Steigerungslauf für die Energieeffizienz

Marco Zahner, herzlichen Glückwunsch zu Ihren ersten 100 Tagen als Geschäftsleiter der Energieagentur St.Gallen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Sie war äusserst intensiv. Ich hatte die Gelegenheit, sämtliche Mitarbeiter und ihre beeindruckenden Fähigkeiten und Talente kennenzulernen. Ferner durfte ich diverse Gespräche mit der Eigentümerschaft führen. Im August konnte ich zudem von dem tiefgreifenden Fachwissen sowie dem wertvollen Netzwerk meines Vorgängers Philipp Egger profitieren, der die Energieagentur von Beginn an massgeblich prägte.
Warum wollten Sie Geschäftsleiter der Energieagentur werden?
Nach 15 aufregenden Jahren in der Industrie entschied ich mich, meiner wahren Leidenschaft, der Energiebranche, nachzugehen. Eigentlich hatte ich bereits den Wunsch, diesen Schritt nach einer Weiterbildung im Energiemanagement zu machen, die ich 2011 absolvierte. Allerdings bot mir die Micarna-Gruppe zu diesem Zeitpunkt spannende Herausforderungen und ich pflegte stets vertrauensvolle Beziehungen, die mich sowohl förderten als auch forderten. Daher blieb ich der Industrie bis Mitte 2023 treu.
Ein langfristiges Ziel der Energieagentur St.Gallen ist das Erreichen der Energiestrategie 2050 des Bundes bzw. die Umsetzung des Energiekonzepts des Kantons St.Gallen, das 16 Massnahmen beinhaltet. Was läuft gut, was weniger?
Das St.Galler Energiekonzept 2021–2030 ist gut gestartet und befindet sich im zweiten Jahr der Umsetzung. Bedenken Sie: Viele dieser 16 Massnahmen sind mit baulichen Veränderungen verbunden; die Umsetzung ist zeitintensiv. Hier mache ich den Vergleich mit einem Steigerungslauf: In der Startphase leisten wir viel Arbeit zur Sensibilisierung und Information. Erste Erfolge zu den Zielen zeigen sich dann zeitversetzt.
«Die Umsetzung des Energiekonzepts bedeutet weder Verzicht noch Einschränkung.»
Können Sie ein paar nennen?
Wir sind unter anderem bei der Steigerung der Energieeffizienz gut unterwegs. In der Startphase zeigen das Ersetzen fossiler Heizungen oder der Umstieg auf E-Mobilität bereits messbare Wirkung. Andere Massnahmen nehmen deutlich an Tempo auf, benötigen aber noch Zeit, bis ihre Wirkung messbar wird. Ich denke da an Konzepte zur Wärmeversorgung ganzer Areale oder Quartiere. Der Kanton macht auf seiner Website die Erfolge mit einem jährlichen Monitoring für alle sichtbar.
Die Haltung gegenüber erneuerbaren Energien scheint in Teilen der Bevölkerung etwas ambivalent zu sein. Wie gehen Sie mit solchen Vorbehalten um?
Für den Erfolg des St.Galler Energiekonzepts ist es wichtig, die unterschiedlichen Bedürfnisse und die Bedenken der Bevölkerung und Interessenvertretungen zu allen Schwerpunkten ernst zu nehmen. Unsere Aufgabe ist es, im Dialog Fakten zu vermitteln und Lösungen aufzuzeigen. Die Umsetzung des St.Galler Energiekonzepts bedeutet weder Verzicht noch Einschränkung, sondern Gewinn. Mit ausgewogenen Massnahmen überwiegen die positiven Auswirkungen auf die Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt – und damit auf uns alle.
Mit ihren Dienstleistungen bildet die Energieagentur eine unabhängige Drehscheibe für Privatpersonen, Gemeinden und Regionen, Unternehmen und Fachleute. In welchen Bereichen wird derzeit am meisten Beratung gewünscht?
Die Bedürfnisse sind so unterschiedlich wie die Menschen, mit denen wir im Dialog stehen. Fossile Heizungen zu ersetzen und Solarstrom zu produzieren, stehen ganz oben auf der Liste. Dafür und für die energetische Modernisierung interessieren sich Eigentümer von Wohn-, Gewerbe-, Bildungs- und Verwaltungsbauten. Als Zertifizierungsstelle für die Standards Minergie und SNBS stellen wir fest, dass das Interesse an nachhaltigen und zukunftsfähigen Bauten deutlich steigt.
In den Gemeinden und Regionen ist die Wärmeversorgung aktuell das Topthema. Und natürlich interessieren sich viele für die Unterstützung durch die verschiedenen Förderprogramme.
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«In den Gemeinden und Regionen ist die Wärmeversorgung das Topthema.»
Wie können Sie in den genannten Bereichen helfen?
Um der Funktion einer Drehscheibe gerecht zu werden, hält die Energieagentur St.Gallen einen bunten Blumenstrauss parat. Für die gesamte St.Galler Bevölkerung bieten wir eine kostenlose Erstberatung am Telefon oder über Videotelefonie an. Gemeinden und Regionen erhalten Unterstützung im Energievollzug, beim Entwickeln und Durchführen von kommunalen Förderprogrammen, bei der Energieplanung und beim Energiemonitoring. Auf Wunsch nehmen unsere Fachleute Einsitz in Fachgremien und Kommissionen. Wir wickeln das kantonale Förderprogramm ab, führen Publikumsveranstaltungen, Schulungen für Fachleute durch und vieles mehr. Kurz gesagt: Wer ein Anliegen zum Thema Energie hat, ist bei uns an der richtigen Adresse.
Sind Sie optimistisch, die Ziele der Energiestrategie 2050 des Bundes und der kantonalen Strategie zu erreichen?
Ich bin grundsätzlich zuversichtlich bezüglich der Erreichung der Ziele. Doch es ist unbestreitbar, dass die Branche ihre Dynamik erhöhen muss. Das aktuelle Tempo reicht nicht aus. Gemeinsam mit meinem Team bei der Energieagentur setzen wir alles daran, den vorgegebenen Zielpfad konsequent zu verfolgen. Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen können, aber dazu müssen wir jetzt handeln – alle gemeinsam und alle nach ihren Möglichkeiten.
Die 16 Massnahmen des St.Galler Energiekonzepts
- Konzepte für die kommunale und regionale Wärmeversorgung erarbeiten und umsetzen.
- Verteilnetzbetreiber tragen zur vermehrten Produktion von erneuerbarem Strom bei.
- Versorgungssicherheit und Flexibilität erhöhen durch Speicherung und Lastmanagement.
- Energie- und Klimapolitik weiterentwickeln.
- Quartiere und Areale vernetzen und integral entwickeln.
- Kanton fördert Nutzung von Abwärme mit Wärmenetzen.
- Produktion und Nutzung erneuerbarerEnergien steigern.
- Sommerlicher Wärmeschutz bei Planung und Realisierung umsetzen.
- Energieberatung verbreiten und Anreize für energetisch effizienten Betrieb schaffen.
- Mobilitätsmanagement von Unternehmen und der öffentlichen Hand stärken.
- Sicher und aktiv ans Ziel kommen – zu Fuss und mit dem Velo.
- Erfolgreiche Mobilitätslösungen etablieren.
- Verbreitung der Elektromobilität unterstützen.
- Produktion von Solarstrom auf grossen Flächen ausbauen.
- Grossverbraucher sind Vorbilder.
- Energieeffizienz bei KMU und Landwirtschaftsbetrieben steigern.
Text: Patrick Stämpfli
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer