St.Gallen

«Ich wollte nie nur zuschauen»

«Ich wollte nie nur zuschauen»
Karl Güntzel wurde 2024 zum HEV-Ehrenmitglied ernannt
Lesezeit: 6 Minuten
Am 17. Juli 2025 feierte Karl Güntzel seinen 75. Geburtstag. Im Interview blickt der langjährige St.Galler Kantonsrat, HEV-Geschäftsführer und internationale Handballfunktionär auf prägende Stationen seines politischen, beruflichen und sportlichen Engagements zurück und sagt, was ihn auch heute noch antreibt.

Text: stgallen24/stz.

Karl Güntzel, wie blicken Sie auf Ihre insgesamt 31 Jahre im St.Galler Kantonsrat zurück – welche persönlichen Höhepunkte und Herausforderungen haben Sie in dieser langen Parlamentszeit besonders geprägt?
Über drei Jahrzehnte Mitgliedschaft im kantonalen Parlament – von Mai 1992 bis September 2023 – mit etwa 140 Sessionen à jeweils zwei oder drei Tagen lassen sich nicht in wenigen Sätzen zusammenfassen. Deshalb beschränke ich mich auf wichtige Feststellungen und Erkenntnisse: Die entscheidenden Beschlüsse werden in den vorberatenden Kommissionen gefasst, von denen ich 150 angehört hatte und etwa 30 präsidieren durfte und weitere als Kommissionssprecher in der Fraktion und im Parlament vertrat. Wesentliche Änderungen bei der Beratung im Parlament gibt es selten, höchstens wenn Beschlüsse in der Kommission sehr knapp ausgefallen waren.

Als Jurist interessierten mich insbesondere, aber nicht nur, Gesetzesvorlagen. Ich war aber auch ein aufmerksamer Zuhörer im Rat bei Geschäften, bei denen ich nicht in der Kommission mitgewirkt hatte, und verlangte oft das Wort zur Klarstellung anderer Voten, auch von Mitgliedern der Regierung. Bereits in der zweiten Amtsdauer durfte ich die vorberatende Kommission zur Totalrevision des kantonalen Steuergesetzes präsidieren und die Vorlage an einer Sondersession in erster Lesung vertreten.

Ein Höhepunkt war das Amtsjahr 2011/2012, in dem ich als Kantonsratspräsident die Sitzungen des Parlaments leiten und den Kantonsrat nach aussen vertreten durfte. Und keineswegs selbstverständlich war, dass ich nach der ersten Wahl 1992 von der Bevölkerung siebenmal als Kantonsrat wiedergewählt worden war, auch 2008 bei der Verkleinerung des Parlaments von 180 auf 120 Mitglieder. Offensichtlich nehmen die interessierten Bürger die Arbeit der Parlamentarier zur Kenntnis.

Als langjähriger Geschäftsführer des HEV Kanton St.Gallen haben Sie die Entwicklung des Hauseigentümerverbands massgeblich mitgestaltet. Welche nachhaltigen Impulse konnten Sie in dieser Funktion setzen?
Die ältesten HEV-Sektionen in der Schweiz wurden in Städten gegründet, so auch bereits 1893 der Hauseigentümer-Verband Stadt St.Gallen. In den 1910er-Jahren kam es dann zu weiteren Sektionsgründungen in den Agglomerationen des Kantons, was 1917 die Gründung des HEV Kantonalverband St.Gallen zur Folge hatte – mit einer gemeinsamen Geschäftsstelle in St.Gallen. Es dauerte dann aber Jahrzehnte, bis die übrigen Sektionen mehr Mitglieder hatten als der Stadtverband.

Als ich 1983 die Leitung der Geschäftsstelle St.Gallen antrat, gehörten dem Kantonalverband etwa 8000 Mitglieder an, davon 3000 in der Stadtsektion. Damit war aber das Potenzial in der Stadt bereits weitgehend ausgeschöpft. Auf dem Land legte der Bauboom nach dem Zweiten Weltkrieg die Basis für einen grösseren Mitgliederzuwachs, was mit gezielten Aktionen bis 2000 einen Gesamtbestand im Kanton St.Gallen von 20’000 Mitgliedern ergab und durch nochmals intensivierte Werbeaktionen bis 2010 auf gut 30’000 Mitglieder gesteigert werden konnte.

Um diesen Bestand zu halten, braucht es aufgrund der Altersstruktur der Mitglieder jedoch weiterhin jährliche Werbeaktionen. Mit der Gründung der HEV Verwaltungs AG St.Gallen als gemeinsame Firma des Stadt- und des Kantonalverbands im Jahre 1997 wurden auch die Strukturen geändert und die Geschäftsführung der Verbände auf ein Teilmandat reduziert, welches ich für die Verbände bis 2016 weiterführen durfte. Ergänzend war ich auch als selbständiger Rechtsanwalt tätig und von 2000 bis zum letzten Jahr auch in gewählten Vorstandsfunktionen des Kantonalverbands.

Die (noch) wohlhabende Schweiz ist ein Land mit einem tiefen Wohneigentümeranteil im europäischen Vergleich, obwohl der Anteil in den letzten Jahrzehnten auf etwa 40 Prozent gesteigert werden konnte. Trotzdem soll das Mietrecht weiter verschärft werden, wenn es nach den Forderungen von Mieterverbandsseite geht, was in den eidgenössischen Räten beraten und entschieden wird.

Mein politischer Einsatz konzentrierte sich auf kantonaler Ebene insbesondere auf Erlasse mit direkten Auswirkungen auf das Haus- und Grundeigentum wie Bau- und Planung, Wasserbau, Umweltschutz, Energie und Steuern. Dabei ging es nicht nur um Verbesserungen aus HEV-Sicht, sondern leider oft auch darum, wenigstens weitere Verschlechterungen zu verhindern. Dass mich beide Verbände beim Rücktritt zum Ehrenmitglied ernannt haben, hat mich gefreut, und ich verstehe das als Wertschätzung meiner langjährigen Tätigkeiten für den HEV in Stadt und Kanton St.Gallen.

 

 
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Wie beurteilen Sie die aktuelle Zusammensetzung (und die Zusammenarbeit) von Stadt- und Kantonsregierung – wird die eher linke Stadt vom eher bürgerlichen Kanton (noch) häufiger an die Kandare genommen?
Es dürfte kaum überraschen, dass mir die Zusammensetzung der Regierung des Kantons St.Gallen näher liegt als diejenige des Stadtrates St.Gallen. Die in letzter Zeit kommentierten Differenzen zwischen Stadt und Kanton – es wird auch von einem Stadt-Land-Graben gesprochen – haben aber auch mit den Mehrheiten in den beiden Parlamenten zu tun.

Wie in anderen grösseren Städten der Schweiz, haben sich auch in St.Gallen die politischen Mehrheiten über Jahrzehnte nach links verschoben, wie ich bereits in meiner Zeit von 1985 bis 2000 im Stadtparlament erlebt hatte, welches ich 1999 ebenfalls präsidieren durfte. Seit der Amtsdauer 2021–2024 hat nun auch das Stadtparlament erstmals eine rot-grüne Mehrheit, während der Kantonsrat weiterhin eine klare bürgerliche Mehrheit hat. Beim Stadtrat, der Exekutive, ist dies schon einige Zeit so, wobei Parteilosigkeit erschwerend dazukommt.

Und in den letzten Jahren sind etliche Bauprojekte bereits in der Planungsphase gescheitert und haben hohe Millionenbeträge gekostet. In diesem Zusammenhang sollte die Frage geprüft und entschieden werden, ob und inwieweit die Verantwortlichen diese «Fehlkosten» ersetzen müssen. Im Gegensatz zu anderen Zentren in der Schweiz hat St.Gallen zudem einen der höchsten Steuerfüsse im Kanton, weshalb kaum einkommens- und vermögensstarke Personen zuziehen, jedoch solche die Stadt verlassen. Dies hat zur Folge, dass in der Stadt gespart werden muss und jetzt wieder genauer geschaut wird, was notwendig ist und in welchen Bereichen der Kanton ihm zustehende Kompetenzen der Stadt weitergegeben hat und wo der Kanton Beschlüsse der Stadt genehmigen muss.

Dabei geht es nicht um eine Bevormundung der Stadt, sondern um die Kompetenzausübung durch die zuständigen Behörden und das Verhindern von Fehlentwicklungen beispielsweise in der Verkehrspolitik und bei gesellschaftlichen Fragen, soweit dies möglich ist.

Nebst Ihren beruflichen und politischen Tätigkeiten haben Sie auch im Handballsport Führungspositionen auf verschiedenen Ebenen wahrgenommen. St.Gallen ist zwar eine bekannte Handballstadt. Dieses Engagement dürfte aber vielen nicht bekannt sein.
Nebst Versuchen in anderen Sportarten hatte ich mich mit etwa 15 Jahren für Handball entschieden und spielte dann bei BTV St.Gallen zuletzt in der stärksten Juniorenkategorie. Ich war kein untalentierter Handballspieler, sah aber auch keine Karrierechancen, weshalb Handball als Teamsport mit geregelten Trainingszeiten während des Studiums in Zürich und wegen längerer Militärdienstleistungen nicht mehr prioritär für mich war. Ich spielte dann aber noch einige Jahre in unteren Ligen Handball.

Eher zufällig begann dann jedoch gleichzeitig meine Funktionärstätigkeit im Handballsport im Hallenkomitee St.Gallen (1970) und endete im Vorstand der Internationalen Handball Federation (IHF). Einige weitere Stationen waren Präsident des Handball-Regionalverbandes Ostschweiz (HRVO) (1975–1980), Präsident des Schweizerischen Handball-Verbandes (SHV) (1983–1987), Sekretär der Arbeitsgruppe der westeuropäischen Handballverbände (1986–1990), Schatzmeister der neu gegründeten Europäischen Handballföderation (EHF) (1991–2004) und gleichzeitig als EHF-Vertreter auch Vorstandsmitglied der IHF (1992–2004).

Einige Höhepunkte waren die Handball-A-WM 1986 in der Schweiz, die Vorbereitungsarbeiten und das Tagessekretariat der EHF-Gründung am 17. November 1991 in Berlin, der Aufbau und die finanzielle Entwicklung der EHF mit Sitz in Wien, die Teilnahme an verschiedenen EM- und WM-Endrunden sowie an den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta, 2000 in Sydney und 2004 in Athen. Die Ehrenmitgliedschaften des SHV, der EHF und der IHF sind ebenfalls bleibende Erinnerungen an diese Zeit, die mich in alle Kontinente geführt hatte.

Mit Blick auf Ihr vielseitiges Engagement: Was treibt Sie heute weiter an, und welche persönlichen Projekte oder Anliegen möchten Sie künftig verwirklichen?
Ich hatte auch meine Militärdienstpflicht als Hauptmann und Kompaniekommandant mit etwa 1300 Diensttagen, noch in der Armee 61, erfüllt. Bei meinem Rücktritt aus dem Kantonsrat im Jahre 2023 und von den letzten Funktionen im HEV im Jahre 2024 habe ich mir vorgenommen, mich nicht mehr ins politische Alltagsgeschäft einzumischen, sondern meine vermehrte «freie Zeit» zu geniessen und die Schweiz und das umliegende Ausland besser kennenzulernen. Denn gerade in unserem viersprachigen Land gibt es noch viel zu sehen und zu entdecken.

Das schliesst aber nicht aus, dass ich die politische Entwicklung auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene weiterhin sehr aufmerksam verfolgen werde – und hoffe, dass noch dieses Jahr Volk und Stände die systemwidrige Eigenmietwertbesteuerung in der Schweiz endlich abschaffen werden.

Und ich werde mich weiterhin mit aller Kraft für die Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz einsetzen – auch damit unser Land wohlhabend bleibt!

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