Fokus Wirtschaftsstandort Thurgau

Mehr Innovation!

Mehr Innovation!
Jérôme Müggler
Lesezeit: 6 Minuten

Der Thurgau gilt nicht gerade als Hochburg für Innovation. Zu Unrecht, wenn man Produkte und Entwicklungen von Thurgauer Unternehmen betrachtet. Jedoch braucht es in den kommenden Jahren einen merkbaren Schub nach vorn, um den Anschluss nicht zu verlieren und das Image von Mostindien zu einem attraktiven Standort zu ändern, der smarte Köpfe halten und anziehen kann. Helfen sollen da auch der «Digital & Innovation Campus Thurgau» – und ein neuer Wirtschaftsanlass.

Vor einem Jahr hatte der Thurgauer Unternehmer Hermann Hess im LEADER die Diskussion darüber angestossen, ob sich der Kanton Thurgau gegen aussen schlecht verkaufe und welche Symbolik dem Apfel für das Ländliche zwischen Hörnli und Bodensee zukomme: «Man verkauft sich als Apfelkanton, statt als Teil der boomenden Wirtschaftsregion Bodensee», kritisierte Hess. «Das ist angesichts der geringen Wertschöpfung der Landwirtschaft ein schwerwiegender Fehler.»

Zukunftsagenda als Ziel- und Orientierungsrahmen

Die Geschichte des ehemaligen Untertanengebiets, das Fehlen eines urbanen Zentrums und das Selbstverständnis von gewissen Teilen der Bevölkerung könne man in diesem Zusammenhang diskutieren, findet Jérôme Müggler, Direktor der IHK Thurgau. «Es ist gut und wichtig, dass wir uns damit auseinandersetzen, wofür wir stehen wollen, wofür der Kanton bekannt sein soll, was wir zu bieten haben und wie man das Ganze kommunizieren möchte.» Genauso wie sich das Apfel- oder Landwirtschaftsimage über Jahre entwickelt hätte, benötige eine Imagekorrektur oder eine Ergänzung des Bildes ihre Zeit und eine koordinierte, strategisch ausgerichtete Kampagne.

Für die Industrie- und Handelskammer ist die Entwicklung des Wohn- und Arbeitsorts Thurgau ein Schlüsselthema. «Mit der Zukunftsagenda geben wir uns zusammen mit der IHK St.Gallen-Appenzell einen Ziel- und Orientierungsrahmen für die Entwicklung der Kernregion Ostschweiz vor, in welcher der Thurgau eine zentrale Rolle spielt», so Müggler. Verschiedene Zielkorridore sollen helfen, den Fokus auf relevante Entwicklungen zu legen. Dazu gehören die Stärkung eines innovationsfreundlichen Umfelds sowie die Förderung digitaler Kompetenzen. Beide seien unerlässlich, wenn es um die Weiterentwicklung einer Region und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit geht.

  

Mehr Einwohner, weniger Fachkräfte

«Obwohl der Thurgau von Jahr zu Jahr mehr Einwohner hat, zeichnet ihn im gleichen Mass ein überdurchschnittlicher hoher Mangel an Fachkräften sowie die Abwanderung von jungen Menschen aus», bedauert der IHK-Direktor. Folglich arbeiten immer mehr Thurgauer und Zuzüger ausserhalb der Kantonsgrenzen.

Warum ist das so? «Die Wettbewerbsfaktoren von Unternehmen befinden sich seit einiger Zeit im Umbruch. Liessen sich Wettbewerbsvorteile früher vor allem auf Faktoren wie Kosten und Qualität zurückführen, ist es heute und in Zukunft zusätzlich die Innovationsfähigkeit – unabhängig davon, ob sich die Wirtschaftslage gerade in einem Aufschwung oder einer Rezession befindet», sagt Müggler. Entsprechend gehören die Begriffe Innovation und Kreativität zu den häufig verwendeten Begriffen in Geschäftsleitungen. Sie sind auch mitentscheidend für die Attraktivität von Arbeitsplätzen.

Nur auf Platz 20

Der kantonale Wettbewerbsindikator der UBS misst als eines von acht Feldern, das Innovationspotenzial eines Kantons. Gemäss UBS beruhen unternehmerischer Fortschritt und der Erhalt wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit auf Innovation. Branchencluster (hohe regionale Konzentrationen von Beschäftigten in voneinander abhängigen Branchen), die Anzahl Patentanmeldungen und die Höhe der Venture- Capital-Investitionen zeigen das Potenzial für zukünftige Wettbewerbsvorteile, die aus Innovationen erwachsen. Weitere Indikatoren sind gemäss UBS der Anteil der in Forschung und Entwicklung tätigen Personen, die Anzahl erfolgreicher Start-ups, Unternehmensgründungen oder die in diesen Unternehmen neu geschaffenen Stellen. Dem Thurgau attestiert die UBS zurzeit kein allzu grosses Innovationspotenzial. «Gerade mal auf Platz 20 schafft es unser Kanton in der Publikation in diesem Bereich», sagt Jérôme Müggler. Daneben ist aber zu erwähnen, dass der Thurgau in anderen Bereichen wie Staatsfinanzen oder Kostenumfeld überdurchschnittlich gut abschneidet.

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Dem Thurgau attestiert die UBS zurzeit kein allzu grosses Innovationspotenzial.

Verschiedene Projekte laufen

Verschiedene Initiativen zielen deshalb auf die Innovationsförderung ab. Das Thurgauer Technologieforum etwa bietet an Informationsanlässen oder Innovationscoachings interessierten Unternehmern die Möglichkeit, tiefer in die Materie einzutauchen. An den Veranstaltungen lernen Interessierte innovative Denkansätze und ungewohnte, teils äusserst erfrischende theoretische Modelle kennen. Sehr konkret behandelt das Innovationsforum Ernährungswirtschaft, das am 8. Dezember zum dritten Mal stattfinden wird, den Themenkreis. Das Forum ist eine Tagung im Bereich Agri-Food zur Förderung des Wissens- und Technologietransfers in Tänikon zugunsten der ganzen Wertschöpfungskette von Lebens- mitteln. «Es ist dazu erfreulich, dass Agroscope im Thurgau die Forschung im Bereich Smart Farming ausbaut. Diese Technologien bieten breite Möglichkeiten der Datenerfassung und -verarbeitung – für sämtliche Produktionsressourcen sowie entlang der gesamten Wertschöpfungskette», sagt Müggler. Und: Im September 2021 konnte in St.Gallen der Innovationspark Ost gegründet werden. Zu den 21 Gründungsaktionären gehören der Kanton Thurgau sowie die IHK Thurgau, die mit Beat Hirt auch den Thurgauer Vertreter im Verwaltungsrat stellt.

Digital & Innovation Campus Thurgau als Leuchtturm

Aber: Gerade weil es dem Thurgau finanziell so gut geht, täte er gut daran, ideale Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Innovationspotenzial von Unternehmen oder kreativen Köpfen unterstützen oder aktivieren können – und zwar im Kanton. «Es ist deshalb notwendig, dass der Kanton eine Institution erhält, welche die Fähigkeit, Neues zu schaffen und dies zu vermarkten, aktiv fördert», unterstreicht Müggler.

Der «Digital & Innovation Campus Thurgau» (digital-thurgau.ch), der 2018 von der IHK angestossen wurde, soll für den Kanton und seine Unternehmen ein solcher Leuchtturm werden. Mit einer direkten Verbindung zur Universität Konstanz sowie zur Konstanzer Fachhochschule HTWG können erstklassiges akademisches Wissen und angewandte Forschung in den Thurgau importiert werden. Am gleichen Ort wird ein Innovationslabor Anlaufstelle für Unternehmen aus der Region und Start-ups werden.

 

20 Millionen lägen bereit

Der Thurgauer Campus hat neben den erwähnten Initiativen beste Voraussetzungen, um sich in einem wachsenden Netzwerk zu etablieren und mit eigenen Schwerpunkten zu überzeugen. Das im Campus beheimatete «Thurgauer Institut für Digitale Transformation», das mit den Konstanzer Hochschulen verbunden ist, soll unter Berücksichtigung der Beziehung zwischen Mensch und Technologie, das Vertrauen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz oder Big Data fördern. Beides sind Themen, welche für Industrie und Gewerbe, in den kommenden Jahren sehr relevant sein werden.

Im August 2022 hat der Digital & Innovation Campus Thurgau die zweite wichtige Hürde genommen: Der Grosse Rat will ihm 20 Millionen Franken zukommen lassen, die dem Kanton aus dem Teilverkauf der Thurgauer Kantonalbank zugeflossen sind. Im Juni 2023 steht dann die entscheidende Volksabstimmung an. Wenn alles nach Plan geht, rechnet Jérôme Müggler mit der Aufnahme des operativen Betriebs gegen Ende des kommenden Jahres.

Der «Digital & Innovation Campus Thurgau» soll für den Kanton und seine Unternehmen ein Leuchtturm werden.

Neben WFT neu auch «Boom!»

Im März 2022 wurde bekannt, dass die IHK Thurgau, die Stadt Weinfelden, der Thurgauer Gewerbeverband sowie Sponsorin UBS beim Wirtschaftsforum Thurgau aussteigen und eine eigene Veranstaltung auf die Beine stellen wollen. Jérôme Müggler zum «Rückzugsentscheid»: «Die IHK möchte noch stärker auf ihre Zielgruppen fokussieren (Unternehmer aus Industrie, Handel und Gewerbe) und deren Themen adressieren – ganz im Sinne von ‹von der Wirtschaft für die Wirtschaft›.»

«Boom! – Der Thurgauer Wirtschaftstag» wird am 1. Juni 2023 erstmalig in Weinfelden stattfinden. «Als Überthema für die Erstausgabe haben wir ‹Generationen› gewählt, das wir unter verschiedenen Blickwinkeln im Sinne der Thurgauer Wirtschaft beleuchten werden», so Müggler. «Wir freuen uns sehr, dass wir den dritten grossen kantonalen Wirtschaftsverband – den Verband Thurgauer Landwirtschaft – als Mitträger des Anlasses gewinnen konnten.» An Boom! sollen sich Unternehmer aus Gewerbe, Industrie und Handel sowie der Landwirtschaft treffen. Die Stadt Weinfelden ist Partner des neuen Anlassformats, die UBS Hauptsponsorin.

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«Feuerwerk an Informationen»

Der Name mit Ausrufezeichen wurde gewählt, weil die Veranstaltung «eine Inspirationsexplosion für die Thurgauer Wirtschaft» sein will. Müggler sieht Boom! zum einen als Plattform zum Netzwerken, aber auch als Bühne für «hochkarätige Informationen von Führungskräften» – Initialzündungen, die zum Denken und Machen anregen sollen. «Ein Feuerwerk an Informationen mit ganz viel ‹Aha› und ‹Oho›.»

Das Wirtschaftsforum Thurgau findet weiterhin statt; neu wird die TKB das Hauptsponsoring und der Verein Arbeitgeber Mittelthurgau das Patronat übernehmen. Zudem baut das Forum die Zusammenarbeit mit der Thurgauer Zeitung aus. Unverändert bleibt die Moderation, die weiterhin die Thurgauerin Mona Vetsch übernimmt. Das 26. WFT mit dem Motto «Finanzen und Weltwirtschaft im Kontext von Krisen» findet am 3. November ebenfalls in Weinfelden statt; «Stargast» des Events ist der einstige CS- und UBS-Manager Oswald Grübel.

Schwerpunkte