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Im ältesten Geigenbauatelier der Schweiz

Im ältesten Geigenbauatelier der Schweiz
Raffael Sprenger
Lesezeit: 6 Minuten

Sprenger Geigenbau aus St.Gallen ist ein Manufakturunternehmen wie aus dem Bilderbuch. Raffael Sprenger führt es in der vierten Generation und erzählt, was er von seinen Vorfahren abgeschaut hat, wieso eine weisse Geige nicht gut klingt und was es mit der St.Galler Stradivari-Sammlung auf sich hat.

In der Luft liegt der Geruch von Holz und Leim, der Geigenbauer sitzt mit rundem Rücken auf einem Stuhl und berührt mit der Nasenspitze fast den Bogen, dem seine ganze Aufmerksamkeit gewidmet ist. Er richtet sich die Brille und greift nach einem von Hunderten Werkzeugen, die die Wände in den Räumlichkeiten an der Neugasse 53 schmücken. «Viele davon stammen noch aus der Zeit meines Urgrossvaters», sagt Raffael Sprenger. Er trägt eine braune Schürze und seine Augen funkeln, wenn er über sie spricht: Geigen.

Sprenger Geigenbau ist das älteste Geigenbauatelier der Schweiz – wahrscheinlich auch Europas, erklärt Sprenger, der den Betrieb in der vierten Generation führt. Aus der Neugasse ertönt das laute Geräusch eines Presslufthammers. Der 47-Jährige schliesst das Fenster und sagt: «Dass wir derzeit eine Baustelle vor der Tür haben, ist nicht ideal. Wir arbeiten viel mit Klang, da sollte es leise sein.»

Das Stammhaus in St.Gallen wurde 1917 vom Firmengründer Fritz Sprenger an der Metzgergasse eröffnet. Einige Jahre später zog das Atelier an die Neugasse um. Fritz, der 1879 in Arbon zur Welt kam, brachte sich die Kunst des Geigenbaus mithilfe von Fachliteratur selbst bei. Begeistert von seiner Präzision, stellte ihn der Zürcher Geigenbauer J.E. Züst als Lehrling ein. Fritz Sprenger arbeitete dort acht Jahre, bevor er sich in St.Gallen selbstständig machte. In seinem nur 57-jährigen Leben baut er über 100 Instrumente, die grösstenteils erhalten sind und heute von Musikern auf dem ganzen Globus gespielt werden.

«Das Holz hat einen enormen Einfluss auf den Klang.»

Stradivari-Geigen restauriert

Raffael Sprenger öffnet eine Vitrine und holt eine weisse Geige hervor – gebaut hat er sie selbst während seiner Ausbildung in Cremona: «So sieht eine unlackierte Geige aus. Das Lackieren ist aber wichtig, um das Holz widerstandsfähiger gegen Abnutzung, Schmutz und Umgebungsluft zu machen. Auch der Klang wird durch den Lack beeinflusst.» Üblicherweise bestehen die Überzuglacke aus Naturharzen, gelöst in Öl oder Spiritus. Der Prozess des Lackierens dauert mehrere Wochen bis Monate.

Nach dem Tod von Fritz Sprenger übernimmt Arnold Sprenger das Geschäft seines Vaters und spezialisiert sich auf Restaurierungen und Reparaturen von Streichinstrumenten. Mit Unterstützung von Arnold Sprenger wird die weltberühmte Stradivari-Sammlung des St.Galler Textilindustriellen Rolf Habisreutinger aufgebaut, die heutige Stradivari-Stiftung Habisreutinger. Zahlreiche der in der Stiftung enthaltenen Instrumente von Antonio Stradivari gehen durch das Geigenbauatelier Sprenger, werden hier restauriert und gepflegt. 1981 übergibt Arnold Sprenger das Geschäft an seinen Sohn Christoph, Arnold stirbt 1992.

Christoph Sprenger spezialisiert sich auf Pflege, Restaurierung und Reparatur von wertvollen alten Instrumenten und führte das Unternehmen erfolgreich in der dritten Generation weiter. «Natürlich bekommt man schon als kleines Kind in einem Familienbetrieb vieles mit. Mein Vater hat mich aber nie gedrängt, den Betrieb zu übernehmen. Ich bin selbst auf ihn zugegangen», erzählt Raffael Sprenger.

Über wie viele Geigen und andere Streichinstrumente das Stammhaus verfügt, kann Sprenger nicht genau beziffern. Den Bestand erweitere man laufend und nachhaltig. Besonders: Viele Instrumente finden den Weg nach Jahrzehnten wieder zurück in Sprengers Hände.

«Immer wieder kommen Leute ins Geschäft, die eine Geige bei meinem Gross- oder Urgrossvater gekauft haben und sie nicht mehr spielen. Diese kaufen wir dann ab. So kann man eine neue Geige kaufen; der Preis der alten wird davon abgezogen. Dieses Angebot wird sehr geschätzt», sagt Sprenger. Die teuerste Geige in seinem Repertoire stammt aus dem 17. Jahrhundert und kostet über 150’000 Franken. Selbstverständlich erhalten die Kunden eine lebenslange Garantie auf ihre Instrumente.

  

Im Geigen-Mekka gelernt

Von 1997 bis 2002 besucht Raffael Sprenger die Geigenbauschule in Cremona. In der traditionsreichsten «Geigenstadt» der Welt, in der noch heute der Geist Stradivaris, Guarneris und Amatis zu spüren ist, legt der heute 47-Jährige den Grundstein für seine Tätigkeit im Traditionsatelier. Um sich auf die Restaurierung von Streichinstrumenten zu spezialisieren, arbeitet Raffael Sprenger, nach Aufenthalten in Bern und St.Gallen, in renommierten Ateliers in London und Deutschland. Seit Sommer 2005 arbeitet er im Stammhaus in St.Gallen, dessen Führung er 2012 übernommen hat.

Während sein Urgrossvater Fritz vorwiegend neue Instrumente baute, konzentriert sich Raffael und sein Team mit zwei weiteren Geigenbaumeistern aus Österreich und Deutschland auf die Restauration von Streichinstrumenten «Reparieren kann man fast alles. Kritisch wird es, wenn das Holz von Wurmbefall betroffen ist», sagt der St.Galler.

Auch wenn er selbst seit jungen Jahren Geige spielt, sieht er sich nicht als Musiker, sondern als Techniker. «Das ist auch gut so, denn dadurch haben wir einen neutraleren Blick oder besser gesagt ein neutraleres Gehör für das Instrument. Wenn ich diese Geige fünf Musikern zeigen würde, hätte ich fünf verschiedene Meinungen zu ihrem Klang. Am Schluss ist es doch Geschmackssache.»

Zum Stammhaus in St.Gallen ist in Bern ein weiteres Geschäft dazugekommen – ebenfalls mit drei Geigenbauern. «St.Gallen ist für mich Heimat und ich schätze unsere Region sehr. Wir haben Kunden über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus, da wir als ältestes Atelier der Schweiz eine gewisse Strahlkraft haben und unserer Kundschaft eine sehr breite Auswahl bieten können. In Bern läuft aber kulturell mehr als in St.Gallen – das muss man zugeben», sagt Sprenger.

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Präzision ohne Hightech

In der Neugasse 53 können auch Geigen, Cellos, Kontrabässe und Bratschen gemietet werden. Die Nachfrage nach Mietinstrumenten ist seit Covid gestiegen. Im oberen Stockwerk gibt es ein Musikzimmer, wo Interessierte die Instrumente in Ruhe ausprobieren können. «Entscheidet sich ein Kunde später zum Kauf, ziehen wir die Mietkosten ab. Dieses Angebot trifft den Nerv der Zeit», erzählt Sprenger. Ihm sei es ein Anliegen, das Geschäft seines Vaters, Gross- und Urgrossvaters traditionsreich fortzuführen – und trotzdem mit der Zeit zu gehen.

Die Geige besteht wie die meisten Saiteninstrumente der klassischen Musik aus Boden, Decke und einer umlaufenden Zarge. Innerhalb dieses Resonanzkörpers befinden sich Stimmstock und Bassbalken, die massgeblichen Anteil am Klang des Instrumentes haben. Die Restaurierung historischer Streichinstrumente kann in manchen Fällen teurer als der Kaufpreis sein. «Es lässt sich fast alles reparieren. Auch wenn sich das manchmal preislich gar nicht lohnt, bestehen einige Kunden darauf. Denn: Der emotionale Wert eines Instruments ist für viele unbezahlbar.»

Die Kunst der Restaurierung und des Neubaus hat sich kaum verändert; die Technologie hat in diesem Bereich ausnahmsweise nur sehr wenig Einzug gehalten – und das, obwohl filigrane Präzisionsarbeit geleistet werden muss. «Es gibt immer wieder Ambitionen von Tüftlern, wie man die Geige oder Elemente davon revolutionieren könnte – aber bis jetzt gab es keinen zweiten Stradivari», lacht Sprenger. Auch in seiner Werkstatt arbeitet man mit herkömmlichen Werkzeugen und setzt auf bewährte Materialien und Methoden.

Nachhaltigkeit beschäftigt

Dies gestaltet sich zunehmend zu einer Herausforderung, denn verschiedene Materialien, aus denen ein Streichinstrument besteht, sind bedroht. Die Kopfplatte des Bogens etwa besteht oft aus Elfenbein oder Mammut, der Bogen aus Rosshaar – und das bevorzugte Fernambukholz kommt aus Brasilien und fällt unter das internationale Artenschutzabkommen. Sollte der Handel mit dem Holz erschwert werden, braucht es Alternativen. Doch das gestalte sich nicht so einfach, wie es sich anhört: «Das Holz hat einen enormen Einfluss auf den Klang», sagt Sprenger. Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Bestandteil in der Arbeit eines Geigenbauers, der oft hundert Jahre alten Instrumenten neues Leben einhaucht.

Für die Zukunft wünscht sich Sprenger, dass er das Unternehmen stetig weiterentwickeln könne. Er freut sich, wenn er seine Begeisterung für Instrumente mit der Kundschaft teilen kann. Ob es eine fünfte Generation Geigenbau Sprenger geben wird, kann der Vater von drei Kindern noch nicht sagen, aber seine Tochter sei sehr am Betrieb interessiert – und wer weiss, vielleicht führt bald die erste Frau das Traditionsunternehmen weiter.

Text: Miryam Koc

Bild: Thomas Hary

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