispielsweise bei den Migros-Kindern zu beobachten.
«Love Brands sprechen nicht nur den Verstand, sondern auch das Herz an.»
Welche typischen Fehler oder Entwicklungen führen dazu, dass Marken an Strahlkraft verlieren?
Ein häufiger Fehler ist mangelnde Konsistenz. Wenn Marken laufend ihre Tonalität, ihr Design oder ihre Positionierung wechseln, verlieren sie an Wiedererkennung. Nokia ist ein warnendes Beispiel: Einst Weltmarktführer, wurde die Marke technologisch und kommunikativ abgehängt. Dem lässt sich mit klarer Markenführung und konsequenter Pflege entgegenwirken.
Können Sie Beispiele ikonischer Marken nennen, die sich zur Love Brand entwickelt haben?
Ein herausragendes Beispiel aus der Schweiz ist Rivella. Die Marke ist kulturell tief verankert und steht für Authentizität und Heimatgefühl. Auch kleinere Unternehmen können davon profitieren: Nähe, Identität und gelebte Werte wirken oft stärker als grosse Werbebudgets. Wer glaubwürdig auftritt, kann selbst auf lokaler Ebene zur Love Brand werden.
Unterscheiden sich die Erwartungen der Generation Z an Marken von jenen früherer Generationen?
Ja, die Generation Z stellt neue Anforderungen: Sie erwartet Haltung, Transparenz und Dialog. Marken wie Everlane machen es vor – mit offener Kommunikation, klaren Werten und echter Partizipation. Für die Markenführung bedeutet das: weniger Hochglanz, mehr Echtheit. Auch zeigt sich, dass die Generation Z nicht zwingend dieselben Love Brands bevorzugt wie ihre Eltern. Nespresso etwa ist bei älteren Zielgruppen beliebt, während jüngere Konsumenten sich oft für Speciality Coffees interessieren.
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Regionale Marken entstehen oft unbewusst und ohne strategisches Markenmanagement. Müssen auch solche Marken aktiv gepflegt werden – selbst wenn Ressourcen knapp sind?
Gerade dann ist aktive Pflege wichtig! Regionale Marken stiften Identität und wirken oft sehr authentisch – auch ohne grosse Marketingetats. Appenzeller Bier ist ein gutes Beispiel: Die Marke nutzt lokale Erzählungen, Handwerkstradition und sympathisches Storytelling, um sich klar zu positionieren. Entscheidend ist dabei nicht Perfektion, sondern Glaubwürdigkeit.
Und was muss ein Unternehmen tun, um in einem lokalen oder regionalen Marktumfeld erfolgreich zu sein?
Erfolg in regionalen Märkten basiert auf Vertrauen und kultureller Nähe. Unternehmen, die als Teil der Region wahrgenommen werden – wie die Bäckerei Hug oder die SBB auf lokaler Ebene – nutzen ihre Marke, um Beziehungen aufzubauen. Die Marke wird zum Symbol für Verlässlichkeit, Qualität und Zugehörigkeit – das stärkt die Bindung.
Kann eine starke Marke heute überhaupt noch ohne Social Media funktionieren – oder ist digitale Sichtbarkeit längst Grundvoraussetzung für Relevanz und emotionale Bindung?
Digitale Sichtbarkeit ist heute unerlässlich. Es geht aber nicht um reine Präsenz, sondern um Relevanz. Marken wie DillySocks zeigen, wie man Social Media charmant und authentisch nutzen kann – nicht nur zur Reichweitensteigerung, sondern zur echten Interaktion mit der Zielgruppe.
Wie viel Kontrolle hat ein Unternehmen überhaupt noch über seine Marke?
Marken werden heute zunehmend in Co-Kreation mit den Kunden entwickelt. Nutzer erzählen ihre eigenen Geschichten mit der Marke – über Social Media, Bewertungen oder Memes. Die Supermarktkette Edeka geht hier beispielhaft voran: Sie integriert bewusst nutzergenerierte Inhalte in ihre Kampagnen. Kontrolle wird durch Beziehung ersetzt.
Zum Schluss: Welches ist Ihre persönliche Love Brand aus der Ostschweiz?
Aus der Ostschweiz schätze ich besonders Säntis Malt. Die Marke vereint Regionalität, Qualität und gelungenes Storytelling. Zudem eignet sie sich hervorragend als Geschenk – und schafft dabei sofort einen Bezug zur Region.
Text: Stephan Ziegler
Bild: Gian Kaufmann