Gast-Kommentar

Brillant. Vertrauensunwürdig.

Brillant. Vertrauensunwürdig.
Louis Grosjean
Lesezeit: 3 Minuten

Intellektuell brillanten Persönlichkeiten entzieht das Publikum schnell das Vertrauen. Das ist nicht rational, aber erklärbar. Die gute Nachricht lautet: Man kann etwas dagegen tun, bilanziert Gastautor Louis Grosjean in unserer Serie «LEADER-Philosophie».

Text: Louis Grosjean, Partner altrimo

Elon Musk, einer der visionärsten Unternehmer unserer Zeit, wird aktuell durch den Dreck gezogen. Seine Geschäftspolitik nach der Twitter-Übernahme missfällt den meisten Menschen.

Mario Draghi ist einer der sachkundigsten, respektiertesten Politiker Italiens. Trotzdem wurde er von einer Koalition abgelöst, die Giorgia Meloni, Silvio Berlusconi und Matteo Salvini an ihrer Spitze hat.

Wer in der Schweiz Bundesrat werden will, sollte mit anderen Qualitäten als intellektueller Brillanz werben. Das war kürzlich bei zwei Ersatzwahlen in den Bundesrat zu beobachten. Damit sei nicht gesagt, dass unsere Bundesräte nicht brillant wären; aber wenn diese Qualität in den Vordergrund tritt, gereicht sie ihnen politisch zum Nachteil.

In diesen drei Fällen sinkt das Vertrauen trotz intellektueller Brillanz der genannten Personen. Wie kommt es dazu?

Vertrauen als begründete Erwartung

In einer vereinfachten, von Prof. Martin Hartmanns Definition abgeleiteten Form ist Vertrauen meine begründete Erwartung, dass ein Dritter so handelt, wie ich es wünsche. Dabei gebe ich diesem Dritten aufgrund unserer Beziehung einen Spielraum und bin unsicher, was er damit macht.

In diesem Akt des Vertrauens mache ich mich verletzlich: Wenn meine Erwartung enttäuscht wird, hat es Nachteile für mich. Analysieren wir das einmal im Hinblick auf brillante Persönlichkeiten.

 

Intellektuelle Brillanz ist ein Problem

Vertrauen hat mit der Summe gemachter Erfahrungen zu tun. Diese Erfahrungen begründen meine Erwartung an den Vertrauensempfänger – wie bereits definiert. Ich vertraue jemandem, weil die Interaktion mit dieser Person mehrheitlich positive Ergebnisse gebracht hat.

Mit brillanten Menschen macht man aber immer eine schlechte Erfahrung: Sie lassen einen blöd dastehen. Man entwickelt einen Minderwertigkeitskomplex. Daraus sprudeln Neid, Abwehrmechanismen und Trauer über die eigene Unzulänglichkeit. Wie kann man, mit diesen Gefühlen belastet, einer brillanten Person vertrauen?

Das ist ein Dilemma für brillante Leader. Wenn ich längerfristiger denke, schärfer analysiere, wirksame Massnahmen erarbeite, visionär handle, müssten die Mitmenschen doch einsehen, dass sie mir folgen sollten. Mitnichten. Sie werden Angst bekommen. Was also tun?

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Selbstwertgefühl stärken

Es braucht einen Schritt mehr. Und der ist nicht einfach. Es braucht die Fähigkeit, das Selbstwertgefühl von Mitmenschen zu steigern, wenn man mit ihnen interagiert. Die einfachste Form ist ein Alltags-Kompliment. Die zweite Stufe bildet durchdachtes und differenziertes Lob über eine konkrete Tat, wie zum Beispiel die Lösung einer Aufgabe, die über den Erwartungen liegt.

Die dritte Stufe ist die sanfte Beeinflussung in Richtung lebensverbesserndes Verhalten. Das ist richtig schwierig, aber im Grunde genommen einem guten Coaching gleichzusetzen. Die Wirkung ist langsam, und die Anerkennung dafür stellt sich, wenn überhaupt, erst nach längerer Zeit ein. Alle drei Stufen der Selbstwertgefühl-Vermittlung setzen voraus, dass der Leader sich auf das Niveau des Gegenübers einlässt. Das erfordert viel Fingerspitzengefühl und Flexibilität.

Nun, die Vermittlung von Selbstwertgefühl ist nicht nur im 1:1 Verhältnis möglich. Richtig elektrisierend wirkte das Wahlmotto Obamas «Yes, we can». Auch Jesus war ein Meister dieser Disziplin («So werden die Letzten die Ersten sein»). Napoleon sagte einst, dass er seine Pläne mit den Träumen seiner schlafenden Soldaten schmiedete, und wusste es, ihr Ehrgefühl mit Kriegsmedaillen zu flattieren.

Allen gemeinsam ist, dass sie ihr Publikum auf eine höhere Sphäre des Selbstwertgefühls hievten. Und dazu waren diese drei Figuren sehr nahbar – eine zwingende Voraussetzung von Vertrauen. Ich wünsche allen Leadern die emotionale Brillanz von Obama, Jesus oder Napoleon, je nach gewähltem Vorbild.

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