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Von Wil aus in die ganze Welt

Von Wil aus in die ganze Welt
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Stihl ist die meistverkaufte Motorsägen-Marke der Welt. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz zwar in Waiblingen bei Stuttgart – die Ketten für alle Stihl-Motorsägen aber werden in zwei Werken in Wil und Bronschhofen gefertigt. Joachim Zappe, Geschäftsführer des Stihl-Kettenwerks Schweiz, erklärt, warum der Ostschweizer Standort wichtig für Stihl ist.

Joachim Zappe, Stihl-Komponenten werden in Deutschland, den USA, Brasilien, Österreich, China und auf den Philippinen gefertigt – und in der Schweiz. Wie kommt es, dass Stihl immer noch in der vielgeschmähten «Hochlohninsel» produziert?
Für Stihl ist das Kettenwerk in der Schweiz von immenser strategischer Bedeutung und ein wichtiger Teil des internationalen Fertigungsverbunds. Stihl ist weltweit der einzige Hersteller, der nicht nur den Antrieb, sondern auch Führungsschienen und eine Vielzahl an Sägeketten, also die gesamte Schneidgarnitur, selbst entwickelt und produziert. Durch diese hohe Entwicklungs- und Fertigungstiefe stellen wir sicher, dass alle Komponenten optimal aufeinander abgestimmt sind und unsere Kunden für ihre Anforderungen das bestmögliche Produkt erhalten. Die Fertigung von Sägeketten erfordert ein hohes Mass an Know-how und Technologie sowie eine fundierte Ausbildung. All diese Faktoren sind in der Schweiz, in der Stihl seit 1974 fertigt, gegeben. Jahrzehntelange Erfahrung, ein Team aus hochmotivierten Mitarbeitern, konsequente Qualitätsorientierung und ein gutes Ausbildungssystem zeichnen unseren Standort aus. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist unser Maschinenpark, den wir an allen Schlüsselstellen der Kettenproduktion im Einsatz haben. Diese Spezialmaschinen werden von Stihl selbst konstruiert, gebaut und kontinuierlich weiterentwickelt. Dies führt zu einem sehr hohen Automatisierungsgrad, über den wir in der Lage sind, die Personalkosten relativieren zu können. 

Dann ist der Standort Schweiz auch in Zukunft nicht gefährdet, obwohl ja neulich die Verhandlungen zum Rahmenabkommen mit der EU abgebrochen wurden?
Aus meiner Sicht nicht. Ich gehe davon aus, dass es der Politik gelingen wird, auch im Zusammenhang mit diesem sehr anspruchsvollen Abkommen Lösungen zu finden, die für beide Seiten vernünftig, umsetzbar und vor allem tragfähig sind.

Sie beschäftigen in Wil und Bronschhofen rund 1100 Menschen und sind damit das grösste Industrieunternehmen der Stadt. Was genau wird hier hergestellt, und wie automatisiert ist der Herstellungsprozess?
An den beiden Standorten produzieren wir die Sägeketten für alle Stihl-Motorsägen weltweit und zusätzlich einen Grossteil der Schneidwerkzeuge für Stihl-Heckenscheren. Die Sägeketten werden von Wil aus in 160 Länder dieser Erde ausgeliefert. Der Automatisierungsgrad in unserer Kettenfertigung ist für den Erhalt unserer Wettbewerbsfähigkeit von grosser Bedeutung. In der Produktion gibt es heute kaum noch einen Fertigungs- oder Montageprozess, der nicht automatisiert ist. Die Aufgabe, über Innovationen und zunehmend über die Digitalisierung Maschinen, Anlagen und Prozesse ständig weiterzuentwickeln, um Effizienz und Produktivität zu verbessern, bleibt daher immer im Fokus.

  

«Die Sägeketten werden von Wil aus in 160 Länder dieser Erde ausgeliefert.»

Jetzt ist Stihl in der Region Wil sukzessive gewachsen; aus einem Werk wurde zwei, diese wurden auch immer wieder erweitert. Hat dabei die Zusammenarbeit mit den Behörden gut geklappt?
Ja. Wir arbeiten seit jeher eng und gut mit den Behörden vor Ort zusammen. Für uns ist es wichtig, frühzeitig und transparent sowohl die zuständigen Behörden als auch unsere Nachbarschaft immer umfassend zu informieren und einzubeziehen. Auf dieser Basis konnten wir eine stetige Erweiterung realisieren: 2008 war dies der Neubau vom Kettenwerk in Bronschhofen, es folgte der Bau des Logistikgebäudes in Wil, die erste Erweiterung vom Kettenwerk in Bronschhofen und der Bau des Parkhauses in Wil.

Im August 2021 haben Sie Ihr neues Eingangsgebäude mit Kantine fertiggestellt. Wissen Sie schon, wann der nächste Erweiterungsschritt sein wird?
Mit den Baumassnahmen der vergangenen Jahre haben wir eine gute Basis geschaffen, um in der Produktion auf die gestiegenen Absatzzahlen reagieren zu können. Wir haben in der Produktion noch Reserveflächen, auch wenn diese nicht mehr so gross ist, wie wir es beim Bau des zweiten Bauabschnitts in Bronschhofen 2016 für das Jahr 2021 angenommen haben. Wir stehen also momentan nicht unter Druck, schnell ein weiteres Gebäude bauen zu müssen. Da wir jedoch langfristig planen, haben wir eine Wachstumsstrategie vorbereitet, mit der wir auf neue Anforderungen rechtzeitig reagieren können.

«Unsere Eigenkapitalquote von 70 Prozent erlaubt es uns, aus eigener Kraft zu wachsen und langfristig zu planen.»

Seit 1971 ist Stihl die meistverkaufte Motorsäge der Welt. Was ist das Geheimnis des Erfolgs?
Die unglaubliche Innovationskraft, die in der gesamten Gruppe steckt – und die Bodenständigkeit, die bei allem Erfolg und Wachstum bewahrt wurde. Durch stetige Modernisierungsschritte in der Produktion, einem sehr hohen Entwicklungs-Know-how und einer konsequenten Ausrichtung an den Bedürfnissen von bekannten und neuen Kundengruppen ist es möglich, diese Spitzenposition auch zu halten. Unsere hohe Eigenkapitalquote von 70 Prozent erlaubt es uns, aus eigener Kraft zu wachsen und langfristig zu planen und zu investieren. Zudem ist Stihl nach wie vor zu 100 Prozent ein Familienunternehmen. Das spürt man und das macht Stihl zu etwas ganz Besonderem.

Und was unterscheidet Stihl von den Mitbewerbern, von denen es auch im Premiumsegment einige gibt?
Zum einen die Mischung aus international tätiger Unternehmensgruppe, mittelständischer Prägung und schwäbischem Understatement. Zum anderen ist es die grosse Expertise, die wir entlang des gesamten Fertigungsprozesses haben. Mit einer Fertigungstiefe von mehr als 50 Prozent heben wir uns deutlich von Mitbewerbern und anderen Branchen ab.

Kommen wir noch zum vielbeschworenen Fachkräftemangel: Wie ausgeprägt empfinden Sie diesen?
Auch wir spüren den Fachkräftemangel und setzen uns damit bereits seit einiger Zeit intensiv auseinander. So ist es uns immer schon sehr wichtig gewesen, allen Angestellten möglichst gute Rahmenbedingungen zu bieten. Dazu gehört auch die eigene, neue Kantine. Ein positives Arbeitsklima und ein Arbeitgeber, der sich kümmert – das spricht sich rum und darauf sind wir gerade bei der Rekrutierung von erfahrenen Fach- und Führungskräften angewiesen. Besonders wichtig sind für uns auch unsere eigene Lehrwerkstatt und eine hohe Ausbildungsquote. Derzeit bilden wir in der gesamten Stihl-Gruppe über 70 junge Menschen aus und konnten in der Vergangenheit eine sehr hohe Übernahmequote der Lehrlinge in Produktion, Logistik und Verwaltung realisieren. Unsere Lehrwerkstatt haben wir in den letzten Jahren stetig vergrössert und auf neue Berufe ausgerichtet. Wir unternehmen diese Schritte, um uns noch besser auf die Digitalisierung und ihre Herausforderungen vorzubereiten. Aktuell steht etwa die Ausbildungsberufe Automatiker und Automatikmonteur besonders im Fokus.

 

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Sie engagieren sich auch als Delegierter beim Wirtschafts-PortalOst. Wie wichtig ist die Wirtschaftsplattform für die Region Wil?
Als Delegierter beim WirtschaftsPortalOst engagiere ich mich sehr gerne. Ich bin der Überzeugung, dass sich der Grossraum Wil, der heute bereits eine hohe Bedeutung für die beiden Kantone St.Gallen und Thurgau hat, in den nächsten Jahren in seiner Zentrumsfunktion noch stärker entwickeln wird. Daher ist es sehr sinnvoll, über ein Wirtschaftsportal diese Entwicklung zu begleiten, um auch Einfluss nehmen zu können.

Zum Schluss: Wenn Sie noch einen Wunsch an die Politik frei hätten, wie lautete dieser?
Eine wichtige Aufgabe der Politik ist es unter anderem, gute Rahmenbedingungen für die Industrie im Allgemeinen und die Exportindustrie im Speziellen zu schaffen. Wenn sich die Politik um eine zukunftsfähige Ausgestaltung solcher Rahmenbedingungen kümmert, bin ich zufrieden.

Text: Stephan Ziegler

Bild: Thomas Hary

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