Thurgau

«Ich wollte es einfach anders machen»

«Ich wollte es einfach anders machen»
Mitinhaber und CEO medfit Gruppe
Lesezeit: 5 Minuten

Das Sportmedizinische Zentrum medfit feiert dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Im Interview blickt CEO und Mitinhaber der Medfit AG Peter Roth in die Anfänge des Unternehmens und erzählt, was er sich für die nächsten Jahrzehnte wünscht. 

Peter, du bist schon über 20 Jahre Physio – wie hat sich deines Erachtens die Ausbildung und der Berufsalltag verändert in dieser Zeit?
Es werden ganz andere Schwerpunkte gesetzt – während vor 20 Jahren der Fokus auf manueller Arbeit, sogenannten Hands-on-Techniken, lag, hat sich dieser heute auf die aktive Therapie und ihre Hands-off-Techniken verlagert. Auch in Sachen Konzepte und Standards hat sich einiges getan: Was früher eine Seltenheit war, ist heute gang und gäbe. Der RTAA-Standard (return to work/sport algorythm) sei hier als Beispiel angeführt – der stellt den gewünschten Therapieerfolg sicher.

Heute wird – nicht zuletzt auch aufgrund von Forderungen seitens Politik – das menschliche Verhalten analysiert und entsprechend den Erkenntnissen das Verhalten der Menschen zu ändern versucht. Ein neuer Lifestyle mit mehr Bewegung wird propagiert. Absolut sinnvoll, ab 2030 ist mehr als die Hälfte unserer Gesellschaft Ü60 – und gleichzeitig fehlen Fachkräfte in Grundversorgung und Physiotherapie.

Was hat sich bei dir geändert; denkst du und behandelst du noch gleich wie «frisch ab Ausbildung»?
Den damaligen Umständen geschuldet habe ich meine ersten Jahre der Weiterentwicklung von passiven Techniken mehr Beachtung geschenkt. Seit 10 Jahren ist es genau umgekehrt. Heute bin ich der Ansicht, dass die richtige Mischung aus beidem am effizientesten zum Erfolg führt. Trotzdem führt längerfristig an verhaltenstherapeutischen Ansätzen kein Weg vorbei: Menschen meiner Generation und älter sind geprägt von passiver Behandlung, da gilt der Physiotherapeut oft als Masseur – sie denken, dass nur passive Behandlungsmethoden wie Massagen helfen.

Klar, eine Massage ist etwas Schönes und tut gut. Aber oftmals wird nur Symptombehandlung betrieben. Sinn machen sie als Teilaspekt einer ganzheitlichen Behandlung. Heute wird eine holistische Betrachtungsweise noch essenzieller, um eine adäquate und erfolgreiche Therapie zu finden: Denn der Mensch besteht nicht nur aus einem Gelenk oder Muskel – die gesamte «Maschine» funktioniert nicht ohne Zentralnervensystem. Der Mensch ist nicht nur anfällig für Beschwerden, die direkt dem Bewegungsapparat zugeschrieben werden können. Nein, immer mehr werden äussere Faktoren (Familie, Stress, Scheidung, Jobverlust, Angst etc.) als Ursachen gesehen, die massgeblich Einfluss auf die Beschwerden haben. Für mich steht daher die Bewegung im Fokus; einerseits das Befähigen meiner Patientinnen und Patienten dazu, durch mobilisierende Techniken und andererseits durch aktives Bewegen und Trainieren. Im Fokus liegt dabei die Qualität der Bewegung, indem das Zusammenspiel der Gelenke, Muskulatur und des Zentralen Nervensystems gefördert wird.

Medfit wird dieses Jahr 20 Jahre alt – herzliche Gratulation erst mal. Was hat dich zur Gründung bewogen? 
Ich wollte es anders machen! Das zeigt sich schon im Namen medfit: ein Akronym aus Medizin und Fitness. Vor 20 Jahren war ich ein bunter Hund in der Branche, dadurch, dass ich der Bewegung mehr Gewicht gab. Aber ich stand halt schon damals für Diagnostik, Therapie und Training ein – betrieb sogar ein eigenes Ganglabor.

Heute arbeiten wir in diesem Bereich mit der hoch spezialisierten Firma swissbiomechanics zusammen. Was sich ebenfalls seit den Anfangszeiten bis heute gehalten hat, ist der Stellenwert, den aktive Therapie bei mir geniesst. Deshalb betreiben wir mittlerweile an jedem Standort auch Medizinische Trainingstherapie (MTT); in den meisten Fällen mit einem Partner, wie vitalwerk, aktivfitness oder Aurum. Was ich auch von Anfang an anders gemacht habe, war, das ganze Thema Buchhaltung auszulagern.

Die damalige Freelancerin wurde im Laufe der Jahre zu einer wichtigen Mitarbeiterin im Betrieb. Gemäss dem Motto «Schuster bleib bei deinen Leisten» habe ich mich voll auf mein Kernbusiness und Entwicklung des Unternehmens konzentriert – von damals einer One-Man-Show zu heute rund 70 Mitarbeitenden.

Und was würdest du sagen waren die wichtigsten Meilensteine in diesen 2 Jahrzehnten?
Die wohl bedeutsamsten Highlights in der medfit-Geschichte sind für mich die ersten Male. Das Einstellen meines ersten Mitarbeitenden beispielswiese – auch weil ich mich damals fragte, ob ich mir das überhaupt leisten kann. Gleichermassen war das Eröffnen der ersten medfit-Zweigstelle ein wichtiger – und hart erarbeiteter – Meilenstein. Heute ist das einfacher für mich; nach zehn erfolgreichen Projekten wissen wir, wie der Hase läuft. Die Prozesse haben sich gefestigt, es geht fast automatisch.

Für mich persönlich war meine Zeit in der Sportbetreuung ein einziges grosses Highlight. Ob in den Nachwuchsstufen der Schweizer Nati, beim FC St. Gallen oder als ich ein Mountainbike-Team auf Weltcup-Tour begleitete – diese Erinnerungen werden mir für immer bleiben. Der letzte wichtige Meilenstein in der medfit-Geschichte – und für mich persönlich ebenfalls ein Highlight – war meine Auszeit Ende 2019/Anfang 2020. Die Rückkehr inmitten der Pandemie werde ich zwar nicht so schnell vergessen – die Ziele, die ich mir während meiner «Verschnaufpause» gesteckt hatte, konnte ich aber trotz Covid erreichen. Ich habe den Kompass wortwörtlich neu gestellt und medfit ist so richtig durchgestartet.

 

Seit einiger Zeit setzt medfit zudem auf interdisziplinäre Gesundheitszentren, in welchen mit Partnern zusammengespannt wird. Was hat dich zu diesem Schritt bewogen?
Shopping Center haben in der Vergangenheit gezeigt, dass mehrere Dienstleistungen unter einem Dach ein Bedürfnis adressieren. Steigende Mieten, höhere Kosten sind ein Teil des Kuchens, das weitaus grössere Stück stellt aber die Effizienz dar – dadurch, dass wir nur eine Rezeption mit Wartebereich sowie gemeinsame Garderoben- und Aufenthaltsräume für die Mitarbeitende anbieten, sparen wir enorm. Platz wie Geld. Das grösste Plus sehe ich allerdings in der interdisziplinären, teils sogar «synchronen» Zusammenarbeit bei Patientinnen und Patienten. Heute vermisse ich den «klassischen» Hausarzt, der seine Patienten kannte und vieles intuitiv und richtig gemacht hat. Mit unseren interdisziplinären Zentren wollen wir an diesem Punkt anknüpfen und durch die interne Zusammenarbeit einen Mehrwert bieten.

Wenn wir uns in 10 oder 20 Jahren wieder zusammensetzen und medfits dreissigsten oder vierzigsten feiern… was denkst du, könnte sich in Beruf/Ausbildung, bei medfit und seinen Partnern sowie in der Gesundheitsbranche allgemein getan haben? 
Ich hoffe, dass der Mensch für seine Gesundheit mehr Verantwortung übernimmt. Ich wünsche mir Menschen, die kritisch sind und Dienstleistungen oder auch Operationen nach ihrer Notwendigkeit, Effizienz und Wirksamkeit beurteilen. Hoffentlich gibt es dann zudem ein daten- und faktenbasiertes Gesundheitsfach auf der obligatorischen Schulstufe – schon Kinder sollen die Wichtigkeit von Gesundheit erkennen, den Wert von Bewegung und Beweglichkeit schätzen lernen. Denn ganz nach Schoppenhauer: «Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.»

Medical Chat GPT (Künstliche Intelligenz) wird hoffentlich – ähnlich einem Modell in China, wo Leute ihre Diagnosen in "Telefonzellen" erhalten und ihre Medikamente am selben Ort beziehen können – auch in der Schweiz Einzug halten. Teilweise sind diese Diagnosen besser als die der Ärztinnen und Ärzte, da auf eine enorme Datenbank an Präzedenzfällen zurückgegriffen werden kann. So kann uns künstliche Intelligenz helfen, die verstopften Notfälle zu entlasten, indem «Bagatellen» in solche Mediboxen ausgelagert werden.

Und was würdest du dir wünschen, dass sich bis dahin ändert?
Für unsere Branche wünsche ich mir den Direct Access; ähnlich wie in den nördlichen Nachbarländern. Ich hoffe zudem, dass wir für die demografische Entwicklung, respektive ihre Folgen, (digitale) Lösungen gefunden haben – denn Physiotherapie soll immer noch für jedermann und -frau zugänglich und nicht einer exklusiven Gesellschaft vorbehalten sein. Ich denke aber, dass sich die Physiotherapie dazu nochmals neu erfinden muss.

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