Gast-Kommentar

Von Lego-Steinen zur Regelflut

Von Lego-Steinen zur Regelflut
Louis Grosjean
Lesezeit: 3 Minuten

Kinder dürfen beim Spielen vieles ausprobieren, Erwachsene hingegen müssen bei der Arbeit viele Regeln befolgen. Louis Grosjean wundert sich in unserer Serie «LEADER-Philosophie» ganz grundsätzlich, warum wir uns zu dieser Entwicklung zwingen.

Text: Louis Grosjean, Partner altrimo

«Papi, ich will das selber machen. Ich weiss, wie es geht.» Der Spruch kommt von meinem Sohn – immer wieder. In ungefähr der Hälfte der Fälle denke ich mir im Vorfeld: Das wird er nicht allein schaffen. Ich muss ihm helfen.

Er will das aber nicht. Aus gutem Grund. Er will lernen, wie es geht: komplizierte Lego-Konstruktion, Holzarbeit in der Werkstatt, Spielzeug flicken. Er will sich (und vielleicht auch mir) beweisen, dass er es kann. Und vor allem will er nicht, dass ich ihm drein rede. Toll, denken wir als Eltern: Unser Sohn ist autonom! Er probiert es aus!

Ich will die Arbeitswelt nicht infantilisieren, aber mir fällt Folgendes auf: Was wir bei Kindern fördern, nämlich die Autonomie, lassen wir im Geschäft oft nicht zu. Warum?

Warum keine Autonomie?

Einige Gründe gegen Autonomie höre ich immer wieder – und diese möchte ich nun mit Reinhard Sprenger kritisch beurteilen. Sprenger ist ein zeitgenössischer studierter Philosoph und Management-Guru. In seinem Werk «Das Prinzip Selbstverantwortung» zeichnet er lebhafte Bilder von Management-Situationen, in denen dieses Prinzip gelebt oder missachtet wird.

Eine mögliche Antwort, warum wir Autonomie im Arbeitsleben nicht zulassen, lautet: Weil der Kunde uns für das Ergebnis der Arbeit bezahlt. Ergo muss dieses Ergebnis perfekt sein. In Sprengers Werk finde ich Folgendes dazu: «Es ist überraschend, welche erstaunlichen Ergebnisse Sie erzielen, wenn Sie die Entscheidungskompetenz dorthin verlagern, wo auch die Sachkompetenz sitzt.» Guter Punkt. Die Missachtung von Autonomie muss also das Ergebnis fehlenden Vertrauens oder fehlenden Empowerments sein. Wenn Aufgabe und Kompetenz (im Sinne von Können) übereinstimmen, hat der Chef nichts vorzuschreiben.

Ein zweiter Einwand gegen Autonomie lautet: Weil die Mitarbeitenden die Verantwortung gar nicht wollen. Sprengers bissige Aussage dazu: Klar, wenn die Mitarbeitenden über Jahre trainiert wurden, von den Entscheidungen ihrer Vorgesetzten abhängig zu sein. Zurück zum Absender: Die Autonomie-Kultur liegt ganz beim Chef.

Die dritte Ausrede wäre dann: Am Schluss trage ich als Vorgesetzter die Verantwortung. Also darf ich doch sagen, wie ich es haben will? Sprenger: Ja, das ist erlaubt. Aber es hat Konsequenzen. Der Mitarbeiter lernt die Arbeit so zu erledigen, wie es dem Chef gefällt – nicht, wie er denkt, dass sie am besten zu erledigen ist. Die Massstäbe werden vereinheitlicht, damit sie dem Chef passen. Kreativität – das «Wunder des Andersseins» – geht wie eine verpasste Chance verloren.

Gibt es psychologische Gründe, warum wir restriktiv mit Autonomie umgehen? Vielleicht, weil Kontrolle und Anordnungen uns gute Gefühle geben: Wir machen uns vor, kompetent(er) zu sein. Oder wir fühlen uns sicherer so. Oder wir pflegen unser Helfersyndrom durch gut gemeinte Fürsorge. Alles verständliche Gründe.

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Ohne Autonomie wenig Sinn

Diese Biases sind nicht zu eliminieren, aber wir dürfen sie zur Kenntnis nehmen. Und wir dürfen auch wissen, dass wir der Arbeit einiges an Sinnhaftigkeit wegnehmen, wenn wir diesen Biases ungehemmt nachleben. Denn je mehr Fremdbestimmung, desto weniger Sinnhaftigkeit. Da brauche ich mich nur zu fragen, warum ich Unternehmer wurde: Unter anderem, weil ich keine fremden Regeln mehr akzeptieren wollte. Oder warum es mein Sohn nicht gern hat, wenn ich ihm sage, wie er die Lego-Steine zusammensetzen muss.

Als Leader müssen wir uns letztlich entscheiden, wie viel Autonomie in die Arbeit gehört. Es ist aber nie ehrlich zu behaupten, man wolle Autonomie geben, aber es gehe halt nicht. Die Dosierung liegt immer in unserer Hand. Vielleicht erinnern wir uns ab und zu an unsere Kindheit: Darin liegt ein Dosierungsmassstab.

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