Gast-Kommentar

Expertise

Expertise
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Wir stehen kurz vor den Jahresendgesprächen. Zeit, sich Gedanken über die massgebende Währung in der Arbeitswelt zu machen – nicht den Schweizer Franken, sondern die Expertise. Warum wird die Arbeit sinnvoller durch Expertise?, fragt sich Louis Grosjean in unserer Serie «LEADER-Philosophie».

Text: Louis Grosjean, Partner altrimo

In Zeiten von Fachkräftemangel ist Expertise ein rares, gesuchtes Gut. So zumindest die Perspektive des Arbeitgebers. Umso mehr müssen sich Leader darüber Gedanken machen, wie sie gute Mitarbeiter gewinnen, wie sie deren Expertise fördern und schliesslich nutzen.

Expertise gibt der Arbeit einen Sinn

Expertise ist jedoch nicht nur eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Sie gibt der Arbeit einen Sinn und erhöht die Mitarbeiterzufriedenheit. Expertise entspricht einem Urbedürfnis nach Selbstvertrauen. Stolz sein ist ein unvergleichlich positives Gefühl.

In einem Artikel aus dem Jahr 2016 beschreiben die beiden Philosophinnen Anca Gheaus und Lisa Herzog, inwiefern Expertise der Arbeit Sinn verleiht. Es gehe einerseits um die Beziehung zwischen dem Mitarbeiter und dem Ergebnis seiner Arbeit. Andererseits gehe es aber auch um die Beziehung zwischen dem Mitarbeiter und seinen Kompetenzen. Ersteres bezieht sich auf die Vergangenheit, auf vollbrachte Taten. Letzteres ist eher zukunftsorientiert: Zu Wissen, dass man etwas meistern wird. Es geht um das Selbstwertgefühl.

Bestätigung, Fokussierung und Ausdauer

Es braucht immer wieder vergangenheitsorientierte Bestätigungen, um das zukunftsorientierte Selbstvertrauen zu erhalten. Der Schreiner schaut sich die fertiggestellten Objekte an – das Bett, den Schrank, den Tisch – und sagt sich: "Das ist gute Arbeit. Ich kann das auch in Zukunft tun."

Expertise entsteht zwar überall, auch jenseits der Arbeitswelt. So pflegen wir alle gewisse Hobbies und finden Gefallen daran, wenn wir gut darin sind: Gitarre spielen, Marathon laufen oder Bilder malen.

Wie es Gheaus und Herzog beschreiben, hat Expertise jedoch einen besonderen Bezug zur Arbeitswelt. Denn Expertise verlangt nach Fokussierung und Ausdauer. Das geht nur mit einer zeitlichen Intensität, die in unserer Gesellschaft vielfach der Erwerbsarbeit vorbehalten wird. Und so geschieht es, dass die Top-Experten ihre Hobby-Aktivitäten wie Fussball und Musik zum Beruf machen.

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Kann jeder die Nummer 1 sein?

Wie handeln wir mit dieser Währung – der Expertise – möglichst effizient? Von den verschiedenen Möglichkeiten möchte ich eine hervorheben und wie folgt herleiten.

Zu Beginn steht die Prämisse, dass jeder von uns aufgrund seiner Expertise eine gewisse Einzigartigkeit geniessen möchte. Die Nummer 1 zu sein, ist schön: ob am Grümpeli-Turnier, an einer Prämierung für akademische Arbeiten oder auf der Empfehlungsliste einer einflussreichen Person für spezifische Arbeiten. Den ersten Platz zu erreichen ist nicht immer möglich, aber ein gewisses Ideal.

Wendet man dieses Ideal auf seine Organisation an, so muss es für jeden Mitarbeiter ein Thema geben, wo er die Nummer 1 sein kann. Ein Thema, bei dem dieser Mitarbeiter sagen kann: Im Betrieb kann das niemand besser als ich. Das Thema muss nicht immer hoch strategisch oder besonders komplex sein. Expertise kann sich auch auf einfache Aufgaben beziehen.

Umgekehrt ist jedes Unternehmen gut beraten, sich zu überlegen, ob für jede wichtige Aufgabe im Unternehmen genug Expertise im Haus vorhanden ist.

Das Zwischenergebnis dieser Analyse ist ein Vergleich zwischen benötigten und vorhandenen Kompetenzen, d. h. Aufgaben und Mitarbeitern. Von diesem Zwischenergebnis aus kann man Mitarbeiter entwickeln und rekrutieren.

Den nächsten Schritt und das Endergebnis bildet das zuvor angesprochene Ideal im Unternehmen:

Es gibt keine relevante, benötigte Kompetenz, ohne dass ein Mitarbeiter als Experten dafür positioniert und entwickelt wird;

Es gibt keinen Mitarbeiter ohne zugewiesenes Expertise-Thema.

Ich wünsche allen Leadern, die Mitarbeiter-Gespräche vor sich haben, eine gute Vorbereitung und eine erfreuliche Durchführung.

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