Weniger Bildschirm, mehr Bildung

Gion M. Pedrazzini, Sie haben die 1964 gegründete Ortega-Schule 2022 von der Gründerfamilie Baumgärtner übernommen. Was hat Sie dazu bewogen, in den Bildungsmarkt einzusteigen?
Durch meine dortige Schulzeit und die Zeit als Nachhilfelehrer während meines Wirtschaftsstudiums war es fast folgerichtig, die Schule weiterzuführen, denn ich wusste genau, worauf ich mich einlasse, und war – und bin – absolut überzeugt vom Angebot und Konzept der Ortega. Ausserdem habe ich bereits vor 2022 Firmen gegründet, aufgebaut und übernommen. Entsprechend war der Schritt für mich nicht ganz so gross. Es fühlt sich aber auch gut an, in einem Bereich zu arbeiten, der so sinnvoll ist: Kinder sind unsere Zukunft, und Bildung eröffnet ihnen viele Chancen. Das motiviert extrem.
Und ist die Rechnung bis dato aufgegangen?
Die Rechnung geht an einer kleinen Privatschule sicher nie so gut auf, wie sie dies in anderen Firmen tut. Aber gefühlt geht sie für mich absolut auf: Ich konnte schon vielen Kindern mit der Aufnahme an unsere Schule eine Chance bieten, habe ein grossartiges Team aufgebaut und der Ortega zum 60. Jubiläum einen neuen «Anstrich» verpassen dürfen. Es geht jedenfalls nur aufwärts.
Ihr Schulkonzept basiert auf klassischen Bildungsidealen und setzt auf «Kopf, Herz und Hand». Funktioniert diese «Old School»-Kombination heute noch?
Mehr denn je! Wir können noch so viele digitale Hilfestellungen – KI, Tablets usw. – in Anspruch nehmen, wir bleiben trotzdem Menschen. Und wir entwickeln uns garantiert nicht innert weniger Jahrzehnte zu einer Spezies, die sich völlig an die digitale Welt angepasst hat. Deshalb versuchen wir, wichtige traditionelle Werte, Strukturen und Hilfsmittel zu erhalten. Ohne dabei stur zu sein, natürlich – wir verschliessen die Augen vor dem Fortschritt nicht.
«Unsere Schüler arbeiten mit Stift und Papier – und unsere Lehrpersonen mit Wandtafel und Kreide.»
Privatschulen gibt es viele – was unterscheidet die Ortega-Schule von anderen privaten Bildungseinrichtungen?
Ich beobachte, dass die meisten privaten Bildungseinrichtungen um uns herum entweder einen Weg der Montessori-Pädagogik oder des selbstbestimmten digitalen Lernens eingeschlagen haben. Wir sind aber überzeugt, dass die öffentlichen Schulen nichts grundsätzlich falsch machen, sondern einfach nicht die gleichen Möglichkeiten haben wie wir an einer Privatschule: Bei uns sind die Klassen klein, wir können schnell reagieren und müssen nicht alle paar Jahre wieder eine Reformation durchmachen.
Und Sie arbeiten wohl kundenorientierter, da Sie sich selbst über Wasser halten müssen…
… und nicht von Steuergeldern profitieren, richtig. Wir unterscheiden uns also von anderen privaten Bildungseinrichtungen dadurch, dass wir am klassischen Schulkonzept festhalten und versuchen, das Beste daraus zu machen. Unsere Schüler arbeiten mit Schulbüchern und Theorieheften – also mit Stift und Papier – und unsere Lehrpersonen mit Wandtafel und Kreide. Natürlich auch mit Visualizer und Beamer. Aber eben noch von Mensch zu Mensch und nicht über Bildschirme. Es ist erwiesen, dass es Kindern in der Entwicklung nicht guttut, wenn sie zu oft an einem elektronischen Gerät arbeiten.
Ihr Angebot richtet sich an Schüler, die auf ihrem Bildungsweg an eine Grenze stossen?
Genau. Ob sie stoffliche Lücken haben und nicht mehr mit ihrer Klasse mithalten können oder im Gegenteil unterfordert sind und mehr «Futter» benötigen. Ob sie gemobbt werden oder mit ihrer Klassenlehrperson nicht mehr auskommen. Natürlich gibt es auch diejenigen, die «freiwillig» zu uns kommen, weil die Eltern von unserem Konzept überzeugt sind. Das ist dann halt eine Kostenfrage. Weniger geeignet ist unser Angebot sicher für Schüler, die sehr gut selbstständig arbeiten und sich nicht zu sehr an vorgegebene Strukturen halten möchten: Bei uns sind Strukturen wichtig, um den Schülern einen klaren Rahmen und Sicherheit zu geben. So können sie sich ganz auf ihren Job als Schüler konzentrieren.
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«Wir haben keine Du-Kultur, wir finden diese Differenzierung zwischen Lehrperson und Schüler wichtig.»
Sie legen Wert auf eine werteorientierte Bildung. Wie vermitteln Sie diese Werte, und wie erleben Sie den Wandel in den Erwartungen von Eltern und Schülern?
Gegenseitiger Respekt ist uns ganz wichtig; Konflikte zwischen Schülern werden sofort angegangen und gemeinsam gelöst. Wir haben auch keine Du-Kultur, wir finden diese Differenzierung zwischen Alt und Jung bzw. Lehrperson und Schüler weiterhin wertvoll und wichtig. Es herrscht trotzdem eine sehr familiäre Atmosphäre an unserer Schule. Auch sauberes Arbeiten, Ordnung in den Schulunterlagen oder Termine einhalten sind uns wichtig. All das hilft unseren Schülern später, in einer Berufsausbildung oder einer weiterführenden Schule zu bestehen.
Die Ortega-Schule setzt auf eine «entdigitalisierte» Lernumgebung. Was hat Sie dazu bewogen, diesen Weg einzuschlagen?
Natürlich sind wir nicht komplett «entdigitalisiert». Wir verschliessen die Augen vor dem Fortschritt nicht und wollen unsere Schüler ganzheitlich für ihre Zukunft rüsten. Aber wir haben uns von Anfang an gegen den Ersatz von Schulbüchern durch Tablets gewehrt. Wir sind überzeugt, dass es den Kindern und Jugendlichen nicht bei der Entwicklung hilft, wenn sie nur noch am Bildschirm lernen. Auch wir Erwachsenen spüren die negativen Auswirkungen des ständigen Arbeitens am Handy, Computer und Tablet. Unsere Schüler lernen im Informatikunterricht den Umgang mit digitalen Arbeitsgeräten, und unsere Tablets werden punktuell in einzelnen Fächern eingesetzt. Aber eben nur punktuell.
Wie reagieren Eltern und Schüler darauf, die an digitale Hilfsmittel gewöhnt sind?
Bis jetzt hatte ich tatsächlich nur positive Reaktionen auf diesen Umstand in Informationsgesprächen. Erstaunt war ich, dass auch die Kinder jeweils aufgeatmet haben und meinten: «Wow, so schön.»
Viele Privatschulen werben mit digitalem Fortschritt, modernster Technik und individualisiertem Online-Unterricht. Die Ortega-Schule geht den umgekehrten Weg. Haben Sie das Gefühl, dass sich Bildung zunehmend von ihrem eigentlichen Kern entfernt?
Ja. Bildung war früher einfach das Mithelfen und Zuschauen bei Erwachsenen. Die Kinder brauchen eine Bezugsperson und Führung, müssen etwas Reales vor sich haben, um es zu erfassen. Da geht es für mich heute definitiv in eine falsche Richtung: Die digitale Welt mag in der Wirtschaft unglaublich wichtig sein, damit effizient gearbeitet werden kann. Aber müssen wir damit wirklich schon in der obligatorischen Schulzeit beginnen? In der Schule geht es ja um viel mehr als nur effizientes Lernen.
Nämlich?
In der obligatorischen Schulzeit müsste wieder mehr Augenmerk auf die gesamtheitliche Entwicklung der Kinder gelegt werden. Da bieten sich klassische Methoden an. Unsere Kinder lernen noch früh genug, sich in der digitalen Welt zurechtzufinden – oft auch ohne unsere Hilfe. Wir sollten sie einfach darauf vorbereiten und ihnen auch die Risiken aufzeigen.
Wie sehen Sie die Zukunft der Ortega-Schule – gibt es Pläne für Erweiterungen?
Nein, wir möchten nicht wachsen und auch keine neuen Standorte eröffnen. Uns sind die Qualität und die familiäre Atmosphäre sehr wichtig, das bedingt eine begrenzte Grösse. Wir entwickeln unsere Angebote aber stets weiter und führen manchmal auch Neues ein – jedoch nur vor Ort und mit dem bestehenden Team.
Zum Schluss: Welche Schüler-(Erfolgs-)Geschichte hat Sie persönlich am meisten beeindruckt?
Erfolgsgeschichten gibt es viele an der Ortega-Schule. Beeindruckt hat mich aber immer am meisten, wenn ein Schüler in eines unserer schulischen Spezialprogramme aufgenommen wurde – aus disziplinarischen, fachlichen oder gesundheitlichen Gründen – und dann extreme Fortschritte gemacht hat, bis zur erfolgreichen Integration in eine Klasse mit Schulabschluss. Diese Schüler sind meistens sehr dankbar für die Chance, die sie hier hatten, und kommen regelmässig zu Besuch. Das freut uns immer sehr.
Text: Stephan Ziegler