Ostschweiz

Ist der Arbeitskräftemangel ein Stück weit hausgemacht?

Ist der Arbeitskräftemangel ein Stück weit hausgemacht?
Jobst Wagner, Präsident der Larix Foundation
Lesezeit: 3 Minuten

Ja, lässt eine repräsentative Untersuchung der Universität St.Gallen (HSG) im Rahmen des «Chancenbarometers 2023» vermuten. Gemäss der Umfrage sind sowohl Frauen als auch Personen im Vorruhestand und über 65-Jährige in der Schweiz bereit, deutlich mehr zu arbeiten, wären die Rahmenbedingungen besser ausgestaltet.

Text: pd

Die befragten Frauen sehen die Hürden hauptsächlich in der fehlenden Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Bei den Älteren sind es mangelnde Lohntransparenz und zu wenig flexible Arbeitszeitmodelle. Gefordert sind neben der Politik die Arbeitgeber, die Bedürfnisse der Arbeitnehmer ernst zu nehmen. Weiter registriert die Studie einen nochmals erhöhten Handlungsdruck und dies bei einem erstmals stagnierenden Chancenpotenzial der Schweiz. Präsentiert wurden die Ergebnisse des vierten Schweizer Chancenbarometers der Larix Foundation und der HSG am 29. September 2023 im Rahmen des «Chancentages 2023» in Zürich.

Die Studie widmet sich schwerpunktmässig dem inländischen Lösungspotenzial zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels. Für Jobst Wagner, Präsident der Larix Foundation und Unternehmer, zeigen die Ergebnisse: «Die Bedürfnisse von Arbeitgeber und Arbeitnehmer weichen noch zu stark voneinander ab und behindern die Mobilisierung des Arbeitskräftepotenzials der Schweiz.»

Arbeitswelt modernisieren, um Arbeitskräfte zu gewinnen

Studienleiterin und HSG-Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Tina Freyburg sieht den Engpass als grosse Chance, die Arbeitswelt zu modernisieren: «Mit fast 50 % wird ein grosses Potenzial für positive Veränderungen gesehen. Aber auch ein sehr grosser Handlungsbedarf, der sich stark auf fehlende Familienvereinbarkeit bezieht.» Parteien, die in den kommenden Parlamentswahlen für verbesserte Arbeitsbedingungen einstehen, verbessern ihre Wahlchancen deutlich, ist die HSG-Professorin überzeugt. Die zufriedensten Personen weisen ein Arbeitspensum von über 60 % auf, knapp gefolgt von Vollzeitbeschäftigten. Wer unter 60 % arbeitet, ist hingegen deutlich weniger zufrieden. Das Schlusslicht punkto Zufriedenheit bilden die Familienmanagerinnen.

Was in der Studie ebenfalls zum Ausdruck kommt: Den Arbeitgebern ist es noch nicht richtig gelungen, sich auf das verknappte Arbeitsangebot einzustellen, das vor allem durch die andauernde Pensionierungswelle der geburtenstarken Jahrgänge entstanden ist. Tina Freyburg sagt: «Arbeitgeber werden nicht umhinkommen, sich noch mehr an die Erwartungen der jüngeren Generationen anzupassen und sich umfassend mit neuen Arbeitsformen auseinanderzusetzen.» Für die Generation Z zeigt die Umfrage bereits deutlich, dass sie alles unter einen Hut bringen möchte: Karriere, Familie und Einstehen gegen den Klimawandel.

  

Ältere Arbeitnehmer besser einbinden

Weiter bestätigt das Chancenbarometer, dass sich ältere Arbeitnehmer gerne weiterhin im Erwerbsleben engagieren, wenn ihre Tätigkeit zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beiträgt. Allerdings erwarten auch die Älteren eine Flexibilisierung und Individualisierung der Arbeit. Weiter sollte Lohntransparenz gegeben sein, wie die Studie zeigt.

Arbeitsgesetz reformieren

Hürden abbauen sollte auch der Staat, indem er die Reformen des Arbeitsgesetzes in Richtung einer modernen Arbeitswelt vorantreibt und mit einer zivilstandsunabhängigen Individualbesteuerung Menschen motiviert, ihre Arbeit verstärkt anzubieten. Eine weitere Forderung an die Politik ist, mit der Flexibilisierung des Pensionierungsalters vorwärtszumachen. Zusammengenommen haben es Wirtschaft und Politik in der Hand, Tausende neue Arbeitskräfte freizusetzen.

Alles, was dazu beitragen kann, den Mangel an Arbeitsangebot zu bekämpfen, hilft ebenfalls, andere wichtige Herausforderungen anzugehen, erklärt Tina Freyburg: «Durch eine familienfreundlichere, nachhaltigere, flexiblere und individuellere Arbeitswelt können Wirtschaft, Politik und Gesellschaft dazu beitragen, die Geburtenraten zu erhöhen, die Klimaziele zu erreichen, die Digitalisierung voranzutreiben und das Verkehrsaufkommen zu reduzieren.»

Chancenpotenzial ausschöpfen

Nun zeigt das vierte Chancenbarometer 2023 aber auch, dass die Schweizerinnen und Schweizer das aktuelle Chancenpotenzial des Landes erstmals weniger positiv als im Vorjahr beurteilen, wogegen der Handlungsbedarf zum vierten Mal in Folge weiter angestiegen ist. Für Jobst Wagner ist klar: «Um an der Spitze zu bleiben, muss die Schweiz verstärkt Kräfte freisetzen, um das von unserer Studie aufgezeigte Chancenpotenzial auszuschöpfen.» Beim Schwerpunktthema gelte das ganz besonders: «Wenn anhaltender Personalmangel das an sich mögliche Produktions- und Dienstleistungsangebot einschränkt, stehen Wachstums- und Wohlstandpotenziale ebenso auf dem Spiel wie öffentliche Einnahmen.»

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Eckdaten zum Chancenbarometer 2023

  • 3842 Einwohner der Schweiz ab 15 Jahren, die einer der drei Hauptsprachen mächtig sind (deutschsprachig = 2816; französischsprachig = 698; italienischsprachig = 328)
  • alle Angaben anpassungsgewichtet nach soziodemografischen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Sprache, Kanton, Siedlungsart, Bildung, Partei) zur möglichst repräsentativen Abbildung der Bevölkerung
  • unter der Annahme einer Zufallsstichprobe beträgt der maximale Fehlerbereich +/– 1.5 Prozentpunkte (bei 95 %-iger Wahrscheinlichkeit)
  • Befragungszeitraum: 2. Mai bis 5. Juni 2023

Weitere Informationen unter: www.strategiedialog21.ch/chancenbarometer

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