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Investitionsfreude in Gefahr?

Investitionsfreude in Gefahr?
Marco Meier
Lesezeit: 5 Minuten

Marco Meier ist Leiter Geschäftsentwicklung und Spezialprodukte Firmenkunden bei Raiffeisen Schweiz. Er weiss, wie sich steigende Zinsen und sinkende Kaufkraft auf KMU auswirken – und wie diese die Effekte abfedern können.

Marco Meier, eine grosse Zahl an KMU in der Schweiz (Studien gehen von zehn Prozent aus) hätte zwar einen Kredit nötig – verzichtet aber auf den Gang zur Bank. Was ist der Grund für diese Entmutigung?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Die Gründe sind unterschiedlicher Natur – etwa der Respekt vor den Kosten einer Finanzierung oder auch die befürchteten administrativen Hürden. Meist hilft ein klärendes Gespräch mit der Bank, die auf die individuelle Situation der Kundin oder des Kunden eingehen und bei den einzelnen Schritten unterstützen kann.

Die Banken lehnten lediglich drei Prozent aller Kreditanträge von KMU ab. Trotzdem scheuen viele KMU den Gang zur Bank – zu umständlich, zu unsicher, zu mühsam sei der Kreditprozess. Was können Banken tun, um diese Zweifel auszumerzen?
Unsere Erfahrung zeigt, dass viele KMU über die Jahre hinweg wachsen, aber ihre finanziellen Instrumente der neuen Grösse nicht anpassen. Es kann also vorkommen, dass ein Liquiditätsbedarf eher spät bemerkt wird. Im Rahmen eines Kreditantrages ist es zudem möglich, dass neben dem eigentlichen Kreditprozess auch Strukturen und Finanzinstrumente hinterfragt und angepasst werden. Dies wirkt auf den ersten Blick zwar umständlich, vereinfacht aber vieles und hilft so den KMU auf lange Sicht. Ich kann die Zurückhaltung der Unternehmer ein wenig verstehen, da man sich häufig nicht gerne mit diesem Thema Finanzen auseinandersetzt und sich lieber auf das Kerngeschäft konzentriert. Das Gute ist jedoch: Unsere rund 450 Firmenkundenberater in der ganzen Schweiz stehen den KMU während des ganzen Prozesses beratend zur Seite. Je früher ein Unternehmen also den Kontakt zu der Hausbank aufnimmt, desto unkomplizierter und besser geplant kann der Kreditprozess angegangen werden.

  

«Viele KMU haben ihre finanziellen Instrumente der neuen Grösse nicht angepasst.»

In der Schweiz unterstützt der Bund KMU bei der Beschaffung von Bankkrediten, indem er Bürgschaftsorganisationen finanziert. Bürgschaften gelten für Kredite bis zu einer Million Franken. Allerdings sind sich nur 26 Prozent der Schweizer KMU dieser Möglichkeit bewusst, und lediglich drei Prozent haben davon je Gebrauch gemacht. Warum ist das Bürgschafts-Vehikel so wenigen bekannt/so unbeliebt?
Häufig ist die Bürgschaft für ein KMU eine zusätzliche finanzielle Unterstützung neben anderen Bankfinanzierungen. Sie kommt dann zum Zug, wenn ein Unternehmen über ungenügende Eigenmittel verfügt oder notwendige Garantien fehlen. Die Bank steht für die Schulden eines Unternehmens ein, sollte dies notwendig werden. Dadurch kann das Unternehmen zwar zeigen, dass es das Vertrauen einer Bank geniesst, gleichzeitig bedeutet es aber zusätzliche Komplexität und Mehraufwand im eigenen Zahlungsverkehr. Viele KMU setzen sich darum gar nicht erst mit einer Bürgschaft auseinander. Zudem bringt sie Kosten mit sich, die jedoch gering und genau kalkulierbar sind. Auch hier lohnt sich der regelmässige Austausch mit den Firmenkundenberatern, da diese die Situation des Unternehmens bestens kennen und auch wissen, ob sich diese Form der finanziellen Unterstützung für ein Unternehmen eignet.

Die Lieferkettenproblematik hat sich in den vergangenen Monaten etwas entschärft. Welche Finanzierungsfragen beschäftigten Firmenkunden trotzdem noch im Kontext der Lieferketten?
Wir haben hier Themen, die den gleichen Ursprung haben: In den Jahren vor der Pandemie haben viele KMU ihre Vorräte und Lager abgebaut und sind in die Just-in-time-Produktion übergegangen – unnötige Lager wurden mit unnötigen Kosten gleichgesetzt. Mit den Lieferengpässen, die sich in den vergangenen drei Jahren teilweise markant zugespitzt haben, hat sich ein Gegentrend bemerkbar gemacht – die Lager werden wieder aufgestockt. Für diese Aufstockung benötigen die Unternehmen Liquidität, die aufgrund des eher zurückhaltenden Konsums der vergangenen Jahre nicht immer gegeben ist. Gleichzeitig bringen aber volle Lager neue Herausforderungen mit sich. Die Lagerhaltung bindet Betriebskapital, das an anderer Stelle fehlt und im Extremfall dafür sorgen kann, dass bei gelagerten Waren die Nachfrage nachlässt oder sogar unnötige Abschreibungen fällig werden. Es liegt auf der Hand, dass für Unternehmen eine vorausschauende Liquiditätsplanung essenziell ist, um allfällige Finanzierungslücken frühzeitig identifizieren zu können.

 

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«Unnötige Lager wurden mit unnötigen Kosten gleichgesetzt.»

Dafür wirken sich steigende Zinsen und die Inflation bei vielen KMU negativ auf Erfolgsrechnung und Liquidität aus, oder?
Die Inflation in der Schweiz liegt deutlich unter den Werten des restlichen Europas, was uns in Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den europäischen Konkurrenten sogar eine gewisse Entlastung bringt. Die Schweizer KMU sind sich zudem die Konkurrenz mit dem europäischen Markt gewohnt, sodass die aktuelle Situation keine ausserordentliche Belastung darstellen dürfte. Ob und wie stark sich steigende Zinsen und die Inflation auf ein Unternehmen auswirken, hängt nicht zuletzt von der Marktstellung des Unternehmens ab und inwiefern allfällige Mehrkosten an Endkunden weiterverrechnet werden können. So oder so empfehle ich, sich offen mit Lieferanten über anstehende Herausforderungen auszutauschen und insbesondere Kunden frühzeitig über Preisveränderungen zu informieren.

Welche Auswirkungen haben die steigenden Zinsen auf Investitionstätigkeit von KMU?
Die Frage nach den Auswirkungen der Zinswende auf ein Unternehmen kann nur im konkreten Einzelfall beantwortet werden. Die Tiefzinsphase der vergangenen Jahre war historisch gesehen aussergewöhnlich und sollte darum nicht als Basis für die Zukunft angesehen werden. Historisch betrachtet sind die aktuellen Zinsen sogar noch immer im tieferen Bereich. Wir beobachten im Geschäft mit unseren Kunden, dass derzeit noch ein beträchtlicher Anteil der Investitionen über die Liquiditätsreserven der Unternehmen finanziert wird. Mittel- bis langfristig werden die steigenden Zinsen die Investitionsfreude aber bremsen und nur jenen Firmen vorbehalten bleiben, die mit dem investierten Geld langfristig einen positiven Cashflow generieren.

Wie kulant sind Sie als Bank, wenn Sie sehen, dass ein KMU durch die steigenden Zinsen in Schieflage zu geraten droht?
Raiffeisen legt die Preiskonditionen anhand eines jährlichen Ratings jedes Unternehmens fest. Dabei wird auch die betriebliche Entwicklung berücksichtigt. Wenn nachvollziehbare Gründe vorliegen, führt eine einmalige Verschlechterung somit nicht zwingend und unmittelbar zu einer Preiserhöhung. Ein KMU mit einer stabilen Produktpalette und positiven Marktchancen wird wo immer möglich unterstützt, um kurzfristige Problemstellungen adäquat abdecken zu können. Wir können dabei nicht nur auf der Kreditseite unterstützen, sondern helfen auch bei der Erstellung von Strategien und Businessplänen bis hin zur Überarbeitung des Geschäftsmodells.

 

 

Welche Alternativen haben KMU, um die Auswirkungen steigender Zinsen abzumildern, beispielsweise durch alternative Finanzierungsmöglichkeiten?
Alternative Finanzierungsformen zum klassischen Kredit, beispielsweise in Form eines Leasings, werden idealerweise individuell besprochen und geprüft. Gerade Leasing ist aber ein spannendes Finanzierungsmittel, das die Liquidität eines Unternehmens schont. Die individuelle Prüfung gilt nicht nur für Finanzierungsformen, sondern auch für Währungsabsicherungen, damit Kursschwankungen auf Fremdwährungen keine zusätzliche Belastung darstellen.

Zum Schluss: Was raten Sie den KMU jetzt? Welche Massnahmen können die Unternehmer ergreifen, um mögliche finanzielle Belastungen zu minimieren?
Wichtig ist eine transparente und vor allem ehrliche Analyse der Ausgangslage. Als geeignetes Instrument dient sicherlich der Aufbau eines Reportingsystems, um nachhaltige Aussagen zur aktuellen und künftigen Entwicklung des Geschäfts machen zu können. Unsere Kundenberater unterstützen dabei, die nötigen Informationen zusammenzutragen und zu analysieren. Auf dieser Basis können dann gemeinsam, auf die individuellen Bedürfnisse des KMU angepasste, Lösungsvorschläge ausgearbeitet werden. Bei sehr spezifischen und komplexen finanziellen Herausforderungen können sie zudem auf ein nationales Netzwerk von Experten zurückgreifen.

Text: Stephan Ziegler

Bild: Thomas Hary

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