KI und die Nächstenliebe

Text: Louis Grosjean, Partner altrimo
Wir kennen aktuell einen erneuten Hype um die künstliche Intelligenz («KI»). Das ist nicht neu. Seit den 50er-Jahren des XX. Jahrhunderts erleben wir regelmässige Wellen des technologischen Durchbruchs, gefolgt von sog. «KI-Wintern», in welchen nicht viel passiert.
Dieses Mal, so scheint es, beschränkt sich die Wirkung von KI allerdings nicht mehr auf einige Labor-Fälle. Die Breitenwirkung ist mit Chatbots und weiteren vielfältigen Anwendungen spürbar.
Sogar bei uns, in der KMU-Welt, wird getestet. In meinem Unternehmen – konkret im Immobilienbereich – stehen KI-Anwendungen bereit, die uns administrative Arbeiten abnehmen. In Aussicht gestellt werden analytische Anwendungen. In naher Zukunft soll die Beratung teilweise – so man es denn will – durch KI-Anwendungen übernommen werden.
Das bringt ethische Fragen mit sich: Was sollen wir delegieren, was nicht? Dies ist längst kein theoretisches Dilemma mehr, denn diese Frage stellt sich den meisten KMU-Unternehmern, früher oder später.
Nächstenliebe als Massstab
Kürzlich stiess ich auf eine Textstelle in einem Werk von Aldous Huxley, genannt «Ends and Means», welches im Jahr 1937 erschien. Huxley spricht dem technologischen Fortschritt jeglichen positiven moralischen Stellenwert ab.
Er geht weiter: Wenn technologischer Fortschritt nicht im Dienste der Nächstenliebe steht, sei er negativ zu werten. Denn, so Huxley: «Der technologische Fortschritt hat uns lediglich die Mittel zum Rückschritt gegeben.» Das hat er acht Jahre vor der ersten Atombombe geschrieben.
Keine Technologie ohne Moral?
Die Frage lautet: Welcher Fortschritt gilt wirklich als Verbesserung unserer Welt? Mit der künstlichen Intelligenz haben wir mehr als lineare intellektuelle Fähigkeiten entwickelt. Sie sind exponentiell, weil KI eben lernt. Die Mittel, die sie uns gibt, sind enorm. Die Ziele, die wir damit verfolgen werden, sind noch unbekannt.
Wir sind wie die mythologische Figur des Prometheus: Mit dem Feuer ausgestattet, wollen wir Gutes für die Menschheit tun. Was aber Zeus, der Bestrafer von Prometheus, schon wusste: Eines Tages ändern die guten Absichten. Früher, später, das wissen wir nicht – aber statistisch ist es sicher. In diesem Moment hat Prometheus das Feuer immer noch in der Hand; in diesem Moment steht die KI immer noch da.
Es geht noch weiter. Die Ziele, die Absichten der künstlichen Intelligenz werden eines Tages ausserhalb unserer Kontrolle stehen. Das ist eine Gefahr, aber auch eine Chance. Wird KI Adolf Hitler oder Jesus Christus sein? Wird sie Ziele der gewaltsamen Herrschaft oder der Nächstenliebe verfolgen?
Das hängt davon ab, welche moralischen Werte die KI antrainiert bekommt. Künstliche Intelligenz zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass sie durch Training lernen kann. Lernt sie nur die Effizienz, kann sie auch das effiziente Töten lernen. Es ist daher für die Zukunft der Menschheit zentral, der künstlichen Intelligenz moralische Tugenden beizubringen.
Welche Tugenden? Nächstenliebe, meine ich, in Anlehnung an Huxley. Die Goldene Regel könnte auch ein Ansatz sein: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Weitere Tugenden, etwa aus der aristotelischen Ethik, dürften den Eignungstest bestehen. Das führt uns allerdings sehr weit und wäre Stoff für einen zweiten Artikel.
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Was soll ich als Unternehmer mit KI tun?
Zurück zu meinem bevorstehenden Entscheid, KI in meinem Unternehmen einzusetzen. Was kann ich in meiner bescheidenen unternehmerischen Welt tun?
Drei Grundsätze habe ich mir fürs Erste zurechtgelegt:
Erstens: KI soll so lange keine moralischen Entscheide an meiner Stelle fällen, bis ich im Detail verstanden habe, wie sie moralisch trainiert wird.
Zweitens: KI soll zuerst lernen, moralische Urteile zu fällen (und zwar so, dass ich diese nachvollziehen kann), bevor sie das Recht bekommt, mit meinen Kunden und Mitmenschen zu interagieren.
Schliesslich: Ist KI moralisch soweit, dass ihre Entscheide der Nächstenliebe förderlich sind? Zumindest in der Tendenz sollte dies der Fall sein.
Die Frage an uns alle lautet: Wie bewusst setzen wir KI-Anwendungen ein?