Beim diesjährigen Schweizer Markenkongress der St.Galler ESB Marketing Netzwerk AG im Zürcher Dolder Grand wurde vor über 650 Teilnehmern deutlich: Wer Marken zukunftsfähig machen will, muss radikal streichen, digital mutig agieren – und den Menschen im Zentrum behalten.
Was Marken jetzt weglassen müssen

Lesezeit: 4 Minuten
Text: Gabriele Griessenböck (auch Bilder)
Mit über 650 Teilnehmern hat der Schweizer Markenkongress 2025 seinen Besucherrekord im Dolder Grand gehalten. In sieben Bühnenformaten und über 100 Beiträgen wurde sichtbar, dass Markenführung unter dem Druck einer beschleunigten Welt steht. Die Herausforderungen betreffen alle technologischen, strategischen und organisatorischen Bereiche.
Wer auch morgen mit seiner Marke effizient am Markt sein möchte, muss einen radikalen Perspektivenwechsel vollziehen. Wer den Erfolg seiner Marke sichern will, braucht eine neue Methodik, strategischen Mut und die Bereitschaft, Gewohntes loszulassen.
Weniger ist mehr
Schon zu Beginn liess Patrick Seitter von der ESB Academy mit der Vorstellung des «Marketing Barometer 2025» aufhorchen. Die Studie, die gemeinsam mit StrategyOne erstellt wurde, zeigt deutlich: «Wer in Zukunft relevant bleiben will, muss jedes Jahr rund 20 Prozent der eigenen Marketingaktivitäten streichen», so Seitter. Nicht aus Spargründen, sondern um Raum für Neues zu schaffen.
Der grösste Hemmschuh? Laut den 150 befragten Schweizer Unternehmern habe man zu viel Ballast und zu wenig Mut. 89 Prozent sehen grundlegenden Handlungsbedarf bei ihrer Struktur, 61 Prozent geben offen zu, dass ihr Setup nicht zukunftsfähig ist.
Der Mensch im Zentrum
In den Vorträgen und Gesprächen des Kongresses wurde klar, dass Künstliche Intelligenz kein Selbstzweck sein darf. Beiersdorf zeigte, wie bei Nivea mit Hilfe von KI die Customer Journey neu gedacht wird – datenbasiert, aber stets mit menschlicher Relevanz im Zentrum. Auch L’Oréal und die Deutsche Bank gaben Einblicke in ihre KI-gestützten Projekte.
Letztere sorgte mit einem minimalistischen Elektroauto für Aufmerksamkeit – nicht nur als technologische Innovation, sondern auch als klare Botschaft gegen den SUV-Überfluss im urbanen Raum.
Die Gunst der Stunde nützen
Andrea Hänggi, Head of Marketing bei Lindt & Sprüngli, erinnerte daran, wie im Handumdrehen die ganze Welt verrückt nach Dubai Chocolate war. «Wir bei Lindt & Sprüngli wussten, dass es schnell gehen muss, wenn wir dabei sein wollen», erzählte Hänggi. «Ein Hype dauert schliesslich nicht mehrere Jahre.» Lindt & Sprüngli brachte in kürzester Zeit eine eigene, handgefertigte Dubai Chocolate auf den Markt.
«Wir als Traditionsunternehmen hatten den Mut, das Projekt in kürzester Zeit anzugehen. Und wir brachten anschliessend den Mut auf, das Produkt ohne ausreichende Daten zu skalieren.» Der Erfolg zeigt, dass modernes Marketing bereit sein muss, sich auf neue Wege einzulassen.
Storytelling mit Cultural Marketing
Sebastian Kemmler, Gründer und CEO von Kemmler Kemmler, gab interessante Einblicke in die Effizienz und Messbarkeit von Cultural Marketing. «Cultural Marketing hat sich mittlerweile zu einer wichtigen Kernsäule des Marketings entwickelt.» Es trägt dem Umstand Rechnung, dass die neue Generation Werbung hasst – aber sie liebt Storytelling. Denn das kennt sie von diversen Social-Media-Kanälen.
Deshalb setzt auch Porsche seit einiger Zeit vermehrt auf Cultural Marketing. «Es wird immer schwieriger, cool zu sein», meinte dazu Stephanie Kastner, Projektleiterin Global Events & Motorshows bei Porsche. «Kollaborationen mit den Bereichen Fashion und Kunst passen sehr gut zu unserer Marke, denn Porsche setzte schon immer auf exquisites Design.»
Bericht aus der Zukunft
Jochen Sengpiehl, ehemaliger VW-Marketingchef, referierte eindrucksvoll über eine Entwicklung, die mit «China speed» bezeichnet wird. «Die chinesischen Unternehmen haben die gesamte Wertschöpfungskette digitalisiert», so Sengpiehl. Unter Einbeziehung eines chinesischen Sprichworts brachte er es auf den Punkt: «Der beste Zeitpunkt, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Der zweitbeste ist jetzt. Die haben dort schon Wälder. Wir haben erst damit begonnen, eine Schaufel in die Hand zu nehmen.»
Sengpiehl prophezeite, dass Marketing nicht mehr länger eine rein lineare Kampagnenplanung sein kann. «Wer in starren Kampagnen plant, verliert den Kunden.» Marketing und Vertrieb werden nicht mehr als getrennte Bereiche operieren können. Aktiver E-Commerce ist das Gebot der Stunde, um nicht hinter den Chinesen herzuhinken. Auf alle Fälle, so Sengpiehl, müsse uns bewusst sein, dass in China unsere Zukunft heute schon Alltag ist.
Auch interessant
On the way to Love Brand
Susan Schramm, CMO Motel One, lieferte Einblicke in die Welt einer Marke, die sich ganz stark aus dem Gedanken der Reduktion und Fokussierung entwickelt hat. «Unser Gründer hat sich gefragt, was ein Gast in einem Hotel wirklich braucht», erzählte Schramm. «Zudem wurde der Begriff Design zum Konzept. Und dennoch war und ist es ein Design, das für viele leistbar ist.»
Neben Reduktion und Fokussierung setzt man im Marketing von Motel One auch auf dauerhafte Konstanz. «Wir erfinden unsere Marke nicht neu, wir verfeinern sie lediglich.» Vielleicht liegt es an dieser klaren Linie, warum aus einem leistbaren Hotel eine Love Brand wurde.
Werbe lieber ungewöhnlich
Wer aus der Reihe tanzt, der wird gesehen. Das weiss auch Boris Dolkhani, der CMO von Bosch. Er berichtete, wie es ihm und seinem Team gelang, einem traditionell technisch geprägten Konzern ein emotionales Image zu verpassen. Die Kampagne «like a Bosch» kombiniert Technik mit Hip-Hop. Das hat nicht nur den Absatz gesteigert. «Die neue Ausrichtung durchdrang auch auf der Mitarbeiterseite das Unternehmen mit neuer Energie.» Ein gutes Marketing erzeugt also auch intern eine dynamischere Performance.
«Natürlich ist es immer ein sehr schmaler Grat, der Erfolg und Misserfolg trennt. Aber», so erklärte Dolkhani, «ohne Mut kann nichts Neues entstehen.» Viele Medien berichteten über die ungewöhnliche Kampagne – denn die Medien suchen ständig nach neuen Storys, meinte Dolkhani. Und wenn innovatives Marketing diese liefert, erhält man kostenlos eine grosse Reichweite.
KI ist die Zukunft
Der Schweizer Markenkongress 2025 hat eines eindrucksvoll gezeigt: Wer alles macht, macht nichts wirklich gut. Exzellenz entsteht dort, wo Unternehmen den Mut haben, sich zu fokussieren. Wer reduziert, schafft Vertrauen. Um am Ball zu bleiben, führt kein Weg an einem innovativen Umgang mit KI vorbei. Die Welt hat sich beschleunigt. Und wer schneller am Ziel ist, trifft früher als die Konkurrenz dort ein.
Die nächste Ausgabe des Kongresses findet am 10. Juni 2026 erneut im Dolder Grand Hotel in Zürich statt.