Wirtschaft

«Ein Glücksfall»

«Ein Glücksfall»
Daniel Bleuer
Lesezeit: 5 Minuten

Der «Brain-Drain» führt aus der und nicht in die Ostschweiz? Nicht zwangsläufig: Daniel Bleuer kommt ursprünglich aus Olten im Kanton Solothurn. Er studierte an der HSG und schloss mit einem Master in Wirtschaft und Recht ab. Nach kurzen Zwischenaufenthalten in Zürich und den USA zog es ihn wieder zurück nach St.Gallen. Heute ist Bleuer Präsident des Verwaltungsrates der Advokatur am Rosenberg (Advoro AG), einer Anwaltskanzlei mit Sitz im «Schoren». Warum er sich gerade für St.Gallen als Unternehmensstandort entschieden hat, erzählt der 39-Jährige im Gespräch.

Daniel Bleuer, selbstständig hätten Sie sich auch in Solothurn oder sonst wo in der Schweiz machen können. Es wurde aber 2013 St.Gallen. Haben Sie den Entscheid nie bereut?
Als ich in St.Gallen meine berufliche Karriere startete, kannte ich kaum jemand. Ich habe hier keine Verwandte oder Bekannte. Auch meine Studienkollegen sind nach dem Studium oder nach bestandener Anwaltsprüfung von St.Gallen weggezogen. Dass ein «Nicht-St.Galler» nach St.Gallen zurückkommt resp. hier bleibt, ist (leider) eine Ausnahme. Familie und Freunde waren anfänglich erstaunt über diesen Entscheid. Dabei hat St.Gallen sehr viel zu bieten. Mir gefällt an der Gallusstadt, dass sie trotz ihrer Grösse einen ländlichen Charakter beibehalten hat. Dies zeigt sich bei mir im Berufsleben insbesondere im Umgang mit anderen Anwälten oder den Behörden. Zudem hat St.Gallen nach wie vor grosses Wachstumspotenzial. Also nein, ich habe es auch nach über zehn Jahren Selbstständigkeit nie bereut, in die Ostschweiz gekommen zu sein.

Sie wussten schon während Ihrer Praktika, dass Sie nicht auf Dauer als Angestellter arbeiten möchten. Gab es dafür ein bestimmtes Erlebnis?
Genau gesagt war ich ausser meinen Praktika nie angestellt … Ich hatte bereits während meines Anwaltspraktikums den Entschluss gefasst, mich selbstständig zu machen, und habe dies nach Erhalt des Anwaltspatentes mit 29 Jahren direkt umgesetzt. Ich wollte selbst entscheiden, was ich wann wie erledige, und wusste, dass ich als angestellter Anwalt nicht glücklich
werden würde.

Sie haben hier auch einige Start-ups gegründet. Ist das Umfeld in St.Gallen dafür fruchtbarer als in Zürich?
Nein, leider eher im Gegenteil. Nach wie vor ist es so, dass es in St.Gallen schwierig ist, gute Fachkräfte zu finden. St.Gallen ist eine Studentenstadt. Die HSG wie auch die Fachhochschulen geniessen einen super Ruf. Dennoch bleibt kaum ein Absolvent hier, wenn er nicht familiär hier verwurzelt ist. Ähnlich verhält es sich auch mit der Investorensuche. Zürich ist international besser vernetzt; St.Gallen muss hier unbedingt seine Attraktivität steigern.

  

«Jedes neue Unternehmen trägt zur Standortattraktivität bei.»

Das heisst im Klartext: Wer nicht aus St.Gallen kommt, keine familiären oder persönlichen Bindungen zur Gallusstadt hat, kann kaum dazu bewegt werden, zum Arbeiten hierherzukommen?
Ja, das ist die Erfahrung, die ich immer wieder mache. St.Gallen ist für viele immer noch weit weg. Zudem werden hier nicht die Löhne bezahlt wie beispielsweise in Zürich. Und auch das Angebot an sozialen Aktivitäten ist andernorts grösser. So ist es schwierig, Personen zu überzeugen, für eine Arbeitsstelle nach St.Gallen zu ziehen.

Was schlagen Sie für eine Lösung vor?
St.Gallen bietet sehr viele Vorteile. Wir haben eine überaus starke Industrie, das Kantonsspital ist ein grosser Arbeitgeber. Aber ich denke, es müsste das Ziel sein, mehr Uni- oder FH-Absolventen in St.Gallen zu halten. Die Start-up-Szene wird immer grösser; die HSG macht sehr viel in diesem Bereich. Wir müssen Anreize schaffen, dass Jungunternehmer ihre Start-ups hier gründen und nicht in Zug oder Zürich. Wir versuchen, hierfür ebenfalls unseren Beitrag zu leisten: Wir betreiben selbst Legaltech-Start-ups, betreuen Jungunternehmer und planen bereits, ein weiteres Projekt zu lancieren. Jedes neue Unternehmen mit Sitz in St.Gallen trägt zur Standortattraktivität bei.

Ihnen selbst war in Zürich aber nie so richtig wohl. Was unterscheidet die St.Galler von der Zürcher Mentalität?
St.Gallen hat eben seinen ländlichen Charakter beibehalten. Dies zeigt sich im alltäglichen Leben, im Umgang miteinander im Berufsleben, aber auch im Austausch mit den Behörden. Wenn Sie in St.Gallen ein Amt um Information ersuchen, so kommt es oft vor, dass die Antwort mittels Rückruf geschieht. In Zürich wird man in der Regel auf den (langsamen) Schriftweg verwiesen.

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Die Advoro AG hat den Sitz im ehemaligen Restaurant «Schoren» am Rosenberg, einem bekannten Gebäude in St.Gallen. Sie bezeichnen den Kauf des Hauses 2021 als Glücksfall. Warum?
Es war ein enormer Glücksfall! Wir konnten damit die Räumlichkeiten des ehemaligen Restaurants umnutzen und Büroräumlichkeiten nach unseren Bedürfnissen bauen. Gleichzeitig haben wir die Kanzlei umfirmiert und dadurch unsere Ausrichtung geändert, was den Grundstein für unser Wachstum gelegt hat. Neben dem Restaurant befinden sich neun Wohnungen im Gebäude. Theoretisch können wir jederzeit weitere Räumlichkeiten in Büros umnutzen und somit noch mehr Arbeitsplätze schaffen. Diese Flexibilität hätten wir sonst nicht. Im Übrigen ist die Tatsache, dass man als Jungunternehmer überhaupt eine Liegenschaft an dieser Lage erwerben kann, Ausdruck für die Opportunitäten in der Ostschweiz.

Das heisst, solche Opportunitäten würden sich anderswo – sagen wir es offen: in Zürich – nicht bieten?
Mit Sicherheit wäre die Wahrscheinlichkeit viel geringer, überhaupt die Kaufmöglichkeit für eine entsprechende Liegenschaft zu bekommen. Dann sind die Immobilienpreise um einiges höher, weshalb sich ein Umbau in dem von uns vorgenommenen Umfang für den Eigengebrauch nicht mehr lohnen würde respektive wirtschaftlich kaum sinnvoll wäre.

Apropos Opportunitäten: Die Advoro AG vereint schon ein Team von rund 20 Personen, davon zwölf Rechtsanwälte. Wie sehen die weiteren Wachstumspläne aus?
Mit der Umfirmierung und Neuausrichtung unserer Kanzlei hatten wir das Glück, hervorragende neue Partner zu finden, welche dieses Wachstum ermöglichten. Damit verbunden ist auch unser neuer Standort in Zürich, der gleichsam den Vorteil bietet, einfacher neue Fachkräfte zu finden. Wie Advoro in ein bis zwei Jahren aussieht, weiss ich noch nicht. Wir haben keine Wachstumsziele definiert. Wir sind aber offen für neue gute Spezialisten, die menschlich wie auch fachlich in unser Team passen.

Sie haben die Neuausrichtung von Advoro angesprochen. Wie sieht diese aus?
Wir sind heute sehr breit aufgestellt und decken ein weites Spektrum ab, und zwar nicht nur für etablierte KMU und für Start-ups, sondern auch für Private. Wir verstehen uns nicht nur als kurzfristige Problemlöser, sondern bieten effiziente und nachhaltige Lösungen als Partner unserer Klienten. Mit dem Umbau des ehemaligen Restaurants in eine Anwaltskanzlei verfolgten wir auch das Ziel ein Begegnungsort zu schaffen, in dem neue (Geschäfts-)Ideen entstehen und umgesetzt werden. Im Gegensatz zum früheren Restaurant ist der Kaffee nun kostenlos. Es kann aber vorkommen, dass die Trinkzeit verrechnet wird (lacht).

Text: Stephan Ziegler

Bild: Thomas Hary

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