Thurgau

Brote backen statt Häuser bauen

Brote backen statt Häuser bauen
Anna Lehmann
Lesezeit: 4 Minuten

Eigentlich war Anna Lehmann zufrieden mit ihrem Beruf als Architektin. Doch als das Unternehmen ihrer Familie auf der Kippe stand, sprang sie in die Bresche. Nun wurde die Inhaberin der Lehmann Holzofenbeck AG in Lanterswil mit dem Unternehmerinnenpreis der KMU-Frauen Thurgau ausgezeichnet.

Text: Miryam Koc

Anna Lehmann, Sie wurden am 4. Oktober mit dem Unternehmerinnenpreis der KMU-Frauen Thurgau ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen das?
Zuerst einmal habe ich grosse Freude darüber, weil ich es auch als Auszeichnung für das sehe, was meine Eltern als Pioniere von Grund auf aufgebaut haben. Sie haben die Basis gelegt, mit dem handwerklichen Brot, mit der Bioproduktion, der Integration und mit dem Naturgarten – das alles war zu dieser Zeit aussergewöhnlich. Persönlich weiss ich, dass ich diese Auszeichnung auch nur dank eines grossen Rückhaltes innerhalb des Betriebes mit einem sehr engagierten Team erreichen konnte und dank einem privaten unterstützenden Netzwerk. Dafür bin ich sehr dankbar.

Sie haben Architektur studiert, aber vor elf Jahren das Familienunternehmen Lehmann Holzofenbeck AG übernommen. Was hat Sie dazu bewogen, diesen beruflichen Wandel einzuschlagen?
Bis dahin hatte ich nie in Erwägung gezogen, den Betrieb zu übernehmen, da ich erstens keine Vorstellung von mir als Chefin hatte und zweitens in einer komplett anderen Branche tätig war – ich war in der Architektur soweit zufrieden.

Und dann kam es anders?
Ja, weil es damals keine Lösung für die Geschäftsleitung der Bäckerei und auf verschiedenen Ebenen grössere Probleme gab. Für mich zeigte sich die Situation so, dass ich entweder übernehme und es vielleicht schaffe – oder, wenn ich nicht übernehme, es schwerwiegende Konsequenzen für Betrieb und Familie haben könnte.

«Das Bioumfeld hat sich stark verändert; die Polarität ist nicht mehr so ausgeprägt.»

Gibt es Momente, wo Sie diese Entscheidung bereuen?
Nein! Natürlich gibt es Situationen, die herausfordernd sind, aber es ist genauso wichtig, diese schnell anzunehmen. Sie bieten Möglichkeiten für Veränderung, die manchmal erst unter Druck von aussen gelingen.

In den 1990ern erhielten Sie als erste Bäckerei im ganzen Land die Bio-Knospe für ihr Brot. Wie hat sich das Bewusstsein in dieser Thematik entwickelt?
Das Bioumfeld hat sich stark verändert; die Polarität ist nicht mehr so ausgeprägt, was ein breiteres Kundenspektrum ergeben hat. Die Verfügbarkeit von Biorohstoffen ist heute weitestgehend vorhanden – und die Qualität gut. Für uns als Betrieb ist es deshalb klar, dass wir komplett Bio produzieren und uns als Vollbiobetrieb kontrollieren lassen. Für meine Eltern waren damals nur einzelne Produkte möglich, weil etwa die Rohstoffe nicht erhältlich waren.

Die Richtlinien für Bio-Produkte sind in der Schweiz ziemlich streng. Trotzdem herrscht immer mal wieder Verwirrung. Wieso?
Es gibt natürlich im Verkauf Verwässerungen – und es wird mit Regionalität und Nachhaltigkeit bewusst eine Atmosphäre geschaffen, welche Kunden glauben lässt, etwas sei Bio oder zumindest so ähnlich produziert. In der Schweiz ist es heute sehr klar geregelt. Es gibt Bio im Gesetzesrahmen, das kontrolliert wird und für die Kundschaft erkennbar beschriftet ist. Obendrauf kann nach Knospe oder Demeter hergestellt werden, diese Labels sind zusätzlich und folgen strengeren Richtlinien. Wir stehen für unser Vollbiokonzept; in unsere Entscheidungen fliesst ein achtsamer Umgang mit Menschen, mit Ressourcen und mit der Natur immer ein.

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«Ich hatte keine Vorstellung von mir als Chefin.»

Zurück zum Unternehmertum: Sie betonten die Wichtigkeit von Mut und Hingabe. Welche besonderen Herausforderungen haben Sie in Ihrem unternehmerischen Weg gemeistert?
Es sind für mich nicht die herausragenden und besonderen Ereignisse, die sich als Heldinnengeschichte darstellen lassen. Eine hohe Verbundenheit mit allen Beteiligten in einem Unternehmen erfordert Mut. Sich vor eine Gruppe stellen zu können und eine Richtung einzuschlagen, war für mich die grösste Herausforderung. Ein Unternehmen in herausfordernden Zeiten zu führen, erfordert nicht einzelne Taten, sondern gut abgewogenes Handeln in allen Bereichen sowie persönliche Präsenz.

Neben Ihrem unternehmerischen Engagement haben Sie einen Naturgarten geschaffen, um Menschen mit der Natur in Verbindung zu bringen. Haben wir den Zugang zur Natur verloren?
Seit wir den Naturgarten als Ort und Format für Begegnungen in unserer Firmenphilosophie verankert haben und für ihn sogar eine Webseite besteht, erkennen wir immer mehr seine positiven Wirkungen. So sehe ich ihn als Inspiration, als ein Ort von ständigem Wandel im Rhythmus des Jahres, mit der Witterung und mit den Nutzungen. Er kann mit dem Wandel einer Unternehmung verglichen werden – so stimmt mich die Natur immer wieder zuversichtlich.

Spüren Sie den Fachkräftemangel auch?
Wir haben nicht viele gute Bewerbungen. Bei uns fehlen tendenziell auch Bewerberinnen und Bewerber für Stellen, die keinem Beruf zugeordnet werden können. Für mich ist der Begriff Fachkräftemangel in seiner Wirkung etwas unglücklich: Er impliziert, dass wir uns alle immer weiter und höher bilden müssten. Dadurch werden höhere Ausbildungen, Weiterbildungen und Berufswechsel provoziert, die nicht immer im Einklang mit den betreffenden Personen, deren Fähigkeiten oder Interessen stehen. 

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«Ich möchte Quereinsteigerinnen ein Vorbild sein.»

Was tun Sie dagegen?
Wir sind als Arbeitgeberin in unserer Branche attraktiv und gestalten die Ebenen, die in unseren Möglichkeiten liegen, im Sinne unseres Teams – etwa Firmenkultur, moderner Arbeitsplatz in schöner Umgebung, Sharing von Infrastruktur, Ausbildungsort und Offenheit für Integration und vieles mehr. Für die Lehrausbildung sind wir im Betrieb, aber auch im Verband engagiert.

Welchen Rat würden Sie anderen Frauen geben, die in Führungspositionen aufsteigen möchten?
Gerne möchte ich für Quereinsteigerinnen, denen sich ein Betrieb zur Übernahme anbietet, ein Vorbild sein. Mit Kreativität und geschickten Verknüpfungen können Konzepte, die unkonventionell oder auf den ersten Blick aussichtslos wirken, doch Fahrt aufnehmen und ihre Wirkungen manchmal in ganz anderen Ebenen entfalten. Und das Wichtigste: Daran glauben und bei sich selbst bleiben.

Welche Vision haben Sie für die Zukunft Ihres Unternehmens?
Ich wünsche mir, dass gute Zusammenarbeit als Lebensqualität und als Grundlage für persönliche Entwicklung wahrgenommen wird. Nachhaltigkeit und Verantwortung sind bei uns gesetzt, gleichzeitig spielen jedoch Tradition und eine hohe Servicequalität eine entscheidende Rolle, um auch in Zukunft gute Zusammenarbeit und Beziehungen zur Kundschaft zu erhalten.

Text: Miryam Koc

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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