Die Steuern für Unternehmen werden neu erfunden

Die Steuern für Unternehmen werden neu erfunden
Lesezeit: 5 Minuten

Wenn sich die mächtigen der Welt an Gipfeln treffen, denken sie nicht zuerst an Ostschweizer KMU. Was die OECD, G7 und G20 gerade vorgegeben haben, trifft aber die hiesige Wirtschaft ganz direkt.

Steuerfachleute haben es kommen sehen, trotzdem reibt sich so mancher die Augen, wie schnell nun die globalen Steuerspielregeln neu geschrieben werden. Katalysator war die Wahl des Demokraten Joe Biden zum neuen US-Präsidenten, der nun im Gegensatz zu seinem Vorgänger Donald Trump das Projekt wieder vorantreibt. Ausbaden müssen es vielleicht auch Gewerbler in Schwellbrunn und Diessenhofen, sicher aber grössere KMU in der Ostschweiz, die nicht nur innerhalb der Landesgrenzen tätig sind.

US-Senat könnte Reform aufhalten

Joe Biden nannte, kaum war er im Amt, die Schweiz eine «Steueroase, die Unternehmen helfe, Steuern zu hinterziehen». Die Schweiz intervenierte natürlich höflich, doch spätestens nach dem Treffen der G7-Finanzminister war klar: Diese Lawine lässt sich nicht aufhalten – nicht von der Schweiz zumindest –, sie rollt über die ganze Welt. Die tiefgreifende Steuerreform, die selbstverständlich vor allen den grossen Wirtschaftsnationen mehr Steuereinnahmen bringen wird, dürfte Realität werden.

Die grösste Hürde für Biden wird der amerikanische Senat sein. Für die Mindeststeuer reichen dort die Stimmen seiner Demokraten aus, doch für die Neuordnung der Besteuerungsrechte braucht er auch die Stimmen von zehn Republikanern, die das ziemlich skeptisch sehen. Ein Argument für die Biden-Administration dürfte sein, dass im Gegenzug verschiedene schon eingeführte oder geplante Digitalsteuern europäischer Staaten zurückgezogen würden. Diese hätten nach Ansicht der Amerikaner ihre grossen Digitalkonzerne diskriminiert.

Alle grossen Firmen im Visier

Kommt neben der Mindeststeuer auch die Neuordnung der Besteuerungsrechte, werden die Gewinne der etwa 100 grössten Unternehmen der Welt künftig zusätzlich dort besteuert werden, wo die Kunden eines Unternehmens sitzen. Im Visier hatte man ursprünglich die grossen Digitalkonzerne wie Google oder Amazon, auf Druck der Amerikaner sind nun aber alle grossen, profitablen Firmen im Boot. In der Schweiz träfe dies noch vor Nestlé mit über 90 Milliarden Umsatz fünf globlale Rohstoffhändler (Vital SA, Glencore, Trafigura AG, Mercuria Energy Trading SA und Cargill International AG) mit Umsätzen von über 100 bis über 200 Milliarden Franken. Voraussichtlich werden aber der Finanzsektor und der Rohstoffbereich noch ausgeklammert. Roche und Novartis sind aber auf der Liste, bei anderen grossen Unternehmen dürfte die hohe Gewinnmarge als zweites Kriterium nicht erfüllt sein.

Mitte Juli nun haben die Finanzminister der grösseren G20-Runde das Konzept abgesegnet, zuvor hatten bereits 131 Mitgliedsländer der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) dem Vorhaben zugestimmt. Im Gegensatz zu acht Ländern wie Irland oder Ungarn stimmte die Schweiz zu, was dem zuständigen Bundesrat Ueli Maurer Schelte aus den eigenen Reihen einbrachte.

Maurers gute Miene zum aus Schweizer Sicht durchaus bösen Spiel ist taktisch motiviert: Statt sich zu verweigern, arbeitet die Schweiz konstruktiv mit, «wir arbeiten gemeinsam mit Ländern wie Irland und Luxemburg daran, dass die Reform möglichst moderat ausfällt», erklärte Maurer Ende Juni in einem Interview in der «NZZ».

 

Joe Biden nannte die Schweiz eine «Steueroase, die Unternehmen helfe, Steuern zu hinterziehen».

Ostschweiz muss Gewinnsteuern erhöhen

Moderater als die noch vor kurzem von US-Finanzministerin Janet Yellen erhofften 21 Prozent fällt der Mindeststeuersatz aus. Derzeit wird eine Untergrenze von 15 Prozent anvisiert. Appenzell Innerrhoden verrechnete gemäss einer Übersicht der KPMG im letzten Jahr 12,55 Prozent Gewinnsteuern, Appenzell Ausserrhoden 13,04 Prozent, St.Gallen 14,50 Prozent und der Thurgau 13,36 Prozent. Oft zahlen Unternehmen in einer Mischrechnung effektiv einen tieferen Satz, weil mit der neu eingeführten «Patentbox» Erträge auf Lizenzen oder Patente tiefer besteuert werden.

Alle vier Kantone liegen nach der gerade erst durchgeführten STAF-Übung (Steuerreform und AHV-Finanzierung) unter dem Schweizer Schnitt von 15,12 Prozent. Nebenbei: Fast der höchste Gewinnsteuersatz wird vom Wirtschaftsmotor Zürich mit 19.7 Prozent kassiert, 2020 waren es sogar noch 21,15 Prozent.

Steuerregime sollen angepasst werden

Somit müssen alle Ostschweizer Kantone ihr Steuerregime anpassen. Sie würden zwar kaum mehr als Steuerschlupfloch gebrandmarkt werden, wenn sie es nicht tun, dafür könnte die nicht ausgeschöpfte Differenz zum Mindeststeuersatz von ausländischen Steuerbehörden eingefordert werden. Solche Geschenke werden nicht einmal die selbstlosen Ostschweizer machen.

Das Festlegen einer Hausnummer als Mindeststeuersatz ist im Prinzip eine einfache Übung, weshalb sie für plakative politische Aussagen taugt. Konsequenterweise muss im nächsten Atemzug aber gefragt werden, worauf genau die mutmasslich 15 Prozent erhoben werden. Dieser Tanz mit dem Teufel im Detail wird Tax-Spezialisten rund um den Globus noch ziemlich ins Schwitzen bringen.

Auch die Steuerverwaltungen müssen einiges an zusätzlichen Hausaufgaben machen. Betroffen von der neuen OECD-Mindeststeuer sind Unternehmen ab einem Umsatz von 750 Millionen Euro. Das sind in der Ostschweiz (nach Vor-Corona-Umsätzen vom 2019) 21 Unternehmen (siehe Tabelle). Dazu kommen aber noch über 100 weitere Firmen, die Teil eines internationalen Konzerns sind – für die Grenze von 750 Millionen Euro zählen nämlich die kumulierten globalen Umsätze. Die Kantone könnten nun ausschliesslich für die betroffenen Unternehmen eine Steuerkategorie mit 15 Prozent Gewinnsteuer einführen, oder der neue Gewinnsteuersatz gilt einheitlich, also auch für die Quartierbäckerei und den Malermeister mit fünf Mitarbeitern.

Auch interessant

Fundamentale Änderung
Schwerpunkt OECD-Steuerreform

Fundamentale Änderung

«Zu glauben, nachher gebe es keinen Wettbewerb, ist illusorisch»
Schwerpunkt OECD-Steuerreform

«Zu glauben, nachher gebe es keinen Wettbewerb, ist illusorisch»

Regionales Komitee St.Gallen-Appenzell wirbt für «OECD-Mindeststeuer»
Ostschweiz

Regionales Komitee St.Gallen-Appenzell wirbt für «OECD-Mindeststeuer»

Maurers gute Miene zum aus Schweizer Sicht durchaus bösen Spiel ist taktisch motiviert.

Standortwettbewerb bleibt

Die Aussicht auf mögliche Mehreinnahmen macht Finanzpolitiker nicht sonderlich glücklich, denn einen Wettbewerb unter den Standorten würde es nach wie vor geben, wie der St.Galler Regierungspräsident und Finanzchef Marc Mächler im nachfolgenden Interview erklärt. Deshalb gilt es, sich weiterhin als attraktiver Standort zu profilieren – also zu überlegen, wie man trotz Mindeststeuer den Unternehmen entgegenkommen kann.

Die Finanzabteilungen international tätiger Unternehmen werden ebenfalls stark gefordert werden, denn künftig braucht es Steuerdeklarationen mit sehr viel detaillierten Daten aus den einzelnen Ländern, sagt PwC-Steuerexpertin Martina Walt, die für den Leader die Tragweite der erneuten Steuerreform einordnet.

Info: Zweiteilige Steuerreform

Die von 131 OECD-Staaten beschlossene Reform hat zwei Pfeiler:

Mit «Pillar 1» wird ein Teil des Gewinns der grössten Konzerne nicht mehr nur im Sitzstaat besteuert, sondern auch dort, wo die Umsätze erzielt werden. Dies gilt voraussichtlich für Konzerne mit konsolidiertem Umsatz von 20 Milliarden Euro oder mehr und einem Gewinn von über 10 Prozent. Von diesem Übergewinn sollen 20 bis 30 Prozent in den Ländern besteuert werden, wo der Umsatz anfällt. In einigen Jahren sollen dann Konzerne bereits ab 10 Milliarden Euro Umsatz erfasst werden. Mit diesem ersten Pfeiler soll auch verhindert werden, dass jedes Land einzeln unterschiedlichste Formen von Digitalsteuern einführt.

«Pillar 2» sieht vor, dass Gewinne von Konzernen und allen Tochtergesellschaften mit einem Umsatz über 750 Millionen Euro überall mit mindestens 15 Prozent besteuert werden. Schöpft ein Land (oder ein Kanton) diese Marge nicht aus, kann sie ein anderes Land, in dem Konzerngesellschaften ansässig sind, einfordern.

Text: Philipp Landmark

Bild: Wikimedia Commons

Auch interessant

Breite Thurgauer Allianz für Umsetzung der OECD-Mindeststeuer
Thurgau

Breite Thurgauer Allianz für Umsetzung der OECD-Mindeststeuer

Mit Schrauben zum Erfolg
Fokus Alpenrheintal

Mit Schrauben zum Erfolg

Das Epizentrum der Präzisionsindustrie
Fokus Alpenrheintal

Das Epizentrum der Präzisionsindustrie

Schwerpunkte