Gast-Kommentar

Das riskante Spiel mit dem Default

Das riskante Spiel mit dem Default
Thomas Stucki, CIO St.Galler Kantonalbank
Lesezeit: 3 Minuten

Seit Mitte Januar ist es wieder soweit. Die Staatsschulden der USA haben die gesetzlich vorgegebene Grenze von aktuell 31'381.5 Mrd. US-Dollar erreicht. Seither greift das Finanzministerium auf die laufenden Steuererträge zurück, um die fälligen Zahlungen zu tätigen. Gemäss Finanzministerin Janet Yellen sind diese am 1. Juni jedoch aufgebraucht. Bis dahin muss der Kongress das Gesetz zur Anhebung der Schuldengrenze beschlossen und Präsident Biden es in Kraft gesetzt haben. Falls der Termin verstreicht, sind die USA noch nicht in Default, müssen jedoch anfangen, Zahlungen aufzuschieben.

Text: Thomas Stucki

Obschon die Fronten zwischen dem Weissen Haus und den Republikanern im Repräsentanten verhärtet sind und die Vorstellungen für einen Kompromiss weit auseinander gehen, ist an den Finanzmärkten vom drohenden Fall über die Finanzklippe wenig zu spüren. Zu oft war man in den USA in den letzten Jahren in der gleichen Situation, hat den starken Mann gespielt und sich am Ende doch rechtzeitig geeinigt. Die Folgen eines effektiven Zahlungsausfalls der USA auf Finanzmärkte und auf die amerikanische Wirtschaft sind so gravierend, dass kaum ein Politiker das Risiko eingehen will, plötzlich die Verantwortung dafür übernehmen zu müssen. Einzig bei den Treasury Bills zeigt sich die Sorge der Investoren. Die aktuelle Rendite des Bill mit Verfall am 30. Mai beträgt 3.16%, diejenige des Bill mit Verfall am 1. Juni 5.32%.

Auch diesmal wird die Schuldengrenze wieder angehoben

Aber es könnte länger dauern und die Nerven der Märkte stärker strapazieren als üblich. Die Konstellation ist vergleichbar mit derjenigen von 2011. Damals sass mit Barack Obama ebenfalls ein Demokrat im Weissen Haus, während die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus stellten. Die Tea Party-Bewegung innerhalb der Republikaner verschloss sich einer Einigung. Der S&P 500 verlor Ende Juli innert zwei Wochen 15% an Wert, als sich abzeichnete, dass die USA das AAA-Rating verlieren wird. Die Aktienkurse in Europa und in der Schweiz reagierten noch stärker. Der SPI verlor 20%. Nachdem die Schuldengrenze in mehreren Schritten bis im Januar 2012 genügend angehoben wurde, hatten sich die Aktienmärkte wieder erholt.

Paradoxerweise flüchteten die Anleger in die vom Konkurs bedrohten US-Staatsanleihen. Die Rendite der 10-jährigen US-Treasury Note fiel Ende Juli von 3.00% auf 1.70%. Trotz des Verlusts der Rating-Bestnote bei Standard & Poor’s verharrten die Renditen der US-Staatspapiere danach länger auf den tiefen Niveaus. Die angedrohte Mehrbelastung durch eine höhere Kreditrisikoprämie fand nicht statt. Auch der Vertrauensverlust in den US-Dollar hielt sich in Grenzen. Handelsgewichtet waren keine besonderen Bewegungen zu erkennen. Einzig gegenüber dem «sicheren Hafen» Franken verlor der Greenback kurzzeitig deutlich an Wert. Der Kurs sank von 81 auf 73 Rappen, erholte sich aber rasch wieder.

Eine Wiederholung der Marktturbulenzen von 2011 ist nicht auszuschliessen. Das Ausmass der Kursbewegungen dürfte aber geringer ausfallen, da nur die wenigsten ernsthaft davon ausgehen, dass es effektiv zum Default kommen wird. Ein gewisser Gewöhnungseffekt schleicht sich ein. Auch die Drohung eines Rating- Verlustes hat nach 2011 seinen Schrecken verloren. Im schlimmsten Fall könnte die Regierung zudem ausserordentliche Massnahmen ergreifen, um den Default abzuwenden. Beispielsweise könnte das Finanzministerium Platin-Münzen mit sehr hohen Nennwerten prägen, sogenannte «Trillion Dollar Platinum Coins». Diese fallen nicht unter die Schuldengrenze und können bei der Fed als Zahlungsmittel eingeliefert werden. Die Schmerzgrenze zu einem solchen Schritt ist aber sehr hoch, der Reputationsverlust wäre für die USA immens.

Auch interessant

Die Aura der Schwellenländer ist verflogen
Gast-Kommentar

Die Aura der Schwellenländer ist verflogen

«Wir haben einen sehr lebendigen Bankenplatz»
Finanzplatz Ostschweiz

«Wir haben einen sehr lebendigen Bankenplatz»

Der Franken als Spekulationsobjekt
Gast-Kommentar

Der Franken als Spekulationsobjekt

Kaum ein relevanter Faktor für Anlagestarategie

Es wäre daher verfehlt, die Anlagepolitik darauf auszurichten, dass die Schuldengrenze nicht rechtzeitig angehoben wird. Sollten in den nächsten Wochen aus Angst vor einem US-Zahlungsausfall grössere Kursverluste eintreten, werden diese nach der Lösung des Problems innert vernünftiger Zeit wieder ausgeglichen.

Auch interessant

SGKB veröffentlicht Geschäftsbericht 2023
St.Gallen

SGKB veröffentlicht Geschäftsbericht 2023

Was ist mit dem Schweizer Obligationenmarkt los?
Gast-Kommentar

Was ist mit dem Schweizer Obligationenmarkt los?

«Indexierung entbindet nicht vom Denken»
Gast-Kommentar

«Indexierung entbindet nicht vom Denken»