Die Champions sichtbar machen

Die Champions sichtbar machen
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In der Ostschweiz gibt es überraschend viele kaum bekannte, hochinnovative Unternehmen. Der Versuch, eine Stichprobe zu nehmen, ist deshalb immer unvollständig – aber durchaus repräsentativ.

Seit gut 30 Jahren wird der Begriff Hidden Champion verwendet, nachdem in die Zeitschrift für Betriebswirtschaft 1990 eingeführt hatte. Der Autor, Hermann Simon, hatte auch eine klare Definition mitgeliefert: Sie sind Nummer 1, 2 oder 3 auf dem Weltmarkt, haben einen Umsatz von weniger als drei Milliarden Euro, und sie sind der Öffentlichkeit kaum bekannt, da sie inhabergeführt und nicht börsennotiert sind. Meistens bedienen sie auch einen Nischenmarkt.

Unternehmen, die ungefähr in dieses Schema passen, gibt es in der Ostschweiz überraschend viele, auch wenn man jene Champions abzieht, die einigermassen bekannt und eben nicht «hidden» sind.

Was machen die eigentlich?

Die Szene könnte sich überall in der Ostschweiz abspielen: Man fährt durch ein Dorf und sieht am Dorfrand eine ältere Werkstatt mit einem Anbau jüngeren Datums, an der Wand ein Logo mit einem Familiennamen, davor ein ausländischer Lastwagen, der gerade beladen wird. Womit? Keine Ahnung … Sucht man später den Namen im Netz, findet man eine jener kleinen Firmen, die ihre Website nicht auch in Englisch zugänglich machen, sondern nur in Englisch.

Die Frage «Was machen die eigentlich?» stellt sich oft. In der Ostschweiz darf man gerne davon ausgehen: Was immer es auch ist, was sie machen, sie machen es besser als andere. Viele hiesige KMU, nicht selten nach wie vor Familienunternehmen, haben sich auf eine ganz bestimmte Nische fokussiert und beliefern anderen Unternehmen mit Komponenten, ganzen Systemen oder auch Know-how.

«Wir erfinden das Rad auch neu.»

Ansteckende Begeisterung

Derselbe unternehmerische Spirit, der zurecht bei einigen bekannten Ostschweizer Vorzeigeunternehmen an Wirtschaftsanlässen gelobt wird, findet sich auch in Firmen, von denen kaum jemand gehört hat.

Natürlich braucht es Know-how und Kapital, Fachkräfte und eine Portion Glück, um sich in weltweiten Märkten zu
etablieren. Es braucht aber insbesondere Unternehmer, die für ihre Firma brennen. Die mit Leidenschaft neue Ideen vorantreiben und ihre Mitarbeiter mit ihrer Begeisterung anstecken. Hier sind Ingenieure und Konstrukteure am Werk, die Herausforderungen lieben. Das bald hundertjährige Kradolfer KMU Humbel Gear Technology bringt dieses Selbstverständnis auf seiner Website schön auf den Punkt: «Wir erfinden das Rad auch neu».

In diesem Schwerpunkt haben wir einigen dieser Hidden Champions, nachgespürt, stellvertretend für viele weitere unternehmerische Perlen, die gemeinsam den Werkplatz Ostschweiz stark machen.

Fordert man führende Köpfe der Ostschweizer Wirtschaftsämter auf, Hidden Champions aus ihrem Kanton zu nennen,
kommen sie dem Wunsch gerne nach. Sollen es je nach Kantonsgrösse nur drei oder fünf Nennungen sein, ist das zugegebenermassen aber eine Zumutung.

Auch weil die Kriterien, wer nun ein Hidden Champion sei, bewusst nicht messerscharf formuliert wurden, haben Wirtschaftskenner sofort eine längere Liste an spannenden Firmen zur Hand – Perlen, die von der Allgemeinheit kaum beachtet werden, aber das Zeug zu einem Vorzeigeunternehmen haben.

 

Exportorientierte Firmen

«Für den Kanton St.Gallen nur gerade vier oder fünf Vorschläge machen zu können, ist eine echte Herausforderung! Da gibt es doch einige mehr …» schreibt etwa Karin Jung, Leiterin Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons St.Gallen. Der Thurgauer Wirtschaftsförderer Marcel Räpple betont: «Die Aufzählung ist in keiner Weise abschliessend. Es existieren eine ordentliche Anzahl weiterer nennenswerter Kandidaten.»

Unternehmen, die mit Ihren Dienstleistungen und Produkten einzigartig und in den jeweiligen Branchen führend sind? «Als einer der exportstärksten Kantone der Schweiz verfügen wir tatsächlich über eine sehr grosse Anzahl an solchen Firmen», bemerkt Daniel Lehmann zu seinen Nennungen. Er ist Leiter des Amts für Wirtschaft und Arbeit in Appenzell Ausserrhoden, wo 25 Prozent der Arbeitsplätze vom Export abhängig sind.

Leidenschaftliche Unternehmer

Selbst im kleinsten Ostschweizer Kanton kennt man mehr Beispiele als angefordert. Markus Walt, der Leiter des Amts für Wirtschaft von Appenzell Ausserrhoden, zählt darauf, dass einige Vorzeigeunternehmen doch nicht so «hidden» sind, und fügt seiner Liste an: «Selbstverständlich sind da noch KUK und Wyon, aber die haben Sie sicher schon auf dem Radar.»

Die Angaben aus den vier Kantonen sind also alles andere als eine umfassende Auflistung, zumal die Nennungen noch einmal gekürzt wurden. Es sind dennoch nicht ganz zufällige Beispiele, die vor allem in ihrer Summe unterstreichen, dass leidenschaftliches Unternehmertum in der Ostschweiz weitverbreitet und gut verankert ist. Ein Fakt, den man wieder einmal betonen darf: Daniel Lehmann schreibt, dass gerade auch seitens der Kantone ein Interesse bestehe, dass solche Firmen nicht mehr versteckt sind, «sondern als Visible Champions wahrgenommen werden».

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Hidden Champions: Kennen Sie diese Firmen?

Kanton Appenzell Ausserrhoden

  • Bopp & Co. AG, Wolfhalden: Das Unternehmen gehört zu den weltweit führenden Herstellern von Metallgeweben. In fast jedem Handy und in zahlreichen weiteren Produkten finden sich die Metallgewebe aus Wolfhalden.
  • Arcolor AG, Waldstatt: Das KMU ist im Bereich der Dekordruckfarben Weltmarktführer und erarbeitet als Entwicklungspartner mit den Kunden neuartige Lösungen für künftige Markt- und Kundenbedürfnisse.
  • Herrmann AG, Walzenhausen: Mit über 700 Millionen Spritzgussteilen gehört das Unternehmen zu den weltweit führenden Anbietern von Verschlüssen, Verschlusssystemen und mehr für die Pharma-, Kosmetik-, Medizin-, Chemie- und Lebensmittelbranchen.

Kanton Thurgau

  • Sky Frame AG, Frauenfeld: Die rahmenlosen Schiebefenster aus Frauenfeld werden weltweit von führenden Architekten in spektakulären Bauten eingesetzt. Die innovative Firma ist heute nicht mehr so versteckt, weil sie verschiedentlich mit renommierten Design- und Unternehmenspreisen ausgezeichnet wurde.
  • Fatzer AG, Romanshorn: Das Traditionsunternehmen ist heute Teil der Brugg Group.
    Fatzer ist Weltmarktführer von massgefertigten Seilbahnseilen und Sicherheitsanwendungen. Alle Seilbahnen, die für Weltrekorde beim Höhenunterschied, dem freien Spannfeld oder der Gesamtlänge stehen, vertrauen auf Seile aus Romanshorn.
  • Humbel Zahnräder AG, Kradolf: Mit Hochleistungszahnrädern und Getriebelösungen für alle Anwendungen beliefert das Familienunternehmen eine namhafte Kundschaft. Humbel-Produkte finden sich in der Formel 1, aber auch im neuen Formel-E Rennwagen von Porsche. Auch
    in den Getrieben von Stadler-Zügen stecken Humbel-Komponenten.
  • KNF Neuberger AG, Balterswil: Als Teil der KNF Group entwickelt und konstruiert das Unternehmen in Balterswil Membranpumpen für die Förderung von Gasen und Flüssigkeiten. Prominenter Kunde ist das weltweit führende Kernforschungszentrum Cern, das solche Membranpumpen in seinem Teilchenbeschleuniger einsetzt.
  

Kanton Appenzell Innerrhoden

  • Prodartis AG, Appenzell: Komplexeste Bauteilgeometrien können vom Appenzeller Unternehmen werkzeuglos und ohne hohes finanzielles Risiko hergestellt werden. Mit Additive Manufacturing hat sich Prodartis in kurzer Zeit als Lieferantin von Branchen von Luftfahrt- und Fahrzeugbau bis hin zur Medizin- und Labortechnik etabliert.
  • Simex Trading AG, Appenzell: Das 1980 gegründete Unternehmen ist heute einer der weltweit führenden Player im Geschäft mit Markenparfums und -kosmetik. Es beliefert, auch mit einem Standort in Singapur, den Gross- und Einzelhandel rund um den Globus.
  • Swisca AG, Appenzell: Das Unternehmen aus Appenzell setzt sich mit hochinnovativen Maschinen in der weltweiten Nahrungsmittelindustrie durch. Sowohl die Mühlenindustrie als auch Brauereien und Bäckereien setzen auf «Swiss Premium Milling Technology», die eine gleichmässige Vermahlung und eine hohe Ausbeute gewährleistet.

Kanton St.Gallen

  • Icotec AG, Altstätten: Das Unternehmen entwickelt und produziert innovative, hochfeste Implantate aus kohlefaserverstärktem Kunststoff für die operative Versorgung von Tumorerkrankungen der Wirbelsäule. Die Hightech-Implantate aus Altstätten sind strahlendurchlässig, was die postoperative Bildgebung verbessert und entscheidend zu einer optimierten Therapie von spinalen Tumoren und Metastasen beiträgt.
  • Oertli Instrumente AG, Berneck: Seit der Unternehmensgründung im Jahr 1955 hat sich Oertli von einer Werkstatt für chirurgische Instrumente zu einem der weltweit führenden Anbieter von Operationsplattformen und Instrumenten in der Augenchirurgie entwickelt. Die Geschichte von Oertli ist reich an Innovationen, Höhepunkten und wissenschaftlichen Erfolgen.
  • Biontec, St.Gallen: Das Spin-off aus der Forster-Rohner-Gruppe verbindet Innovation und Tradition. Auf klassischen Stickmaschinen werden hier nicht Garne für die Haute Couture verarbeitet, sondern Carbon-Fasern als Grundlage für High-Bauteile, die formfest und leicht sein müssen. Biontec (Bionic Composite Technologies AG)
    produziert u. a. Bauteile für hochwertige Drohnen oder Windblätter für Windgeneratoren von Rennjachten.
  • Innovative Sensor Technology AG, Ebnat-Kappel: Das 1991 gegründete Unternehmen ist einer der weltweit führenden Hersteller von physikalischen, chemischen und biologischen Sensoren. Die Produkte der IST AG kommen in der Medizintechnik, bei der Prozesssteuerung, in der Automatisierungstechnik, in der Luft- und Raumfahrt sowie in der Prüf- und Messtechnik oder in der Biotechnologie zur Anwendung.
  • Büchi Labortechnik AG, Flawil: Seit 1939 liefert das heute weltweit tätige Familienunternehmen umfassende Lösungen, innovative Technologien und Laborprodukte für die Forschung und Entwicklung. Dazu gehören Produkte wie vollautomatische Labortechniklösungen und proprietäre Software, aber auch das Vermitteln von Anwendungskompetenz in Webinaren.

Text: Philipp Landmark

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