Gast-Kommentar

Es wird schwierig

Es wird schwierig
Louis Grosjean
Lesezeit: 3 Minuten

Härte ist heutzutage nicht mehr «in», wenn es um Leadership geht. Das war nicht immer so. Was ist davon zu halten? Kann Härte nützlich sein?, fragt sich Louis Grosjean in unserer Serie «LEADER-Philosophie».

Text: Louis Grosjean, Partner altrimo

Stellen Sie sich eine Bergwanderung vor. Sie sind in einer Gruppe, kennen jedoch den Weg am besten und führen diese deshalb an. Die Aussicht ist wunderschön. Der Weg ist aber ganz schön anstrengend: Höhenmeter, unterschiedliche Fitness der Teilnehmer, rutschige Steine. Auch bei Ihnen läuft nicht alles rund. Eine Druckstelle am Fersen macht Ihnen zu schaffen. Sie bringen ein paar Kilo mehr auf die Wage als noch letztes Jahr, und das merken Sie. Die Gruppe macht eine Pause. Einige möchten umkehren. Sie geraten ins psychologische Wanken. Was nun?

Die soeben geschilderte Situation ist das tägliche Brot von Leadern. Leader sind Leader, weil sie etwas erreichen wollen. Sonst sind sie Verwalter. Leader treffen auf ihrem Weg manche Steine und sonstige Hürden. Das gehört dazu.

Die eine Haltung könnte hart sein: Immer vorwärts, ohne Rücksicht auf Verluste. So gingen Alexander der Grosse und Napoleon vor. Sie würden eine flammende Rede halten und die Wandergruppe weitertreiben.

Die andere Haltung könnte differenziert sein: Man passt das Tempo dem Schwächsten an; oder die Gruppe teilt sich auf, und nur diejenigen, die wollen, wandern weiter nach oben. Die anderen kehren um.

Differenziert im Alltag …

Meine These lautet: Ein wirklich guter Leader ist bei auftretenden Schwierigkeiten in der Lage zu beurteilen, wann er differenziert und wann er hart reagieren muss.

Beginnen wir mit der differenzierten Haltung. Diese kann taktisch sein: Ich verzichte einstweilen auf die direkte Erreichung des Ziels, um später nochmals zu versuchen oder weitere lohnende Ziele zu verfolgen. Der Wanderleiter peilt einen anderen Berg an; oder verspricht, die Wanderung bei nächster Gelegenheit zu wiederholen. Die Kompromisskultur im Schweizer Parlament ist voller Beispiele davon.

Die differenzierte Haltung kann auch darin bestehen, zwischen dem eigenen und dem fremden Einflussbereich zu unterscheiden. Für den eigenen Einflussbereich (in unserem Beispiel: Schuhauswahl, Körpergewicht) bin ich verantwortlich. Den fremden Einflussbereich (steile Wege, rutschige Steine, Fitness der anderen Teilnehmer) hat man zu akzeptieren.

So weit, so gut. Mit der differenzierten Haltung wird die Wandergruppe im Frieden untereinander bleiben und die Ziele vielleicht anpassen. Das ist für eine Freizeit-Aktivität wie das Wandern angemessen.

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… hart im Ernstfall

Wenden wir uns nun der harten Haltung zu. Stellen Sie sich folgende Abwandlung unseres Beispiels vor: Es handelt sich nicht um eine Wandergruppe, sondern um Ihren Infanteriezug mitten im Krieg. Sie sind auf dem Rückzug, der Nachschub ist unterbrochen. Es ist dunkel, kalt und nass. Mindestens 30 Km zu Fuss sind bis zum Sammelpunkt zurückzulegen. Die Truppe ist erschöpft. Was nun?

Die differenzierte Haltung bringt den sicheren Tod mit sich: Der Gegner wird Sie und Ihren Zug überfallen. Wenn Sie mit Ihrer Truppe überleben wollen, müssen Sie unter Inkaufnahme von Leiden und eventuell Verlusten weitermarschieren. Im Ernstfall gilt die maximierende Haltung.

Das ist die Tugend der Härte. Diese haben sehr bewunderte Persönlichkeiten in entscheidenden Augenblicken an den Tag gelegt. Churchills «We shall never surrender»-Rede im Jahr 1940, Leonidas von Sparta bei den Thermopylen im 480 v. Chr., Kennedys «Ich bin ein Berliner» haben die Geschichte beeinflusst, weil diese Leader im richtigen Moment hart sein konnten.

Bewusst habe ich zwei extreme Beispiele ausgewählt. Freizeit und Krieg könnten nicht unterschiedlicher sein. Mir ging es um die Illustration folgender Aussage: Leader, die nur Härte zeigen, sind stur. Leader, die nur differenzieren können, brechen im Sturm ein.

Kultivieren Sie die Differenzierung, aber üben Sie sich gelegentlich in Härte. Die eine hilft im Alltag, die andere ist im Ernstfall unentbehrlich.

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