Fokus Mobilität

Das Ende der Reichweitenangst

Das Ende der Reichweitenangst
Adriano Tramèr, Martin Osterwalder
Lesezeit: 4 Minuten

Seit vergangenem Herbst wird beim St.Galler Kraftwerk Kubel Wasserstoff produziert. Wie das Pionierprojekt voranschreitet und wie hoch die Nachfrage nach Wasserstoff-Mobilität ist, skizzieren Martin Osterwalder, CEO der Osterwalder St.Gallen AG, und Adriano Tramèr, Leiter Geschäftsbereich Produktion bei der SAK (St.Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG).

Martin Osterwalder, mit der Gründung der Wasserstoffproduktion Ostschweiz AG im September 2019 investierten die SAK, die Osterwalder-Gruppe und seit Juli 2022 auch die SN Erneuerbare Energie AG gemeinsam in den Aufbau der Produktionsstätte Kubel, um Wasserstoff als erneuerbare und saubere Energie für die Elektromobilität und für die Dekarbonisierung des Strassenverkehrs anzubieten. Was ist seitdem passiert?
Seit der Gründung 2019 und der Investition der SNEE im Jahr 2022 durften wir, neben dem Aufbau von breitem Wissen im Bereich Wasserstoff, auch den Meilenstein der Eröffnung unserer ersten Wasserstoffproduktionsanlage feiern.

Welche Synergien schöpfen Sie aus dem Joint Venture?
Es bringt Firmen mit unterschiedlichem Know-how zusammen, die in unterschiedlichen Bereichen tätig waren. Durch dieses breite Wissen können die Wertschöpfungskette optimal abgebildet und die eigene Nachfrage gesichert werden.

Grüner Wasserstoff zählt zu den wichtigen Energieträgern der Zukunft, um Strom aus erneuerbaren Quellen effizient und sicher zu speichern. Wie sieht die Nachfrage nach Wasserstoff-Mobilität in der Region aus?
Die Wasserstoff-Mobilität wird primär von LKW-Kunden aus dem Detailhandel, aber auch von Unternehmen nachgefragt, die sich keine lange Ladedauer leisten können. Die Nachfrage selbst ist zufriedenstellend und zeigt, dass das Modell Wasserstoff-Mobilität in der Praxis funktioniert.

 

«Wasserstoff bietet Reichweitenvorteile mit über 600 Kilometern.»

Hat sich diese mit der Energiekrise verändert?
Die Nachfrage hat sich nicht gross geändert, trotz der Preisanpassungen, die aufgrund der Verwerfungen an den Energiemärkten notwendig waren.

Worauf lässt sich die Zurückhaltung erklären? Faktisch spricht vieles für Wasserstoff.
Vermutlich mit der Anzahl an Wasserstofftankstellen respektive der Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff. Dies führt dazu, dass ein gewisser Komfortverlust entsteht, der nicht durch alle Personen eingegangen werden will. Das Tankstellennetz wird aber stetig ausgebaut.

Welche Vorteile hat Wasserstoffmobilität?
Wasserstofffahrzeuge können nach kurzer Betankungszeit wieder mit voller Reichweite eingesetzt werden und verfügen über ein geringes Leergewicht. Des Weiteren kann die Abwärme der Brennstoffzelle für die Klimatisierung der Fahrerkabine genutzt werden. Schliesslich bietet Wasserstoff Reichweitenvorteile mit über 600 Kilometern – Tendenz steigend. Damit wird auch die bei Elektrofahrzeugen oft vorherrschende Reichweitenangst obsolet.

 

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Und wo liegen die Hürden?
Die grösste Herausforderung ist eben das Tankstellennetz, das noch nicht so gross ist wie für konventionelle Treibstoffe. Ebenfalls sind die Fahrzeugpreise zu nennen, die (noch) eher im hohen Segment liegen.

Im April 2020 hat die Osterwalder St.Gallen AG als Mitglied der AVIA-Vereinigung die erste Wasserstofftankstelle in der Ostschweiz eröffnet – und zwar am Hauptsitz der Firma an der Oberstrasse. Bis 2023 wollte «H2 Mobilität Schweiz» ein flächendeckendes Netz an Wasserstofftankstellen aufzubauen. Ist das gelungen?
Die Abdeckung entlang der Hauptverkehrsachsen A1 und A2 darf als flächendeckend angesehen werden. Einzig das Tessin bleibt, aufgrund geltender Richtlinien, aktuell ein «blinder Fleck». Mit der Eröffnung weiterer Tankstellen bis Ende Jahr steigt die Abdeckung nochmals; die Kunden kommen so in den Genuss weiterer Betankungsstandorte. 

Kann man beziffern, wie viele Autos mit Wasserstoff in der Ostschweiz bereits unterwegs sind?
Eine genaue Anzahl ist schwierig zu nennen, da diese nirgend statistisch erfasst sind. Wir gehen aufgrund der Betankungsdaten von rund 15 bis 20 PKW aus. Dazu kommen unsere LKW-Kunden.

 

Für wen eignet sich der Umstieg auf Wasserstoff besonders?
Der Umstieg auf Wasserstoff eignet sich für Viel- resp. Weitfahrer mit geringer Reservezeit am meisten. Ebenfalls geeignet ist ein Umstieg für schwere Transporte wegen  des tieferen Leergewichts und damit der höheren zulässigen Zuladung.

Seit Juni 2020 betreiben Sie in St.Gallen die erste Wasserstofftankstelle der Ostschweiz. Wie ist die Nachfrage?
Die Nachfrage nach Wasserstoff in der Mobilität ist erfreulich, weshalb wir im März 2022 auch eine zweite Tankstelle in Gossau eröffnet haben.

 

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«Bis dato konnten sieben Tonnen grüner Wasserstoff produziert werden.»

Adriano Tramèr, im November 2022 wurde das Kubel eröffnet – ein Pionierprojekt in der Schweiz. Wie haben Sie die letzten acht Monate erlebt?
Mit der offiziellen Eröffnung unserer Wasserstoffproduktionsanlage Kubel im letzten Herbst ging auch die erste Produktion von Wasserstoff einher. Seither läuft die Inbetriebnahmephase. Anfangs hatten wir einzelne technische Hürden zu meistern, zwischenzeitlich sind es aber eher Themen im Bereich der Gesamtzertifizierung der Anlage, die uns Zeit kosten. Die Anlage läuft technisch aber zuverlässig. 

Wie viele Tonnen grüner Wasserstoff konnten bis dato produziert werden?
Gegen sieben Tonnen.

Und wie viele Tankstellen werden beliefert?
Grundsätzlich die drei Osterwalder-Tankstellen in St.Gallen, Gossau und Chur, wobei wir auch Aushilfslieferungen an «fremde» Tankstellen machen. 

Was zeichnet den Standort Kubel aus?
Einerseits sehr enge Platzverhältnisse, eingebettet zwischen dem SAK Unterwerk Kubel, dem SOB-Brückenpfeiler und einem steilen Berghang. Andererseits aber dafür die Nähe zu den zwei Tankstellen der Osterwalder-Gruppe im Fürstenland, die keine drei Kilometer Luftlinie entfernt liegen. Wasserstoff kann also lokal produziert und muss nicht, wie fossile Brennstoffe, um die halbe Welt transportiert werden.

 

Welche wichtigen Erkenntnisse konnten Sie bislang aus den Erfahrungen im Kraftwerk Kubel ziehen?
Es ist spannend, eine neue Technologie kennenzulernen, für das ganze Team, sprich für die Betriebsmannschaft und die Projektleitung, aber auch für uns vom Management. Diese Chance hat man nicht alle Tage. Wir lernen tagtäglich dazu und lassen unsere Erfahrungen direkt in die folgenden Projekte einfliessen.

Wie blicken Sie bezüglich Wasserstoff-Mobilität in die Zukunft?
Positiv – vor allem im Schwerverkehr macht Wasserstoff grossen Sinn und ist eine hervorragende Möglichkeit zur Dekarbonisierung. Weitere LKW werden hierzulande in Kürze in Verkehr gesetzt.

Und Sie, Martin Osterwalder?
Ebenfalls positiv. Der Schwerverkehr hat grosses Interesse an Wasserstoff-LKW; die grossen Hersteller haben Wasserstofffahrzeuge angekündigt, die sich zurzeit noch in der Entwicklung befinden. Daneben werden, wie von Adriano Tramèr angesprochen, bald weitere LKW von Hyundai auf den Schweizer Strassen auftauchen.

Text: Miryam Koc

Bild: iStock, Elke Hegemann

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