China: Eine imposante Wirtschaft im Wandel

Text: Simea Rüegg
«Jeden Tag, an dem man etwas über China lernt, versteht man das Land etwas weniger.» Felix Sutter, Präsident der Swiss-Chinese Chamber of Commerce (SCCC), weiss, wovon er spricht. Der Basler kennt die 1,4-Milliarden-Republik bestens und zeigte im Weinfelder Regierungsgebäude deren gigantische Wirtschaft auf.
Umorientierung auf dem Weltmarkt
Der Link zwischen China und der Schweiz verstärkte sich jüngst durch die neue Seidenstrasse, wobei nun täglich von Osten her Züge Richtung Europa fahren. Das war nicht immer so: Zuvor orientierte sich China stark zu den USA hin, die deren Güter billig importierten.
Langsam machte sich im Westen das Bewusstsein breit, dass 26.4 Prozent aller Güter der Welt aus China kommen – und der amerikanische Ex-Präsident Donald Trump belegte den Staat mit Sanktionen.
Also orientiert sich die Volksrepublik um und vertieft die Geschäftsbeziehungen mit südostasiatischen Ländern wie Vietnam. Derweil kämpft das Land unter Xi Jinping mit eigenen Herausforderungen. «Ich spreche von drei Partien: das Volk, die Wirtschaft und der Staat. Meist ist Letzterer das Problem», erklärt Sutter.
Lösungen für die Baustellen
Es herrscht ein Fachkräftemangel, während die Jugendarbeitslosigkeit bei über 20 Prozent liegt. Felix Sutter spricht von einem «Krieg der Talente».
In der Schweiz gehen die Wirtschaft und die Hochschullandschaft Hand in Hand. In China laufen diese Prozesse stets traditionell ab: «Es werden jährlich 45 Millionen Erwerbstätige auf den Markt geworfen, aber von der Wirtschaft nicht absorbiert, weil sie die falschen Skills besitzen.» Talent und Kreativität werde von oben diktiert. Ein Umstand, der nicht funktioniert.
Aber: China ist anpassungsfähig, zeigt sich weltoffen. Der Staat orientiert sich bedürfnisorientiert und nimmt ausländische Arbeitskräfte an, um den eigenen Mangel zu kompensieren. «So wird man von einem indischen Barista bedient – ein Umstand, der vor wenigen Jahren noch unvorstellbar war», bemerkte Sutter während seiner Zeit in China.
Ebenso holt das Land mehrere Millionen Bürger aus der Armut. Ein Leistungsausweis, der China mit Blick auf seine Rolle als globaler Investor – namentlich in Afrika – zugutekommen wird.
Zudem wird die Umwelttechnologie als Wirtschaftskraft entdeckt. Beispielsweise hat das Reich der Mitte die Infrastruktur, um Wärmepumpen zu produzieren. Auf dem europäischen Markt können sie damit den bestehenden Preis um zwei Drittel unterbieten und finden so unter anderem in der Schweiz Kunden.
Auswirkungen der Corona-Pandemie zeigen sich erst noch
Und dann kommt das Coronajahr 2020, dessen Folgen China immens erschüttern. Unter all den Auflagen, Massnahmen und Einschränkungen funktioniert die Wirtschaft nicht mehr, und auch die Menschen leiden stark.
«Diese Zeit hinterliess psychologische Schäden, deren Ausmass die Welt erst später zu spüren bekommen wird», schildert Felix Sutter seine Erfahrungen im Austausch mit den Chinesen.
Während die westliche Welt in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer wieder mit Krisen konfrontiert wurde, verfolgte China konsequent seinen eigenen Weg. Das Wirtschaftswachstum war beachtlich. Die Coronapandemie sorgte für eine ernsthafte Zäsur in der chinesischen Ökonomie. Man überlegt sich jetzt einen Plan B, entwickelt eine von Vorsicht geprägte Denkweise und investiert nicht mehr bereitwillig in ein jahrelanges Projekt.
Ebenso wandelte sich der Geschäftsalltag der Schweizer Firmen mit Büros im Reich der Mitte. Die Lockdowns forcierten die räumliche Distanz. So mussten die Führungsgremien in der Schweiz plötzlich Verantwortung abgeben, da sie sich nicht mehr persönlich um die Belange der Mitarbeiter vor Ort kümmern konnten.
Der eigene, chinesische Weg in die Zukunft
Wie zeigt sich die stolze Volksrepublik nun in Zukunft? «Ganz klar, China will sich als globale Führungskraft etablieren», lautet Sutters Prognose. So ergreifen sie – als aktuelles Beispiel – im Krieg in der Ukraine weder für Russland noch für die Ukraine Partei. Vielmehr gehen sie den eigenen Weg mit einer dritten, anderen Meinung.
Dass sie 2028 die USA als grösste Volkswirtschaft überholen, werde sich durch die Covid-Auswirkungen noch etwas herauszögern. Gleichwohl erfreut sich Xi Jinpings Republik einem grossen Einfluss weltweit, insbesondere in Afrika – denn das Kunststück Armutsbekämpfung beeindruckte Drittweltländer. Ebenso seien es oftmals Chinesen, die in der UNO die Standards setzten, weiss Felix Sutter.
Auch interessant
Harziger Dialog wartet
Mit Blick auf die Beziehung zur Schweiz sehe die Zukunft nicht übermässig rosig aus: «In einer Unterhaltung sagen beide dasselbe, meinen aber etwas anderes», erläuterte der China-Spezialist. So dachten die Chinesen, man drücke während der Pandemie auf die «Pause»-Taste und mache danach gleich weiter wie vorher. In der Schweiz aber drückte man die Stopp-Taste. Es gibt ein Vorher, ein Nachher und man geht anders weiter.
Sutter ist sich sicher, dass dieses Missverständnis Gespräche erfordert. Denn weder Akzeptanz noch ein Zurückkrebsen werde es auf einer der beiden Seiten geben. «Es gibt einen Dialog. Und der wird harzig.»