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«Wir wollen zum führenden Logistik-Tech-Player Europas werden»

«Wir wollen zum führenden Logistik-Tech-Player Europas werden»
Luca Graf
Lesezeit: 4 Minuten

Die MS Direct AG eröffnet im aargauischen Oftringen einen neuen Fulfillment-Standort. Damit reagiert das St.Galler Unternehmen auf die steigenden Anforderungen des boomenden Onlinehandels. CEO Luca Graf spricht über die strategische Bedeutung von Oftringen, den Trend zur Automatisierung, die Herausforderungen im Retourenmanagement und über die Zukunft des Versandhandels.

Luca Graf, was war ausschlaggebend für die Entscheidung «pro Oftringen»?
Der Schritt ins Mittelland ist für uns weit mehr als ein Umzug: Wir gewinnen mehr Fläche, stärken mit einem vollintegrierten AutoStore unsere Automatisierung und schaffen so die Basis für weiteres Wachstum. Gemeinsam mit unserem AutoStore-System in Arbon bewirtschaften wir künftig über 100’000 Behälter. Damit erhöhen wir die Servicequalität für unsere Kunden und positionieren MS Direct als noch verlässlicheren Fulfillment-Partner im Schweizer Markt.

Welche konkreten Vorteile bringt die Lage am Schnittpunkt A1/A2 für Geschwindigkeit und Flexibilität?
Die Lage unseres neuen Standorts mit rund 10’000 Quadratmetern Nutzfläche ist hervorragend – einerseits bezüglich der Erreichbarkeit im Mittelland direkt am Autobahnkreuz, andererseits aufgrund des kurzen Wegs zu den Paketzentren der Schweizerischen Post in Härkingen oder von Planzer in Kölliken. Somit können wir bis spät abends die Aufträge unserer Kunden verarbeiten und noch taggleich versenden.

Und welche Rolle bleibt der Ostschweiz im Zusammenspiel mit dem boomenden Onlinegeschäft?
Oftringen wird der sechste Standort in unserem Netzwerk. Wir betreiben zum einen Logistikzentren in der Ostschweiz in St.Gallen und Arbon, zum anderen neu eben im Mittelland sowie einen Standort in Kaufbeuren (Deutschland). Es ist wichtig, den Kunden verschiedene Optionen im In- und Ausland entlang der wichtigsten Transportstrecken zu bieten. Damit kann ein schneller Versand der Waren zum Endkunden ermöglicht werden. Dies ist einer der Erfolgsfaktoren im Onlinehandel.

«Die Logistik steht einerseits unter Kostendruck, andererseits fehlt es an Arbeitskräften.»

Haben auch unqualifizierte Mitarbeiter für eine Branche, die von Automatisierung und Effizienz getrieben wird, noch eine Bedeutung?
Ja. In unseren Logistikzentren gibt es nach wie vor Tätigkeiten, für die es aktuell noch keine praktikablen oder wirtschaftlich sinnvollen Automatisierungslösungen gibt. Ein Beispiel ist die Retourenverarbeitung, in der viele Arbeitsschritte weiterhin manuell durchgeführt werden und bei der auch die Erfahrung unserer Mitarbeiter wichtig ist. Unser Ziel ist es, durch gezielte Automatisierung repetitive Aufgaben zu reduzieren. So schaffen wir auch Raum für vielfältigere, weniger monotone Tätigkeiten. Erste Pilotprojekte in diesem Bereich laufen bereits, auch wenn es noch etwas dauern wird, bis diese Lösungen flächendeckend einsatzbereit sind.

Dann setzen Sie im neuen Standort noch stärker auf Automatisierung, Robotik und digitale Systeme?
In Arbon haben wir bereits viele Prozessschritte erfolgreich mit Hilfe von Robotics und systemischer Unterstützung automatisiert. In Oftringen werden die gleichen Konzepte zum Einsatz kommen. Wir werden dann mit Hilfe unserer AutoStore-Systeme Artikel in über 100’000 Behältern lagern und automatisiert ein- und auslagern können. Denn die Logistik steht einerseits unter starkem Kostendruck, andererseits fehlt es an verfügbaren Arbeitskräften. Die Automatisierung hilft uns in beiden Punkten und erlaubt es, die Leistungsfähigkeit der Betriebe zu steigern und den Betrieb auch wirtschaftlich auf die Nacht auszudehnen. Durch den Einsatz von Robotics sichern wir zudem die Prozessstabilität und können damit die Qualität unserer Leistungen weiter erhöhen.

Der grenzüberschreitende Versand gilt als Königsdisziplin im E-Commerce. Welche Rolle spielt Oftringen in Ihrer Cross-Border-Strategie?
Auch für unser neues Logistikzentrum werden wir natürlich eine Zolllizenz beantragen. Damit ist eine zolltechnische Abfertigung der Transporte aus dem Ausland auch an diesem Standort möglich. Das ist insbesondere sinnvoll für Transporte, die aus Südwestdeutschland oder Frankreich in die Schweiz gelangen. Mit der kurzen Distanz zu den Paketzentren in Härkingen und Kölliken können die Pakete nach der Verzollung quasi vor der Haustür an den Lieferdienst übergeben werden.

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«Wir lassen künftig über 100’000 Behälter von Robotern bewirtschaften.»

Mit jährlich Millionen von Retouren: Welche Innovationen sieht MS Direct im Retourenmanagement?
Zum einen versuchen wir, die Retourenverarbeitung stetig effizienter zu gestalten, zum anderen möchten wir die verschiedenen Wertschöpfungen von der einfachen Erfassung der Retoure bis zur vollständigen Aufbereitung inklusive Reinigungsservice anbieten. Unser Ziel ist es, jeden Artikel wie neu erscheinen zu lassen. Neue Dienstleistungen sehen wir im Rahmen der Aufbereitung von gebrauchten Artikeln, die über den Secondhand-Markt wieder veräussert werden können. Damit können wir unseren Kunden helfen, die Nachhaltigkeit ihres Angebots zu verbessern.

Rechnen Sie mit einem weiterhin starken Wachstum des Onlinehandels?
Ja. Der Onlinehandel in der Schweiz wächst stetig – gemäss den letzten Zahlen von Carpathia um acht Prozent im ersten Halbjahr 2025 –, während der stationäre Handel stagniert. Auch die Anzahl der im Ausland bestellten Sendungen wächst. Wir glauben, dass sich dieses Wachstum im einstelligen Prozentbereich über die nächsten Jahre fortschreiben wird. Entsprechend investieren wir in den Ausbau unserer Kapazitäten.

Bleibt MS Direct ein führender Partner für E-Commerce-Fulfillment «nur» in der Schweiz oder denken Sie an einen stärkeren internationalen Ausbau?
Unsere Vision ist, zum führenden Tech-Player in der europäischen E-Commerce-Logistik zu werden. Wir setzen Technologie immer dann ein, wenn wir damit unsere Leistungen noch effizienter und kundenfreundlicher im In- und Ausland anbieten können. Das bedingt, dass wir auch ausserhalb der Schweiz tätig sind. Heute schon verfügen wir über ein Logistikzentrum in Deutschland sowie eines, das wir gemeinsam mit einem Partner in England betreiben. Ein Grossteil unserer Kunden kommt aus Deutschland und anderen europäischen Ländern – und da sehen wir definitiv noch Potenzial.

Text: Stephan Ziegler

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

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