Romano: Fremdshopper
von Mario Romano*
Als Wenigverdiener: Vielleicht weil mein Budget in St.Gallen für ein würdevolles Leben nicht reicht? Also quasi Armut? So fahre ich mit einem Auto (Versicherung, Benzin, Unterhalt, Leasing, Garagenmiete etc.) nach Konstanz, wobei ich erst all diese Kosten verursache – um dann beim Einkaufen weniger auszugeben. Und danach soll ich jubelnd verkünden, wie viel ich gespart hätte? Ist doch paradox, oder irre ich mich?
Oder als besser verdienender Single, der einen feinen Batzen Lohn (in der Schweiz!) erhält, sparen, seine Bedürfnisse bestens decken und ordentlich etwas auf die Seite legen kann. Ich kaufe also beispielsweise Lebensmittel, um zu sparen. Wieso? Ich lebe ja alleine, und meine kulinarischen Bedürfnisse sind nicht besonders gross. Da fahre ich also alleine nach Konstanz und kaufe Fleisch, um ein paar Franken zu sparen. Das soll Sinn machen?
Ich grüble, wo es sich wirklich lohnen könnte, im Ausland einzukaufen. Ich sollte an alles denken: Zeit, Benzin, Verpflegung – und nicht zu vergessen: den Stress. Es zählt ja nicht nur das, was ich bei den Produkten gespart habe. Bei Kleidern vielleicht? Wie ist es dort mit der Bedienung und der Auswahl, sind die gekauften Sachen nicht nur der Geiz-ist-geil-Gier geschuldet, sind es wirklich aktuelle Teile? Oder haben die Detailhändler Lagerware billig eingekauft?
Denken die Einkaufstouristen auch mal an das unternehmerische Geschick vieler dort ansässigen Detailhändler – wie sich diese bereichern können und mit welchen Mitteln?
Egal? So egal, dass man die eigenen Detailhändler um die Ecke im Stich lässt? Die Konstanzer kennen doch längst alle Kniffe und Tricks, wie sie aus jedem Stück am meisten herausholen können, angesichts der Horden gieriger Einkaufstouristen. Dass im gleichen Moment dem Inland Schaden zugefügt wird, ist vermutlich vielen egal.
Wenn die populärste Boulevardzeitung der Schweiz online über Einkaufstourismus berichtet, nehme ich mir manchmal die Zeit, die Kommentare zu lesen. Schrecklich, wie viel Wut auf die Schweiz dort zu lesen ist! Wut auf ein Land, in dem niemand durch die Maschen fällt, wenn ihm etwas passieren sollte. Doch die Arroganz, die ich dort lese, hat mir schon oft den Atem stocken lassen. Wenn man bedenkt: Falls jeder genauer kalkulieren, die Preise objektiv vergleichen und wegen des starken Franken ein klein wenig Einsicht haben würde, dann fänden Millionen von Franken ihren Weg nicht nach draussen, sondern blieben hier in der Schweiz.
Zurück zum Einkaufstourist: Was treibt ihn an, an einem Land, das zu den schönsten der Welt gehört, wo das Grün einem quasi ins Gesicht lacht, wo Sauberkeit und Ordnung herrschen, wo vieles, freundlich ineinanderfliesst oder koexistiert, Verrat zu begehen und sogar seinen Nachbarn, der in der Schweiz im Detailhandel arbeitet, im Stich zu lassen?
Manche sagen, es sei die Gier. Echt? Wie viele kämen denn, wenn sie genau kalkulierten, auf das Resultat, dass es sich nur bei bestimmten Produkten am Ende lohnen könnte, sich über der Grenze damit einzudecken? Nun ja, wer geht schon gerne hin und möchte seinen Selbstbetrug eingestehen … Also auch noch Dummheit? Aber nein, keiner ist dumm, der nach Konstanz fährt, im Stau steht, sich um Parkplätze streitet, durch die Geschäfte hetzt und an der Kasse Schlange steht – neben Hunderten, ja Tausenden von seinesgleichen. Schliesslich macht er doch ein Schnäppchen oder zwei!
Man sollte sich ab und zu einen Moment zurücklehnen und sich fragen: Liebe ich mein Land, meine Stadt, meine Umgebung? Bedeuten mir die Menschen hier etwas? Was bedeutet es, in einem Land zu wohnen, wo es sich friedlich, sauber, freundlich, gesund und komfortabel leben lässt? Mir ist klar: Hier herrschen ein paar Regeln und Bestimmungen, von denen manch einer glaubt, diese gelten kaum für die Reichen. Andere wieder scheinen nur für diese gemacht, damit sie sich die Taschen noch voller stopfen können.
Liegt es darin begründet, ins Ausland zu gehen? Aus Protest und Verachtung? Um es diesen zu zeigen? Das wäre dann etwa das Gleiche, wie wenn ein Ehemann permanent fremd gehen würde, um seiner Frau zu zeigen, dass er von der Ehe nicht viel hält – aber verheiratet bleiben will, um nach aussen als fähiger Ehemann zu gelten.
Was also treibt einen Einkaufstouristen ins Zombieland? Jeder hat so seine Motive, aber schlussendlich machen sie alle das gleiche: Fremdshoppen und damit ihr Land gewissermassen verraten – und doch von ihm Liebe, Sicherheit und Schutz erwarten. Wie in einer Ehe.
Dabei bekommt man daheim Liebe und Achtung. Man sollte einfach nicht fremd gehen und alles aufs Spiel setzen, sondern wieder schätzen lernen, was es zuhause gibt. Und was man mit seinen Eskapaden gefährdet.
*Mario Romano ist Inhaber des St.Galler Herrenmodegeschäfts Newman & Paul an der Schützengasse 6.