Coronabedingter Druck lastet stark auf dem Arbeitsmarkt

Coronabedingter Druck lastet stark auf dem Arbeitsmarkt
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Seit Ausbruch der Corona-Pandemie wurden in der Kernregion Ostschweiz 26‘170‘065 Ausfallstunden bei der Kurzarbeit abgerechnet. Das sind mehr als eineinhalb Mal so viele Stunden wie im Zeitraum von 2004 bis Februar 2020. Eine Analyse derIHK St.Gallen-Appenzell zeigt die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt.

Im vergangenen Monat jährte sich der Tag, an dem der Bundesrat erstmals in der Geschichte pandemiebedingt die «ausserordentliche Lage» erklärte und damit die Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie verschärfte. Diese Massnahmen waren einschneidend – und halten an.

In der Kernregion Ostschweiz kämpfen bis heute 9 von 10 Unternehmen mit starken coronabedingten Erschwernissen – unter anderem mit einem zu hohen Personalbestand aufgrund der markant eingebrochenen Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen. Das hat Folgen: Per Ende Januar 2021 waren in der Kernregion Ostschweiz mit den Kantonen St.Gallen, Thurgau, Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden 34’189 Arbeitnehmende ganz oder teilweise in Kurzarbeit. Das entspricht rund 7.3 % aller Arbeitnehmenden in der Kernregion Ostschweiz.

Damit liegt die Region zwar unter dem landesweiten Mittel. Die Zahlen sind aber historischen Ausmasses. Selbst während der Finanzkrise – damals wahrgenommen als die grösste Krise nach der grossen Depression in den 1930er Jahren – lagen die Werte deutlich tiefer. Der Höchstwert an Arbeitnehmenden in Kurzarbeit betrug auf dem Höhepunkt der Krise im Mai 2009 17'838.

Corona-Pandemie trifft den Ostschweizer Arbeitsmarkt unterschiedlich

Die Corona-Pandemie hinterlässt am Ostschweizer Arbeitsmarkt tiefe Spuren. Im schweizweiten Vergleich trifft es ihn je nach Betrachtungsweise zwar geringer. Aber: «Zählte per Ende Dezember 2020 der Kanton St.Gallen noch zu jener Gruppe, die im schweizweiten Vergleich am wenigsten Arbeitnehmende über die Kurzarbeit abrechneten, hat per Ende Januar 2021 die Beanspruchung von Kurzarbeit bei den Unternehmen sowohl im Kanton St.Gallen als auch in allen anderen Ostschweizer Kantonen in der Kernregion stark zugenommen», sagt Alessandro Sgro, Chefökonom bei der IHK St.Gallen-Appenzell. Im Kanton St.Gallen sind rund 7.3 % der Arbeitnehmenden betroffen. Den höchsten Anteil mit 7.5 % der Arbeitnehmenden weist der Kanton Thurgau auf und liegt gerade beim schweizweiten Durchschnitt von 7.6 %. Die Kantone beider Appenzell sind mit 6.3 % (Innerrhoden) und 6.6 % (Ausserrhoden) etwas weniger stark betroffen, aber schweizweit ebenfalls nicht mehr in jener Gruppe mit der geringsten Beanspruchung.

Auch wenn die Kernregion Ostschweiz im schweizweiten Vergleich weniger betroffen ist, ist das Ausmass der Beanspruchung von Kurzarbeit enorm. Das zeigt auch ein Blick auf die abgerechneten Beträge. Seit dem Zeitpunkt der Verfügbarkeit der Zahlen im Jahr 2004 wurden in der Kernregion Ostschweiz insgesamt 982 Mio. CHF über die Kurzarbeitsentschädigung ausbezahlt. 656,6 Mio. CHF wurden dabei allein während der Corona-Pandemie von März 2020 bis Januar 2021 abgerechnet. Das entspricht einem Anteil von rund 67 % aller ausbezahlten Beträge seit 2004 und dies nicht einmal innerhalb eines gesamten Jahres.

  

Kommt die grosse Kündigungswelle?

Bis heute hat der Druck auf den Personalbestand nicht auf die Arbeitslosigkeit durchgeschlagen. Die Arbeitslosenquote liegt in der Kernregion Ostschweiz im historischen Vergleich mit aktuell 2.7 % nur leicht über dem langfristigen Durchschnitt von 2.5 %. Während der Finanzkrise stieg sie zwischenzeitlich deutlich höher auf 3.8 %. Folgt nun die grosse Kündigungswelle? «Diese Frage hängt von verschiedenen Faktoren ab. Insbesondere von den weiteren gesundheitspolizeilichen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie, dem Impffortschritt, der weiteren Erholung der globalen Wirtschaft, aber auch von den aktuell angepassten Regelungen bei der Kurzarbeit», sagt Alessandro Sgro. Die Einschätzung der Unternehmen zur aktuellen Geschäftsentwicklung sei nicht euphorisch, aber stabil und verhalten optimistisch. Zudem zeige die aktuelle Corona-Unternehmensumfrage der IHK St.Gallen-Appenzell und der IHK Thurgau, dass einige Unternehmen zwar über einen zu hohen Personalbestand verfügen, die Mehrheit der befragten Unternehmen rechnet unmittelbar aber nicht mit einem grösseren Personalabbau.

«Entscheidend wird aber sein, wann wieder ein spürbarer wirtschaftlicher Aufschwung folgt», ergänzt Sgro. Mit diesem rechnen die befragten Unternehmen der IHK-Spezialumfrage frühestens ab dem zweiten Halbjahr 2021. Eine leichte gesamtwirtschaftliche Erholung dürfte laut Sgro bereits im zweiten Quartal einsetzen. Wachstumsimpulse kommen insbesondere aus der Industrie, die von positiven Impulsen aus Asien sowie aus den USA profitiert. Damit dürfte sich die angespannte Lage am Arbeitsmarkt teilweise entschärfen.

Blick nach vorne, Arbeitsplätze langfristig sichern

«Das Instrument der Kurzarbeit hat während der Coronakrise seine volle Wirkung am richtigen Ort und zur richtigen Zeit entfaltet», sagt Markus Bänziger, Direktor der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell. Wichtig sei aber der Blick nach vorne. Es gehe darum, die Auftragslage und damit die Auslastung in den Unternehmen zu sichern: So können Arbeitsplätze erhalten und wieder geschaffen werden und eine höhere Arbeitslosigkeit vermieden werden. Die Pandemie wird Gesellschaft und Wirtschaft noch länger beschäftigen, es muss daher gelingen, in dieser Situation leben und arbeiten zu ermöglichen. «Es ist wichtig, dass die Unternehmen mehr Planungssicherheit erhalten und gleichzeitig auch einen aktiven Beitrag zur Eindämmung der Corona-Pandemie leisten können», ergänzt Bänziger und verweist auf die von der IHK geforderte vorwärtsgerichtete Ermöglichungsstrategie: rasch ein leistungsfähiges Testregime hochfahren und eine effektive Impfkampagne vorzubereiten, begleitet von einer klaren Kommunikation und betriebsspezifischen Schutzkonzepten.

Weiterführende Analysen (inkl. einem vertiefenden schweizweiten Vergleich) und Visualisierungen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Schweizer und Ostschweizer Arbeitsmarkt finden sich im IHK-Research ZOOM