Fokus Mobilität

Kampf gegen den Kollaps

Kampf gegen den Kollaps
Marcel Aebischer
Lesezeit: 4 Minuten

Marcel Aebischer ist Präsident der TCS-Sektion St.Gallen-Appenzell Innerrhoden. Der Gossauer Rechtsanwalt erklärt, warum die Gallusstadt den «Zubringer Güterbahnhof» braucht, zeigt sich erfreut über die Ablehnung von flächendeckendem Tempo 30 und ordnet den politischen Kampf von links gegen das Automobil ein.

Marcel Aebischer, wie beschreiben Sie die aktuelle Verkehrssituation in der Stadt St.Gallen?
Schwierig, weil sich die Erreichbarkeit schleichend verschlechtert. Die Stadtregierung erlässt immer wieder neue Massnahmen, die einer guten Erreichbarkeit abträglich sind. Dazu gehören u. a. die flächendeckende Einführung von Tempo 30, Strassenraumgestaltungen, die Aufhebung von Parkplätzen oder deren Verteuerung. Erschwerend kommt momentan hinzu, dass man in der Stadt ganze Strassenabschnitte parallel zur Sanierung des Rosenbergtunnels und der Stadtautobahn saniert.

Wo liegen die grössten Knotenpunkte?
Momentan sicherlich auf der Stadtautobahn und auf der Zürcherstrasse, aber auch im Gebiet rund um die Olma.

Und wie können diese Probleme gelöst werden?
Wenn es um die Beseitigung von Kapazitätsengpässen geht, durch eine bessere Planung der Sanierungsschritte. Wenn es um Verschlechterungen der Erreichbarkeit geht, nur durch eine Anpassung der Verkehrspolitik.

 

«Unterirdische Bauten kosten wesentlich mehr als oberirdische.»

Die vom Bund veröffentliche Verkehrsperspektive 2040 und 2050 für die Ostschweiz zeigen ein weiteres Wachstum des Personenverkehrs auf. Dessen Gegner sagen, dass sich das Mobilitätsverhalten so weit im Voraus nicht messen lasse und mit dem Entscheid eines Autobahnausbaus werde «ein veraltetes Mobilitätsverhalten auf Jahrzehnte hin zementiert». Was entgegnen Sie?
Prognosen basieren immer auf Annahmen. Diejenigen des Bundes besagen einen Verkehrskollaps ab 2040, wenn die Kapazitäten auf der Stadtautobahn nicht erweitert werden. Weil es sich um ein komplexes und aufwendiges Projekt handelt, muss man rechtzeitig handeln und nicht erst, wenn die Verkehrsprobleme unerträglich werden. Bei der Behauptung der Gegner handelt es sich auch nur um eine Annahme: Auch sie wissen nicht, in welchem Ausmass der Personenverkehr künftig wächst.

Gegen das Projekt «Autobahnanschluss Güterbahnhof» regt sich seit Beginn heftiger Widerstand, der mit Blick auf den Klimawandel noch weiter wachsen könnte. Macht Ihnen das Sorge?
Ja, weil die Gegner mit teils bewusst falschen und ideologischen Argumenten Stimmung machen gegen ein ausgewogenes und sinnvolles Projekt, das für die gesamte Stadt St.Gallen einen grossen Nutzen bringen wird.

Mit der Zweckmässigkeitsbeurteilung wurde zwischenzeitlich die Bestvariante für den Zubringer Güterbahnhof festgelegt. Wie beurteilen Sie diese?
Es handelt sich um ein ausgewogenes und überzeugendes Projekt. Es stellt sicher, dass Verkehrsfluss und Lebensqualität in der Gallusstadt in Zukunft gewährleistet sind. Ganz zentral ist der Bau des Zubringers auf dem Güterbahnhofareal. Ohne diesen wird der Verkehr in der Stadt und an den Autobahnausfahrten in den nächsten zehn bis 15 Jahren kollabieren. Allein der Bau einer dritten Röhre durch den Rosenberg reicht nicht aus.

 

 

Wo liegen die Vorteile beim unterirdischen Verkehr?
Es profitieren sämtliche Verkehrsteilnehmer von der oberirdischen Verkehrsentlastung. Dazu gehören auch der öffentliche Verkehr, Blaulichtorganisationen, Transportunternehmungen oder andere Dienstleistungserbringer, die auf gute Erreichbarkeit der städtischen Infrastruktur und auf Mobilität angewiesen sind. Ferner entstehen mehr Platz und Gestaltungsmöglichkeiten für den Langsamverkehr, die Stadtbevölkerung und die Quartiere, indem ein grosser Teil des Verkehrs künftig unterirdisch abgewickelt wird.

Und wo die Hürden?
Unterirdische Bauten kosten wesentlich mehr als oberirdische. Hier steht für die St.Galler Bevölkerung der aber bereits eine gute Finanzierungslösung bereit. Auch wenn der genaue Kostenteiler noch nicht genau bekannt ist, steht bereits jetzt fest, dass der Bund den mit Abstand grössten Teil der Kosten übernehmen wird. Die Stadt wird verhältnismässig tiefe Kosten zu tragen haben, erhält aber einen grossen Nutzen. 

Warum sind Sie sicher, dass es tatsächlich eine Verkehrsentlastung geben wird?
Das besagen die Projektverantwortlichen unter Berücksichtigung der Verkehrsprognosen des Bundes. Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln.

 

«Vielleicht fühlt sich die Bevölkerung noch mehr geplagt als in anderen Städten.»

Wie engagiert sich TCS für das Projekt?
Der TCS ist Vorstandsmitglied der IG Engpassbeseitigung, die sich seit Jahren für dieses Projekt einsetzt.  Kürzlich wurde bekannt, dass in der Stadt St.Gallen auf den Hauptverkehrsachsen kein Tempo 30 eingeführt werden soll. Der TCS zeigte sich erfreut über diesen Entscheid.

Wieso?
Jeder Strassentyp hat eine ganz bestimmte Funktion, die respektiert werden muss, um die Funktionalität des gesamten Netzes zu gewährleisten. Als verkehrsorientierte Strassen werden Hauptverkehrsachsen verstanden, die klar dem Ziel der Abwicklung des Verkehrsaufkommens dienen und zur Erschliessung der Standorte essenziell sind. Als siedlungsorientierte Strassen werden Achsen verstanden, die von den Hauptverkehrsachsen den siedlungsorientierten Verkehr in die angrenzenden Quartiere führen. Eine Reduktion des Temporegimes auf Hauptverkehrsachsen ist eine deutliche Abweichung vom Sinn und Zweck der Strasse. Die Folge einer solchen Reduktion ist ein bedeutender Mehrverkehr in den Quartier- respektive Parallelstrassen und damit eine Reduktion der Verkehrssicherheit auf den siedlungsorientierten Strassen. Der Entscheid zeigt, dass die Regierung die Strassenhierarchie ernst nimmt und einen effizienten Verkehrsfluss sicherstellen will.

Sie sagen auch, dass der Entscheid erst «ein Schritt in die richtige Richtung» sei. Was braucht es noch?
Es gibt weitere wichtige Hauptverkehrsachsen in der Gallusstadt, auf denen auf Temporeduktionen zu verzichten ist. Wir fordern von der Regierung, dass sie auch für diese auf ihren Entscheid zurückkommt.

 

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Eine Umfrage in verschiedenen Städten zeigt ein klares Bild gegen generelles Tempo 30. In St.Gallen ist der Anteil der «Nein»-Antworten mit 79 Prozent am höchsten. Wie erklären Sie sich das?
Vielleicht fühlt sich die Bevölkerung der Stadt St.Gallen vom Thema noch mehr geplagt als in anderen Städten. 

Trotzdem versuchen Regierung und Parlament immer wieder, den Autoverkehr in St.Gallen «wegzuschikanieren» – man denke an den Parkplatzabbau oder «Verkehrsberuhigungen» wie auf der Zürcherstrasse. Warum arbeiten Legislative und Exekutive offenbar gegen die Wünsche der eigenen Bevölkerung?
Das weiss ich nicht. Gerade die Diskrepanz zwischen dem Willen der Bevölkerung punkto Tempo 30 gemäss der erwähnten Umfrage und der aktuellen Verkehrspolitik in der Stadt St.Gallen macht mich aber sehr nachdenklich. Dies zeigt eindrücklich, dass den städtischen Verkehrsplanern der Wille der Mehrheit der Bevölkerung schlicht egal ist. Sie behaupten sogar, Tempo 30 sei ein Bedürfnis der Stadtbevölkerung. Diese Behauptung ist mit den erwähnten Umfrageergebnissen endgültig widerlegt.

Text: Miryam Koc

Bild: Marlies Beeler

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