Kolumne

Tugend und Politik

Tugend und Politik
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Ohne Treue zerfällt das Recht, ohne Caritas verkümmert die Gemeinschaft, ohne Hoffnung erstarrt die Politik: Die klassischen christlichen Tugenden sind das stille Rückgrat einer freien Gesellschaft – und genau deshalb nicht verhandelbar.

In der im 18. Jahrhundert massgeblichen Tugendlehre war von sieben Tugenden die Rede. Vier davon stammen aus der antiken Philosophie, drei aus der christlichen Religion. Die drei christlichen Tugenden sind Glaube, Liebe und Hoffnung, die auf Deutsch vor allem individuell-moralisch verstanden werden, im Lateinischen aber auf das Verhalten in der Gemeinschaft Bezug nehmen.

«Fides» heisst nicht nur Glaube, sondern auch Treue, und Treue ist tatsächlich ein Bollwerk der Zivilgesellschaft. Ohne «Bona Fides» funktioniert nämlich kein Privatrecht. «Caritas» kann auch nicht einfach mit «Liebe» übersetzt werden, denn unter «Liebe» versteht man heute primär «Amor» oder «Eros». «Caritas» ist die Zuwendung zum Mitmenschen, die auf der Achtung vor ihm beruht und auch Dankbarkeit einschliesst – ein stets knappes Gut.

Damit wird sie auch zu einem zentralen politischen Wert, obwohl die Politik selbst zu ihrer Vermehrung kaum etwas beitragen kann. Es braucht weder ein «Bundesamt für Caritas» noch einen diesbezüglichen Verfassungsartikel. Im Gegenteil: «Caritas» findet dann statt, wenn es dafür noch einen Bedarf und eine Nachfrage gibt und wenn sie gerade nicht weitgehend an den Wohlfahrtsstaat delegiert wird.

«Spes», die Tugend der Hoffnung, ist die Basis des Optimismus, und sie begründet die individuelle und gemeinsame Bemühung um eine bessere Zukunft, ein Ziel, das keineswegs unpolitisch ist. Die drei christlichen Kardinaltugenden haben also durchaus eine politische Dimension. Sie gehören zum Bollwerk bürgerlicher Tugenden, aber sie dürfen nicht unreflektiert in politische Forderungen umgemünzt werden.

Es gilt, sie zu verteidigen und zu stärken, indem man deren Verwirklichung zwar als Voraussetzung eines funktionierenden Gemeinwesens deutet, aber nicht als Inhalt einer erzwingbaren Ordnung.

Text: Robert Nef

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