Gast-Kommentar

Im Tiefpunkt verantwortlich

Im Tiefpunkt verantwortlich
Louis Grosjean
Lesezeit: 3 Minuten

Verantwortung übernehmen ist kein Zuckerschlecken. Es ist, in der Talsohle einer Krise den Unterschied zu machen. Deshalb bereiten sich verantwortungsvolle Leader bewusst auf den Tiefpunkt vor. Wie das geht, skizziert Louis Grosjean in unserer Serie «LEADER-Philosophie».

Text: Louis Grosjean, Partner altrimo

Frisch gebackene Leader freuen sich, zu Recht. Die Beförderung, das Anvertrauen von Aufgaben, die Übernahme von Personalverantwortung: Alles Themen, die dem Ego schmeicheln.

Was man dem frisch gebackenen Leader in dieser freudigen Phase selten sagt: Das wird streng. Viel strenger, als du denkst. Wann? Keine Ahnung. Aber die nächste Krise kommt, und sie wird deine ganze Energie beanspruchen.

Meine These ist deshalb: Wer die nächste Krise durchstehen will, muss diese im vollen Besitz seiner Kräfte antreten. Im Folgenden möchte ich zeigen, warum und wie.

Verantwortung: antworten

Klären wir zunächst eines: Der Begriff «Verantwortung» beinhaltet «Antwort». Verantwortung ist also nicht einfach eine Würde, die man wie einen militärischen Orden trägt. Wer verantwortlich ist, gibt Antwort. In der Krise gibt der Leader Antwort an destabilisierte, Halt suchende Mitmenschen.

Verantwortung ist aber auch Zurechnung – in der Krise besonders. Was ich als Leader tue oder unterlasse, wird mir zum vollen Wert zugerechnet. Positiv oder negativ. Im Gegensatz zum Alltag gibt es kein Versteck: Der Fokus ist auf die Krise gerichtet, und der Leader steht im Rampenlicht.

Von wem kommt diese Zurechnung? Von ganz vielen Menschen, aber vor allem von denjenigen, die dem Leader anvertraut wurden. In der Arbeitswelt sind es die eigenen Mitarbeiter.

Die Krise macht also ziemlich Druck auf den Leader. Er muss Antworten geben, und sein Tun oder Unterlassen ist folgenreich. Das verbraucht Energie.

Die Ressourcen sind endlich

Wie viel von dieser Energie steht dem Leader zur Verfügung? Das hängt einerseits von seinem Charakter ab. Rückgrat ist eine Frage der Persönlichkeit und der Erfahrung. Mit einem stärkeren Rückgrat verbraucht er weniger Energie in der Krise.

Andererseits hängt es aber ganz entscheidend davon ab, in welchem körperlichen, seelischen und psychischen Zustand der Leader bei Anbruch der Krise steht. Ist er ausgelaugt, der Bequemlichkeit verfallen, gesundheitlich nicht fit oder seelisch durcheinander, so hat er schlechte Karten.

Mit anderen Worten: Die Krise bewirkt einen plötzlichen Anstieg des Energieverbrauchs. Steht dieser Anstieg einem anfänglich niedrigen Energie-Level gegenüber, so zerreisst es den Leader.

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Verantwortlich und mutlos? Geht nicht.

Was bedeutet das nun für den Leader vor der Krise? Erstens: Der beste Leader ist nicht derjenige, der immer an der Grenze seiner Möglichkeiten arbeitet. Das Bild des Übermensch-Leaders, der kaum schläft, top-sportlich ist und immer performt, ist trügerisch. Bis auf ganz seltene Ausnahmetalente sind diese Immer-Vollgas-Leader zum Scheitern in der Krise verurteilt.

Zweitens und umgekehrt darf sich der Leader aber auch nicht ständig schonen, nur um ausgeruht vor einer eventuellen Krise zu sein. Denn Krisentauglichkeit erfordert Übung. Es ist wie im Sport: Die Überkompensation nach der Anstrengung macht fitter, nicht eine lang anhaltende Ruhe.

Drittens: Ich muss als Leader akzeptieren, dass es sehr schwierige Momente gibt. Ich muss sie aber auch überwinden. Nur wer im Tiefpunkt die Kraft findet, Mut zu fassen, übersteht die Krise. Der beste Leader hat seine schwarzen Stunden. Aber nicht schwarze Wochen, und schon gar nicht schwarze Monate.

Zugleich verantwortlich und mutlos sein? Das geht nicht.

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