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Einmal Staatsdienst, immer Staatsdient?

Einmal Staatsdienst, immer Staatsdient?
Lesezeit: 6 Minuten

In St.Gallen geben der Personaldienste- und der Finanzchef sowie eine Stabschefin ihre leitenden Stellen bis Ende Jahr ab. Wie werden solche Staatsstellen neu besetzt – und wie vermittelt man Kader, die lange auf einer Verwaltung gearbeitet haben und nun in die Privatwirtschaft wechseln wollen? Der LEADER hat dazu Raphael Schönenberger, Inhaber der PMS Schönenberger AG aus St.Gallen, und Michael Götte, Tübacher Gemeindepräsident und Kantonsrat (SVP) zum Round-Table-Gespräch gebeten.

Michael Götte, Sie haben eine Verwaltungslehre absolviert, danach lange in einem Industriebetrieb gearbeitet und sind seit 2006 Gemeindepräsident von Tübach. Wie einfach wäre es für Sie, wieder in die Privatwirtschaft zu wechseln?
Ich hatte und habe nebst meinem Teilzeit-Gemeindepräsidium immer auch Aktivitäten in der Privatwirtschaft. Bei meiner heutigen Tätigkeit in der IHK St.Gallen-Appenzell etwa bin ich auch neben meinen politischen Funktionen sehr eng mit der Wirtschaft verbunden. Diese Verbundenheit kann ich auch in unterschiedlichen Verwaltungsrats- und Beratungsmandaten ausüben. So habe ich den Kontakt, den direkten Draht zur Privatwirtschaft nie verloren und könnte, falls ich denn wollte, ein Wechsel wieder in Betracht ziehen.

Raphael Schönenberger, wenn Sie einen Kader wie Michael Götte, der lange auf einer Verwaltung gearbeitet hat, neu platzieren müssten: Wie gehen Sie dabei vor?
Grundsätzlich geht es darum, die Kernkompetenzen einer Person zu erkennen und ihre erworbenen Erfahrungen zu analysieren. Solche Kompetenzen und Kenntnisse finden oftmals in verschiedenen Branchen und Funktionen wertvolle Verwendung. Ich würde mit Michael Götte also definieren, in was für Unternehmen und Positionen sich seine Kernkompetenzen transferieren lassen. Das heisst: Wir analysieren, welche Fähigkeiten ein Kader mitbringt – und suchen dann die entsprechende Position, in der sich diese möglichst gewinnbringend einbringen lassen. Die Schnittmenge dabei muss natürlich stimmen.

Jetzt geben in der Stadt St.Gallen mit Ernst Wälter, Max Urech und Jennifer Abderhalden drei Kaderleute ihre bisherigen Posten praktisch zeitgleich auf. Was ist Ihrer Erfahrung nach der Hauptgrund, dass Kader bei Stadt oder Kanton ihre gut besoldeten und wenig herzinfarktgefährdeten Stellen aufgeben?
Ich kenne die Hintergründe und Beweggründe der drei Personen nicht. Aus meiner Erfahrung ist das branchenunabhängige Hauptmotiv für eine berufliche Veränderung die Suche nach einer neuen Herausforderung. Aus gewohnten und bekannten Strukturen auszubrechen und sich auf neue beruflichen Abenteuer einzulassen erfordert Mut, gibt der betroffenen Person aber auch neue Energie. Diese wird oft auf dem Höhepunkt einer Karriere gesucht – oder dann, wenn ein Plateau erreicht ist, von dem es in der angestammten Umgebung nicht mehr weiter nach oben geht.

  

«Der Vorteil einer externen Suche ist, dass wir weder auf persönliche noch auf politische Befindlichkeiten Rücksicht nehmen müssen.»

Und wie einfach ist es generell für ehemalige Staatsbedienstete, wieder in der Privatwirtschaft Fuss zu fassen?
Ein Branchenwechsel ist immer mit gewissen Herausforderungen verbunden. Unternehmen wünschen sich bei Rekrutierungen ja oftmals Personen, die Berufserfahrung aus einem möglichst vergleichbaren Umfeld mitbringen. Eine berufliche Veränderung von einem regulierten, strukturierten Umfeld in ein Unternehmen mit breiteren definierten Leitplanken erfordert verschiedene Persönlichkeitseigenschaften und Arbeitsmethoden, die sich tatsächlich nicht bei jedem finden. Solche beruflichen Veränderungen können aber definitiv erfolgreich sein, wenn Kernkompetenzen und Eigenschaften einer Person in das passende Umfeld kommen. Kurz: Es hängt nicht so sehr davon ab, woher jemand kommt, sondern welche Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten er mitbringt.

Michael Götte, Sie kennen beide Kader-Welten, die der Privatwirtschaft und die des öffentlichen Sektors. Wo liegen die grössten Unterschiede?
Auf der Ebene der Kadermitarbeiter gibt es sehr viele Parallelen – etwa, was Führung und Struktur angeht. In der Evaluation von neuen Mitarbeitern hingegen sind die Unterschiede nach wie vor sehr gross. Verwaltungsangestellte im unteren und mittleren Kader bleiben vielfach im öffentlichen Sektor tätig, während Wechsel auf dieser Ebene in der Privatwirtschaft häufiger sind. Die Privatwirtschaft hat bei den Anstellungsverhältnissen von Kaderpostionen definitiv mehr Handlungsspielraum. Bei der öffentlichen Hand sind diese Bedingungen fast ausnahmslos an starre Vorgaben gebunden. Das führt häufig dazu, dass Kader in der Privatwirtschaft Karriere machen, indem sie den Betrieb wechseln – und im öffentlichen Sektor, indem sie in ihrer Abteilung bleiben.

Sie sind neben Ihrem Amt als Gemeindepräsident auch Leiter kantonale Politik bei der IHK St.Gallen-Appenzell, Kantonsrat der St.Galler SVP sowie als Oberst Chef des kantonalen Verbindungsstabs in der Territorialdivision 4. Wären solche verschiedenen Hüte auch bei einer Kaderstelle in der Privatwirtschaft möglich?
Das ist bei mir immer eine Option. Ich bin und war nebst meinen politischen Aufgaben auch immer in verschiedenen Funktionen in der Privatwirtschaft tätig. Warum sollte das umgekehrt nicht möglich sein? Hier ist natürlich die Flexibilität des Arbeitgebers gefragt. Wenn man aber eine Gesamtrechnung macht, zahlt es sich unter dem Strich für jeden Betrieb aus, wenn seine Kader möglichst breit engagiert und vernetzt sind.

 

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Raphael Schönenberger, wie häufig erleben Sie im Geschäftsalltag die Neuplatzierung von Kaderleuten aus einer Verwaltung sowie die Neubesetzung von städtischen oder kantonalen Kaderstellen?
In einer gewissen Regelmässigkeit, auch wenn das Outsourcen von herausfordernden Rekrutierungen in der Privatwirtschaft (noch) viel stärker verbreitet ist. Die Verwaltungen haben einen gewissen Nachholbedarf, weil auch hier die Kaderstellen immer anspruchsvoller werden. Darum kann ich mir gut vorstellen, dass wir hier in den nächsten Jahren einen Schub erleben werden.

Gehen Sie dabei anders vor, als wenn es um Platzierungen oder Besetzungen in der Privatwirtschaft geht?
Nein, die Vorgehensweise ist identisch mit den Prozessen in der Rekrutierung der Privatwirtschaft. Entscheidend sind das Markt- respektive Branchenverständnis sowie ein gewisses Netzwerk. Der Vorteil einer externen Suche ist, dass wir weder auf persönliche noch auf politische Befindlichkeiten Rücksicht nehmen müssen, sondern wirklich die am besten geeignete Person vorschlagen können. Das ergibt ein transparentes, nachvollziehbares Resultat, dem niemand beispielsweise «Filz» vorwerfen kann.

Ich kann mir vorstellen, dass das Recruiting von Kaderleuten für die Verwaltung ein eigentliches Geschäftsfeld werden könnte.
Auch die Verwaltung spürt bei wichtigen Schlüsselpositionen, dass es nicht ganz einfach ist, gute Fach- und Führungskräfte zu finden. Wir durften in den vergangenen Jahren einige anspruchsvolle Rekrutierungen in der öffentlichen Verwaltung begleiten und wollen dies auch in Zukunft tun. Wir haben uns in diesem Bereich schon ein beachtliches Know-how aufgebaut und sehen da gute Chancen auf eine Diversifizierung.

 

  

Gibt es weitere Vorteile, wenn das ein externer Partner macht statt das verwaltungseigene HR?
Abgesehen von den angesprochenen Punkten wie Transparenz oder Unabhängigkeit: Das Rekrutieren über den passiven Weg mit Inseraten führt nur noch sehr selten zum Ziel. Passende Kandidaten müssen gefunden und direkt angesprochen werden. Dies ist ein zeitaufwendiger Prozess und erfordert den Einsatz von Tools und viel Erfahrung. Daher kann es auch für Verwaltungen mit eigenen HR-Bereichen sinnvoll sein, einen professionellen Partner im Bereich des Active Sourcings zu haben. Zudem erhöht eine externe Sicht bei der Personalauswahl die Entscheidungsqualität.

Ebenfalls könnte ich mir vorstellen, dass es für die Besetzung eines Gemeindepräsidiums sinnvoll sein könnte, statt einer Findungskommission einen Personaldienstleister einzusetzen. Wie sehen Sie das, Michael Götte?
Ich erachte dies als sinnvollen Weg. Die bekannten Findungskommissionen, die vielfach politisch motiviert sind, haben je länger je mehr Probleme, geeignete Kandidaten zu finden. Aktuell wurde ein entsprechender Prozess mit Findungskommission und Personaldienstleister in der Gemeinde Thal praktiziert. Es kommt doch auch bei einem Gemeindepräsidium darauf an, den besten Kandidaten zu finden – und nicht jemanden, den man bei einem oder zwei Bier dazu überredet hat, weil man ihn gut kennt oder weil einem schlicht niemand anderes in den Sinn gekommen ist.

Das heisst, dass in Zukunft auch Besetzung und Platzierung von Kadern aus dem öffentlichen Sektor zu einer Art Public-Private-Partnership führen könnten?
Für kleine Gemeinden wird dies noch einige Zeit dauern. Im Grundsatz wird aber eine entsprechende Entwicklung stattfinden – zwangsläufig, denn auch die Kaderstellen in der Verwaltung, bis hin zum Stadt- oder Gemeindepräsidenten, werden immer anspruchsvoller. Hier macht eine Initialinvestition Sinn, wenn man dann a) eine wirklich gute Person in der Funktion hat und b) nicht nach einigen Jahren oder gar Monaten wieder mit der Suche beginnen muss, weil jemand den Anforderungen nicht gewachsen ist.

Text: Stephan Ziegler

Bild: Gian Kaufmann

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