LEADER-Hauptausgabe

2,4 Milliarden auf der Kippe

2,4 Milliarden auf der Kippe
Markus Bänziger, Jérôme Müggler
Lesezeit: 3 Minuten

Seit dem 7. August gilt auf viele Schweizer Exporte in die USA ein Strafzoll von 39 Prozent. Besonders betroffen ist die exportorientierte Ostschweizer Industrie.

Die neuen Massnahmen aus Washington treffen insbesondere technologiegetriebene Unternehmen in den Kantonen St.Gallen, Thurgau sowie Appenzell Ausser- und Innerrhoden. «Dazu zählen insbesondere der Maschinenbau, die Elektronik, die Optik sowie die Herstellung von Präzisionsinstrumenten», sagt Markus Bänziger, Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell. Diese Branchen machen mehr als die Hälfte der Ostschweizer Warenexporte in die USA aus – und die Zölle auf Investitionsgüter lassen sich kaum weiterverrechnen. Investitionen setzen Vertrauen und Planungssicherheit voraus. Doch genau daran fehlt es derzeit.

Eine gemeinsame Umfrage der beiden IHK mit über 200 Betrieben im August zeigt ein deutlich eingetrübtes Bild: Zwei Drittel der Unternehmen rechnen mit negativen Auswirkungen. Rund ein Viertel der Firmen erwartet bis zu zehn Prozent weniger Umsatz, weitere zwölf Prozent Einbussen von zehn bis 20 Prozent. Über sieben Prozent der Unternehmen gehen von noch stärkeren Verlusten aus. Bereits jetzt bauen drei Prozent Stellen ab, 15 Prozent halten dies für wahrscheinlich.

«In der Ostschweiz hängen bis zu 10’000 Arbeitsplätze direkt am US-Geschäft.»

Regionale Schwergewichte unter Druck

In den Kantonen St.Gallen und Appenzell Inner- und Ausserrhoden gibt es mehrere bedeutende Exportfirmen mit starkem Nordamerika-Geschäft: Coltene etwa erwirtschaftet fast die Hälfte ihres Umsatzes in Nordamerika (48,9 Prozent). Bei Bühler liegt der Anteil der Region «Americas» bei rund 28 Prozent, Leica Geosystems (Hexagon) kommt in ihrer Division «Geosystems» auf etwa 33 Prozent. VAT erzielt knapp 19 Prozent ihres Umsatzes in den USA, SFS rund 17 Prozent in Nordamerika. Metrohm und Büchi Labortechnik veröffentlichen keine konkreten Zahlen, der US-Markt zählt aber zu ihren wichtigsten. Diese Firmen sind mehrheitlich im Investitionsgüterbereich tätig – also genau in dem Segment, das von den seit August 2025 geltenden US-Zöllen von 39 Prozent besonders hart getroffen wird und sich kurzfristig kaum kompensieren lässt.

Im Thurgau zeigt sich ein ähnliches Bild: «Beispielsweise die Baumer Group, Bernina International, Eugster Frismag, Geobrugg, Pureon oder Awema sind im US-Markt aktiv», sagt Jérôme Müggler, Direktor der IHK Thurgau. Neben den Zöllen belastet die Unternehmen zudem die Schwäche des Dollars. Die Auswirkungen auf den Export sind entsprechend direkt und spürbar. Laut der beiden Handelskammern liefert die Ostschweiz Waren im Wert von rund 2,4 Milliarden Franken in die USA – nach Deutschland der zweitwichtigste Markt. Davon stammen mindestens 1,2 Milliarden aus dem Tech-Sektor, der fast vollständig von den Zöllen erfasst wird. «In der Ostschweiz hängen bis zu 10’000 Arbeitsplätze direkt am US-Geschäft», so Müggler. Rechnet man Zulieferer und Dienstleister hinzu, dürfte die Zahl noch deutlich höher liegen.

Fussballnacht  Mattes Films  

Preisanpassungen, Verlagerung, Abwarten

Viele Firmen reagieren mit Preisanpassungen. «Über 40 Prozent der Firmen mit Exporten in die Vereinigten Staaten haben bereits Preisanpassungen für ihre US-Kunden vorgenommen oder ziehen solche in Betracht», sagt Bänziger. Weitere Massnahmen reichen von Logistikoptimierungen über Kostenreduktion bis zur Währungsabsicherung.

Rund 17 Prozent der befragten Unternehmen erwägen eine Produktionsverlagerung – nicht nur in die USA, sondern auch nach Mexiko oder in europäische Staaten. Nur eine Minderheit erwägt einen Lieferstopp, doch auch das zeigt, wie ernst die Lage eingeschätzt wird. «Nur wenige Betriebe sehen im US-Markt eine echte Option. Damit verfehlen die Zölle ihr Ziel, Produktion in die USA zu verlagern – teils tritt sogar das Gegenteil ein», sagt Bänziger.

Forderungen an die Politik

Die Politik müsse rasch handeln, fordert Müggler: «Die Gespräche mit den amerikanischen Behörden müssen mit höchster Priorität weitergeführt werden.» Gleichzeitig brauche es eine stärkere Diversifizierung der Handelsbeziehungen – insbesondere zu Indien, den Mercosur-Staaten, Malaysia und Thailand – sowie gesicherte bilaterale Verträge mit der EU. Doch das allein reicht nicht. «Die Politik ist gefordert, ein umfassendes Entlastungspaket zu schnüren. Dazu gehören ein langfristiger Bürokratieabbau, kein weiterer Ausbau der Lohnnebenkosten und ein längerer Zugang zur Kurzarbeit für betroffene Unternehmen», so Müggler. Nur so könne verhindert werden, dass der industrielle Kern in der Ostschweiz schleichend erodiert.

Planung ohne Planbarkeit

Für die Ostschweizer Wirtschaft bleiben die Aussichten ungewiss. «Rund 20 Prozent der Unternehmen rechnen damit, dass der aktuelle Zollsatz auch nächstes Jahr bestehen bleibt. 35 Prozent erwarten eine Teilreduktion – allerdings auf weiterhin hohem Niveau», sagt Bänziger. «Diese Spannbreite verdeutlicht, dass die Betriebe derzeit über keine verlässliche Planungsgrundlage verfügen.»

Text: Patrick Stämpfli

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

Auch interessant

«Wir wollen zum führenden Logistik-Tech-Player Europas werden»
Wirtschaft

«Wir wollen zum führenden Logistik-Tech-Player Europas werden»

«Made in Sennwald» bleibt das Erfolgsrezept
Wirtschaft

«Made in Sennwald» bleibt das Erfolgsrezept

Hightech-Fasern aus St.Gallen erobern den Globus
Wirtschaft

Hightech-Fasern aus St.Gallen erobern den Globus

Schwerpunkte