Kann Milch innovativ sein?

Kann Milch innovativ sein?
Lukas Hartmann
Lesezeit: 5 Minuten

Pflanzliche Milchalternativen sind aus dem Supermarktregal nicht mehr wegzudenken. Welche Rolle spielen sie bei einem der grössten Milchveredler der Schweiz – bei der Hochdorf-Gruppe mit Sitz in Sulgen TG und Hochdorf LU? Chief Innovation Officer Lukas Hartmann erklärt im Gespräch, wieso der Vorgang der Milchtrocknung alles andere als trivial ist, wie mit Schweizer Babynahrung Wertschöpfung entsteht und wie das Unternehmen Innovation definiert.

Lukas Hartmann, Sie sind seit 2017 bei der Hochdorf-Gruppe tätig, seit 2021 als Chief Innovation Officer. Wie muss man sich innovative Produkte auf Milchbasis bei Hochdorf vorstellen?
Mit unserem Team in den Bereichen Innovation und Entwicklung wollen wir unseren B-to-B-Kunden ein Portfolio zur Verfügung stellen, dass sie kurz-, mittel- und langfristig in ihren Wachstumsplänen unterstützt. Ob ein Produkt – neu oder weiterentwickelt – innovativ ist, entscheidet am Schluss der Kunde. Innovativ sein heisst für uns auch, eine Vorreiterrolle in Bereichen einzunehmen, die uns wichtig sind. Mit unserer Babynahrungsmarke «Bimbosan» waren wir etwa einer der ersten Hersteller, die eine ganze Produktpalette in Bio-Qualität lanciert hat. Und schon früh haben wir alle Bimbosan-Produkte palmölfrei angeboten.

Woran arbeiten Sie derzeit konkret?
Neben kompletten Neuentwicklungen überarbeiten wir viele bestehende Rezepturen – die Foodbranche ist international sehr dynamisch und bringt neben Trends und Technologien immer wieder neue Vorschriften, die wir implementieren. Für Neuentwicklungen arbeiten wir häufig eng mit Lieferanten von innovativen Rohstoffen zusammen. Momentan eröffnen uns zum Beispiel HMO, also «Human Milk Oligosaccharide», neue und spannende Anwendungsfelder. Bisher erst als Konzeptstudie haben wir zudem kürzlich mit verschiedenen Anbietern eine Reihe von funktionalen Nahrungsergänzungsmitteln für Erwachsene erarbeitet. Das Konzept soll Anbieter im Bereich Lifestyle- und Sporternährung ansprechen. Im Bereich Milchprodukte entwickeln wir derzeit unsere laktosefreien und laktosearmen Produkte weiter. Wir möchten sie künftig noch individueller auf Kundenwünsche anpassen können – das gelingt uns dank Hydrolyse-Prozessen. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit besteht auch darin, effizienter und nachhaltiger zu werden. Wir haben ein neues Mess-System eingeführt und erhoffen uns Einsparungen bei allen Rohstoffen und der Energie. 

Hochdorf verbindet man primär mit dem Trocknen von Milch. Können Sie in drei Sätzen erklären, wieso der Prozess nicht so trivial ist, wie er klingt?
Einfach erklärt bestimmen die gewünschte Verwendung und die gewünschten Eigenschaften des Endprodukts die Art und Weise, wie etwas getrocknet wird. Zusätzlich fallen bei der Verarbeitung von Milch und Molke weitere Stoffe an. Ein Beispiel: Ohne Milchpulver gäbe es keine Milchschokolade. In Pulverform braucht es sie daher, weil sich Wasser und die anderen Inhaltsstoffe der Schokolade – Sie kennen das vielleicht vom Backen – nicht besonders gut vertragen. Nun gibt es aber sehr viele unterschiedliche Anwendungsformen und Wünsche. Ein Pulver soll etwa eine hohe Qualität in Bezug auf Nährstoffe haben, gut löslich oder einfach zu transportieren sein. Oder es soll laktosefrei sein, in Bio- oder Halal-Qualität – dafür braucht es spezifisches Know-how sowie technologische Voraussetzungen und Fähigkeiten.

  

«Im Bereich Milchprodukte entwickeln wir unsere laktosefreien und laktosearmen Produkte weiter.»

Sie sind in der Herstellung auch stark saisonal geprägt, stimmt das? Ist Milch nicht im Sommer wie im Winter dieselbe?
Tatsächlich ist der Rohstoff Milch, aber auch unsere Technologie, durch die Jahreszeiten geprägt. Die Milchmenge und ihre Zusammensetzung hängen stark davon ab, ob die Kühe auf der Alp oder zu Hause auf der Weide und im Stall sind. In der Produktion arbeiten wir viel mit Sprühtrocknung, ein schonender Prozess, der die Umgebungsluft zu Hilfe nimmt. Dabei ist auch das Wetter einer von vielen Faktoren, die unsere Experten vor Ort beobachten und sich darauf einstellen. Im Herbst und Winter ist es etwas einfacher, Produkte zu trocknen – wegen der tieferen Umgebungsluftfeuchte. Im Sommer können Gewitter einen Einfluss auf die Produktion haben. Obwohl wir hochautomatisierte Anlagen haben, verfolgt unser Team deshalb auch das Wetter und die Umweltfaktoren während der Produktion sehr genau.

Upcycling ist in aller Munde. Gelingt Ihnen das auch?
Dass man aus den vorhandenen Rohstoffen möglichst viel Wertschöpfung generiert, war für uns schon immer ein zentrales Thema. Hochdorf ist einer der grössten Molkenveredler in der Schweiz. Molke fällt bei der Käseherstellung an. Und wir verarbeiten sie weiter, damit sie nicht kostenintensiv entsorgt werden muss. In der Schweiz fallen im Jahr über 1’300’000 Tonnen Molke an, nur rund ein Viertel davon wird zu Lebensmitteln verarbeitet. Wir leisten einen wichtigen Beitrag, um diese Quote zu steigern, indem wir unter anderem Lactose oder Molkenpulver daraus gewinnen und diese wiederum direkt in unserer Fabrik einsetzen, um Säuglingsnahrung herzustellen. Dabei ist der ganze Prozess zu 100 Prozent «Made in Switzerland» – auf diese hohe Schweizer Wertschöpfung sind wir sehr stolz. Dieses Upcycling aus der Molke ist auch die Basis für Proteinpulver, zum Beispiel für die Whey-Bestandteile für Fitness- und Sporternährung. Da sind wir jetzt schon ein wichtiger Lieferant und sehen noch viel Potenzial.

Sehen Sie alternative Proteine als reine Trenderscheinung?
Ein «Trend» ist für mich eine kurzfristige Erscheinung, die wieder verschwindet. Alternative Proteine sind aus meiner Sicht gekommen, um zu bleiben – und werden langfristig unsere Ernährungsgewohnheiten verändern. Oder andersherum gesagt: Ein grosses Wachstum bei tierischen Proteinen sehe ich nicht.

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Hand aufs Herz, wie viel Prozent Ihrer Produkte sind pflanzlichen Ursprungs?
Derzeit noch sehr wenige. Aber da Entwicklungen in der Nahrungsmittelbranche immer Zeit benötigen, ist es wichtig, dass wir Wissen aufbauen in Bezug auf die Rohstoffe, deren Herausforderungen etc. Wir bieten schon seit Längerem pflanzliche Alternativen im Bereich der Säuglingsnahrung an. Bei Milch- und Milchpulveralternativen arbeiten wir eng mit bestehenden Kunden zusammen und entwickeln auch Produkte direkt mit ihnen – weil wir sie im Prozess ihrer Produktweiterentwicklung in Richtung pflanzlicher Alternativen begleiten wollen.

Wohin entwickelt sich die Schweizer Milchindustrie
Der Bund hat kürzlich Pläne vorgestellt, die eher auf eine Abnahme des Milchvolumens deuten. Milch ist neben Molke unser wichtigster Rohstoff. Generell bereiten wir uns auf eine abnehmende Milchmenge vor. Und wir erwarten, dass die Kosten für Milch langfristig hoch bleiben, da die Anforderungen an die Produzenten immer anspruchsvoller werden. Eine ökonomisch sinnvolle Milchveredlung muss vor diesem Hintergrund auf eine hohe Wertschöpfung setzen – deshalb setzen wir auf Säuglingsnahrung. Dabei spielen wettbewerbsfähige Exportkosten des eingesetzten Milchpulvers eine zentrale Rolle für die Schweizer Lebensmittelindustrie. Wir zahlen gerne gute Preise für Milch an die Schweizer Produzenten, solange der Preisausgleich im Export agrarpolitisch korrekt geregelt ist und verlässlich funktioniert. Tiefmargige Milchpulver etwa zur Milchmarktregulierung, die zur Haltbarmachung von Flüssigmilch je nach saisonalem Aufkommen dienen, sind für ein börsenkotiertes Unternehmen wie Hochdorf nicht attraktiv. Entsprechend werden wir in der heutigen Konstellation die verarbeiteten Milchmengen senken müssen.

Gelingt es Ihnen, Fachkräfte nach Sulgen zu bringen?
Nicht in allen Bereichen gleich gut. Auch wir sind stark vom Fachkräftemangel betroffen. In der Produktion im Schichtbetrieb suchen wir ständig Verstärkung. Etwas besser sieht es bei den Spezialisten aus – dies auch dank unseres hohen Technologie- und Spezialisierungsgrads, was nicht jeder Arbeitgeber bieten kann. Es fehlt aber generell an Nachwuchs, zum Beispiel bei den Lebensmitteltechnologen. Dabei ist die Branche unglaublich spannend! An der Region kann es nicht liegen; sie bietet viel und hat auch den Vorteil vom Einzugsgebiet Süddeutschland. Aber wir haben als Arbeitgeber noch einiges aufzuholen – gerade im Bereich der Digitalisierung sind wir mit Hochdruck dran, unseren Angestellten ein besseres Erlebnis und mehr Service zu bieten.

Text: Marlène Betschart

Bild: zVg

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