Wie starke Persönlichkeiten Helvetia prägten

Über viele Jahrzehnte hinweg wurde Helvetia von Persönlichkeiten geprägt, die weit mehr waren als reine Manager. Sie verbanden unternehmerisches Gespür mit regionaler Verwurzelung und prägten damit nicht nur die Entwicklung der Versicherung, sondern auch das Selbstverständnis von St.Gallen als bedeutendem Versicherungsplatz. Mit der geplanten Fusion von Helvetia und Baloise könnte diese Tradition zu Ende gehen – und die Ostschweiz einen Teil ihrer wirtschaftlichen Identität verlieren.
Eine Tradition seit 1858
Die Geschichte der Helvetia begann 1858 mit der Gründung der Allgemeinen Versicherungsgesellschaft Helvetia in St.Gallen, gefolgt von der Schweizerischen Feuerversicherungsgesellschaft 1861. In einer Region, die sich damals als aufstrebendes Handels- und Industriezentrum etablierte, wuchs Helvetia zu einem verlässlichen Partner und schuf eine starke Basis für ihre nationale und internationale Expansion – stets mit einem klaren Bekenntnis zur Heimat.
Der Architekt des Aufstiegs
Erich Walser (1947–2014) verkörperte dieses Heimatbewusstsein wie kein anderer. Von 1991 bis 2007 als CEO und anschliessend als Verwaltungsratspräsident baute der Ausserrhoder Helvetia zu einer international tätigen Versicherungsgruppe aus. Mit der Fusion mit der Patria Lebensversicherung 1996 stellte Walser die Weichen für die heutige Konzernstruktur. Trotz aller Expansion verteidigte er St.Gallen als Hauptsitz mit Nachdruck und war auch ausserhalb des Unternehmens engagiert, etwa als Mitgründer des World Demographic & Ageing Forum (WDA Forum). Der heute nach ihm benannte «Erich Walser Generationenpreis» würdigt dieses Engagement.
Weitere prägende Figuren
Auch seine Nachfolger führten Helvetia mit starker Handschrift weiter: Stefan Loacker übernahm 2007 die Leitung der Gruppe. Der Wirtschaftswissenschaftler aus Vorarlberg mit Studienabschlüssen aus Wien und St.Gallen trieb die Internationalisierung konsequent voran. Seine Laufbahn begann er am Institut für Versicherungswirtschaft der Universität St.Gallen, bevor Loacker über verschiedene Stationen innerhalb der Helvetia Gruppe 2007 CEO wurde. Während seiner neun Jahre an der Spitze stärkte er die Marktposition in Europa und setzte wichtige Impulse für das internationale Geschäft.
2016 folgte Philipp Gmür als Group CEO. Er verantwortete die Umsetzung der Unternehmensstrategie «helvetia 20.20» und führte mehrere bedeutende Übernahmen durch, darunter die Integration der Nationale Suisse und die Mehrheitsbeteiligung an der spanischen Caser. Gmür erhielt 2016 die Auszeichnung «Kommunikator des Jahres» für seine Leistungen in der internen Kommunikation während des Transformationsprozesses. Auch er war eng mit der Region verbunden: Als Präsident der Fördergesellschaft des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St.Gallen und Mitglied im Stiftungsrat von Avenir Suisse setzte er sich für die Standortförderung ein. Seit Oktober 2023 steht Fabian Rupprecht an der Spitze der Helvetia Gruppe. Der erfahrene Manager war zuvor CEO International Insurance bei der niederländischen NN Group und wird möglicherweise der letzte Helvetia-CEO in St.Gallen sein.
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Starke Unterstützung aus der Politik
Helvetia konnte sich stets auch auf politische Unterstützung verlassen. Persönlichkeiten wie der ehemalige St.Galler Stadtpräsident Thomas Scheitlin oder Regierungsrat Beat Tinner engagierten sich über Jahre hinweg für den Verbleib des Hauptsitzes in St.Gallen. Sie unterstützten den Ausbau des Helvetia Campus, halfen bei regulatorischen Fragen und begleiteten strategische Projekte mit dem Ziel, die Position des Unternehmens in der Ostschweiz zu sichern.
Bruch mit der Tradition?
Die geplante Fusion mit der Baloise könnte nun das Ende dieser engen Bindung an St.Gallen einläuten. Der Verlust des Hauptsitzes wäre nicht nur ein wirtschaftlicher Rückschlag, sondern auch ein schmerzlicher Schlag für die Identität der Ostschweiz. Bleibt die Frage: Werden auch künftig Persönlichkeiten auftreten, die das Unternehmen nicht nur führen, sondern zugleich Verantwortung für die Region übernehmen? Ihre Haltung könnte entscheidend sein für die Zukunft von St.Gallen als Wirtschafts- und Denkraum.
Text: Patrick Stämpfli
Bild: zVg