LEADER Digital Award

Wie man aus CO2 Wald macht

Wie man aus CO2 Wald macht
Lesezeit: 5 Minuten

Können Produkte, Prozesse oder gar ganze Unternehmen klima-neutral gestaltet werden? Ja, sagt Pascal Freudenreich, CEO der Carbon-Connect AG. Durch ein ausgeklügeltes System kann er sogar Webseiten klimaneutral werden lassen – und Events, wie etwa den LEADER Digital Award vom 7. September.

Pascal Freudenreich, der Slogan Ihrer Carbon-Connect AG lautet «Wir machen aus CO2 Wald». Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Zusammen mit unseren Kunden unterstützen wir primär Waldschutz- und Aufforstungsprojekte. Dabei wird der CO2-Ausstoss, der durch eine wirtschaftliche Tätigkeit an einem Ort verursacht wird, über ein entsprechendes Projekt, also eine CO2-Senke ausserhalb einer Unternehmung, kompensiert. Der Wald ist ja die zweitgrösste natürliche CO2-Senke – nach dem Meer – auf unserem Planeten. Es muss Priorität sein, das zu schützen, was wir weltweit noch an Wald haben – zugleich müssen wir massiv aufforsten, um das, was wir verloren haben, wieder zu gewinnen. Weltweit verursacht die Waldrodung zwischen acht und zehn Prozent aller CO2-Emissionen, das entspricht fast drei Mal dem CO-Ausstoss der gesamten Flugindustrie!

«Keine Firma kann es sich leisten, dem Thema keine Aufmerksamkeit zu schenken.»

Sie helfen Firmen und Privaten, Produkte, Prozesse oder ganze Unternehmen klimaneutral zu gestalten. Das heisst, Sie rechnen aus, wieviel CO2 etwa über einen bestimmten Zeitraum erzeugt, und sparen das an einem anderen Ort ein?
Genau. Alles beginnt mit der Analyse des CO2-Fussabdrucks (Corporate Carbon Footprint). Der CO2-Fussabdruck zeigt das grosse Bild auf, identifiziert potentielle Klimarisiken in einer Unternehmung und ist die Grundlage für jede CO2-Einsparstrategie. Ich kann mir gut vorstellen, dass jede Unternehmung einen solche Analyse haben muss. Die Herausforderung ist ja: Wir müssen von jährlich 50 Milliarden Tonnen CO2-Austoss bis 2050 auf 0 gehen.

Wo geschieht das in der Regel?
Generell überall, in unserem Fall in Südamerika, Afrika und Asien. Wir sind überzeugt, dass wir in diesen Ländern den höchstmöglichen Impact pro Franken haben. Zudem sichern die Projekte lokale Arbeitsplätze und zahlen faire Löhne – und sie tragen dazu bei, weitere Ziele der UN für eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen.

Und wie stellen Sie sicher, dass das, was abgemacht wurde, auch eingehalten wird?
Wir unterstützen nur verifizierte Projekte. Diese Daten sind öffentlich zugänglich, unsere Aktivitäten lassen wir durch unsere Revisionsstelle prüfen. Teilweise habe ich Projekte persönlich besucht und kenne diese.

 

Sie lassen auch Autos oder Webseiten CO2-neutral arbeiten. Da gehen Sie nach dem gleichen Prinzip vor?
Ja. Im B2C-Bereich rechnen wir mit nachvollziehbaren Durchschnittswerten, denn Lösungen müssen einfach und unkompliziert sein, selbst wenn es zu Lasten der absoluten Genauigkeit gehen sollte. Im B2B-Bereich wird das analog einer CO2-Bilanz berechnet, denn Mobilität ist ein zentraler Bereich jeder CO2-Bilanz. Bei Webseiten berechnen wir den Ausstoss anhand der Anzahl Besucher.

Sogar Events wie etwa unser LEADER Digital Award können dank Carbon-Connect klimaneutral durchgeführt werden. Wie gross schätzen Sie die CO2-Belastung einer solchen Veranstaltung, sagen wir mit 300 Gästen, ein?
Die genau Zahl kann ich Ihnen nach dem Event sagen; ich schätze den CO2-Fussaabdruck aber auf 25 bis 40 Kilogramm pro Teilnehmer. Dabei macht die Mobilität, also wie der Gast zum Anlass kommt, um die 70 Prozent der gesamten CO2-Bilanz aus. Wie Teilnehmer an ein Event reisen, ist für die CO2-Bilanz ausschlaggebend! Im Weiteren fallen Emissionen bei den Vorbereitungen an, bei der Verpflegung und beim Energieverbrauch während der Veranstaltung. 

Wie berechnen Sie denn den CO2-«Fussabruck» einer Person, eines Autos, einer Webseite, einer Veranstaltung oder gar einer Firma?
Dies geschieht nach einer finalen Besprechung der Systemgrenzen: Wir berechnen CO2-Bilanzen gemäss dem «Greenhouse Gas Protocol», hier sind Vorgehensweise und Kategorien von CO2-Emissionen klar definiert. Anschliessend benötigen wir entsprechende Daten der Kunden, je präziser diese Daten sind, je genauer können wir die Berechnung vornehmen.

«Der Wald ist die zweitgrösste natürliche CO2-Senke auf unserem Planeten.»

Ich kann mir vorstellen, dass es einen Imagegewinn für eine Firma bedeutet, wenn sie sich klimaneutral stellt. Ist das der Hauptgrund Ihrer Kunden, oder geht es diesen vornehmlich um Klimaschutz?
Primär um Klimaschutz und die Anforderungen der verschieden Stakeholder. Aber auch der gute Ruf und das Image sind zentrale Punkte. Keine Firma kann es sich 2021 noch leisten, dem Thema keine Aufmerksamkeit zu schenken, es ist schon fast ein Muss. Konsumenten wollen weiterführende Informationen in ökologischer Hinsicht, Investoren, Auftraggeber etc. wollen über die Thematik informiert sein – sie möchten wissen, woher ein Produkt kommt, wieviel Ressourcen dafür nötig sind, ob Menschenrechte und Umweltauflagen eingehalten werden oder wie Lieferketten aussehen.

Sehen Sie in Zukunft gar eine Pflicht für Firmen, Produkte und Prozesse klimaneutral zu gestalten?
Die Schweiz hat das Pariser Abkommen 2015 ratifiziert. Das Ziel ist klar: Die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu drücken bzw. zu stabilisieren. Das soll mit Netto-Null-CO2 Emissionen bis 2050 erreicht werden. D. h., fossile Brennstoffe dürfen nicht mehr eingesetzt werden. Der Wermutstropfen dabei ist, dass das Abkommen keine Sanktionen bei Nichteinhaltung vorsieht. Der Green-Deal der EU hat ähnliche, teilweise strengere Zielgrössen. Aber auch hier bin ich vorsichtig: Die Geschichte der EU zeigt zwar Mut zu grossen Verträgen, aber leider auch eine Aneinanderreihung von Vertragsbrüchen, wie die Einheitswährung, Schengen oder Dublin zeigen.

Ähnliches fordert die Gletscherinitiative in der Schweiz …
… über die der Souverän in den nächsten drei Jahren abstimmen wird, richtig. Sie möchte die Ziele des Pariser Übereinkommens in der Bundesverfassung verankern. Das bedeutet: Kein CO2-Ausstoss mehr aus menschengemachten Quellen! Ölheizungen, herkömmliches In-den-Urlaub-Fliegen oder Autofahren wird dann nicht mehr möglich sein.

Und was halten Sie von einer «Klimaneutralitätspflicht»?
Eine lokale Klimaneutralitätspflicht ist wenig sinnvoll – genau so wenig wie ein lokaler CO2-Handel wie das CO2-Emisisonshandelssystem in Europa. Denn dieser löst das Problem nicht, sondern verschiebt die CO2-Emisisonen in andere, nicht oder nur lasch regulierte Länder. Das sehen Sie etwa anhand der Angebotsseite von fossilen Brennstoffen: Es wird Öl, Gas und Kohle ohne Ende aus der Erde geholt, statt in Europa wird es dann einfach an einem anderen Ort verbrannt. So gelangen die CO2-Emissionen trotzdem in die Atmosphäre. Denn alle fossilen Brennstoffe, die irgendwo abgebaut werden, werden auch verbrannt. Wenn nicht bei uns, dann halt an einem andern Ort.

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«Wir berechnen CO2-Bilanzen gemäss dem ‹Greenhouse Gas Protocol›, hier sind Vorgehensweise und Kategorien klar definiert.»

Wir benötigen also ein globales Emissionshandelssystem.
Absolut – inklusive den USA, China und Indien – und einen internationalen CO2-Preis. Alles andere ist zwar ein erster guter Schritt, hilft aber leider nicht. Europa möchte bis 2050 klimaneutral werden. Rechnen wir das seit dem Kyoto-Protokoll 1990 durch, dann haben wir nach über der Hälfte der Zeit heute nur knapp 24 Prozent CO2-Emisisonen in Europa eingespart. Es verbleiben uns nicht einmal mehr drei Jahrzehnte, die restlichen drei Viertel zu schaffen – und global ist der CO2-Ausstoss unter dem Strich sogar gestiegen. Das ist eine Mammutaufgabe, die Mondlandung war ein Klacks dagegen!

Text: Stephan Ziegler

Bild: Marlies Thurnheer

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