Fundamentale Änderung

Fundamentale Änderung
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Bei der Umsetzung der Steuerreform der OECD muss die Schweiz ihre Attraktivität für Unternehmen verteidigen. PwC-Steuerxpertin Martina Walt hält dafür Massnahmen wie die Senkung der Lohn-nebenkosten und Vergünstigungen zur Förderung der Attraktivität des Standort Schweiz für geeignet.

Auch für eine ausgewiesene Steuerexpertin wie Martina Walt sind die von der OECD beschlossenen Neuerungen alles andere als Routine. «Wir erleben gerade eine fundamentale Änderung in der Besteuerung der globalen Wirtschaft», sagt die aus dem St.Galler Rheintal stammende PwC-Partnerin, «als Steuerberaterin hat man selten Gelegenheit, so viele Wechsel in einer Karriere mitzuerleben.»

Nun geht es schnell

Denn was nun ansteht, ist nicht der erste wesentliche Wechsel in der Besteuerung. «Die ganze Geschichte fing schon früher an», erläutert Martina Walt. 2013 präsentierte die OECD auf Anregung der G20-Staaten einen 15-teiligen Aktionsplan gegen internationale Gewinnverlagerung und Verminderung der Bemessungsgrundlagen («Base Erosion & Profit Shifting», kurz BEPS). Dieser Aktionsplan, BEPS 1.0 genannt, wurde inzwischen umgesetzt. Bald zeigte sich aber, dass die Massnahmen für die digitale Welt zu wenig greifen: «Andersrum gesagt: Die Steuerbehörden haben gesehen, dass man da noch mehr reinholen kann.» Vor allem die Hochsteuerstaaten hätten ein Interesse daran, mehr Steuern in ihr Land zu holen, erklärt Walt.

Die Mindeststeuer komme nicht überraschenderweise von heute auf morgen, es habe sich beim BEPS 1.0 abgezeichnet, dass die Diskussion in diese Richtung weitergehe. Grossen Schub habe es gegeben, weil nun die USA auf den Zug aufgesprungen ist und sich für die Mindestbesteuerung ausgesprochen hat. «Das hat das Momentum gegeben», sagt Martina Walt, «was viele überrascht hat ist, dass es wirklich so schnell geht. Der Zeitplan ist sehr ambitiös.»

Neue Pfeiler: Mindestbesteuerung und Gewinnallokation

Also gedieh das Projekt BEPS 2.0. Dieses hat zwei Pfeiler, zum einen die Mindestbesteuerung von wohl 15 Prozent, zum anderen die neue Gewinnallokation, mit der heutige digitale Wirtschaftsrealitäten abgebildet werden sollen. Walt verweist auf die Transferpricing-Regeln der OECD, die bisher klären, welcher Gewinn in welchem Land steuerbar ist. «Diese Regeln basieren auf der physischen, funktionalen und risikobasierten Präsenz eines Unternehmens – wo hat es Fabrikationsanlagen, wo lokale Vertriebseinheit, wo Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, wo werden Patente und Lizenzen verwaltet? Daraus ergibt sich die Gewinnverteilung.» Eine historische Betrachtungsweise, die durch die Digitalisierung immer weniger stimmig ist.

Eine digitale Operation braucht kaum lokale Mitarbeiter, darum kann das Unternehmen seine Immaterialgüter, die den weltweiten Umsatz generieren, an einem – steuergünstigen – Ort zusammenziehen. Vor diesem Hintergrund haben etliche Länder individuelle Digitalsteuern eingeführt, diese sollen nun aber mit dem ersten Pfeiler von BEPS 2.0 ersetzt werden. «Die Gewinnallokation wird von der physischen Substanz gelöst. Neu zählt auch, wo die Umsätze erzielt werden», erklärt Walt. «Ein Teil des Gewinns wird künftig auf die Länder verteilt, wo der Umsatz anfällt.»

  

«Die Steuerbehörden haben gesehen, dass man da noch mehr reinholen kann.»

Eine Reform nach der anderen

Als Schweizer Steuerexpertin hat Martina Walt zwischen den beiden BEPS-Reformen der OECD miterlebt, wie die Schweiz mit STAF (Steuerreform und AHV-Finanzierung) ein eigenes Projekt stemmte. STAF nahm Forderungen der EU und Punkte aus BEPS 1.0 auf, etwa die Abschaffung der Holdingprivilegien.

Nun steht der nächste grosse Umbau der Steuermechanismen bevor. Walt weiss, was das bedeutet: «Steuergesetzänderungen geben grundsätzlich Arbeit», sagt sie mit einem Lächeln im Gesicht – ihr Know-how wird noch gefragter werden. Gesetzgeber und Steuerexperten überall auf der Welt müssen die politische Einigung in praktikable Mechanismen übersetzen. Denn so klar es scheint, dass die Mindeststeuer für Gewinne kommen wird: «Die Basis, auf welcher die Minimalsteuer erhoben wird, ist einer der grossen Diskussionspunkte», erklärt Walt. Die Zeit drängt, schon im Steuerjahr 2023 sollen die neuen Spielregeln Anwendung finden, «bis im Oktober muss einiges an Arbeit geleistet werden.»

Absehbar ist jetzt schon, dass die beiden Pfeiler der Steuerreform zu noch mehr Komplexitäten führen werden. «Wenn man die Regeln anwenden will, muss man weltweit sehr detaillierte Daten aus der Buchhaltung aufbereiten können, um die entsprechenden Deklarationen pro Land machen zu können», sagt Walt.

Zähneknirschendes Mitmachen

Dafür wäre ein weltweit einheitlich aufgesetztes finanzielles Buchführungs-und Reportingsystem ideal. «Das ist aber Wunschdenken», hält Martina Walt fest, «In der Realität haben wir drei, vier unterschiedliche Systeme.» Die benötigten konsolidierten Daten können also nicht einfach auf Knopfdruck aus dem System geholt werden. Die Steuerreform wird vorerst einmal viel Handarbeit mit sich ziehen.

Die Schweiz wird eigene Vorschläge in die globale Diskussion einbringen, wie die künftige Steuerbasis, die «GloBE», möglichst fair und einfach ermittelt werden kann. In Arbeitsgruppen des Bundes speisen PwC und andere Unternehmen über Verbände wie Swissholdings oder Economiesuisse ihre Ideen ein. «Es ist richtig, dass die Schweiz ‹zähneknirschend mitmacht›, wie es Bundesrat Ueli Maurer formulierte, so haben wir einen Platz am Tisch der OECD und können mitreden – und versuchen, so attraktiv wie möglich zu bleiben.»

Als globales Unternehmen hat PwC den Vorteil, sich intern austauschen zu können. «Wir kennen die Ideen der Amerikaner oder der Deutschen, die eine andere Steuergesetzsystematik und -politik haben und eine andere Perspektive mit an den Verhandlungstisch bringen: Sie sind Hochsteuerländer und auch grosse Märkte – die Interessen sind sehr unterschiedlich», sagt Walt. «Die Schweiz wird natürlich versuchen, die Standortattraktivität der Schweiz hochzuhalten und am Schluss eine Lösung zu finden, die ins Schweizer Steuersystem passt.»

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«Viele KMU machen ihre Umsätze mit internationalen Konzernen.»

Lohnnebenkosten senken

Die Ostschweizer Kantone werden wohl oder übel ihre Unternehmenssteuern auf 15 Prozent erhöhen und versuchen, im Gegenzug den Unternehmen irgendwelche andere Goodies zu geben, um die Standortattraktivität zu erhalten. «Da wird sich in den nächsten Monaten zeigen, welche Massnahmen akzeptiert werden», gibt Martina Walt zu bedenken. Neben Subventionen für Forschung und Entwicklung, die alle Standorte vermehrt ausreizen werden, schlägt Walt vor, auch beim Schweizer Lohnniveau anzusetzen: «Unsere Löhne sind im Verhältnis sehr hoch, wir haben aber auch gute, qualifizierte Mitarbeiter, sie sind effizienter und fallen weniger aus. Eine Idee wäre deshalb, die Lohnnebenkosten zu senken.» Kosten für Sozialversicherungen oder Bewilligungen, die im Ausland als hoch angeschaut werden, könnten gesenkt, Ausfälle durch die höheren Steuereinnahmen ausgeglichen werden. Einfach ist auch dieser Ansatz, kantonal unterschiedliche Steuersätze über Bundesabgaben auszugleichen, nicht.

Der Kreativität werden auf jeden Fall Grenzen gesetzt werden. «Die OECD hat schon angedeutet, dass sie genau darauf achten wird, welche Abzüge toleriert werden.» Subventionen würden tendenziell akzeptiert, man müsse aber darauf achten, dass man nicht in verbotene staatliche Beihilfen gerate, sagt Martina Walt. Sie geht davon aus, dass der Standortwettbewerb noch schärfer werden wird; es wird intransparenter, welche Goodies angeboten werden. «Wir sind ja heute schon im Wettbewerb mit Irland, den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich oder Singapur.» Der Steuersatz sei ein wichtiges Element in diesem Wettbewerb. Daneben spielen aber Faktoren wie die Verfügbarkeit von Talenten, die Qualität und die Effizienz der Arbeitnehmer oder die Rechtssicherheit im Land eine grosse Rolle.

Für Massenproduktionen seien Schweizer Arbeitskräfte im Vergleich zu teuer, «da können wir im Wettbewerb nicht mithalten. Aber wenn es darum geht, hochspezialisierte Forschungsabteilungen anzusiedeln, wenn es um präzise Spezialanfertigungen oder internationale Headquarterfunktionen
für Führung und Strategie geht, da kann die Schweiz in der Mitte von Europa extrem punkten.»

  

«Da wird sich in den nächsten Monaten zeigen, welche Massnahmen akzeptiert werden»

KMU können profitieren

Die meisten Schweizer KMU sind nicht Ziel der neuen Regelungen. Natürlich wollen diese Firmen erst recht nicht, dass der Steuersatz raufgeht. «Viele KMU machen ihre Umsätze mit internationalen Konzernen, die fahren im Fahrwasser der Grossen», gibt Martina Walt zu bedenken. Headquarter, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen und andere spezialisierte Einheiten von Grossen würden immer auch viele kleine lokale Zulieferer, Dienstleister, Spezialisten anziehen: «Wenn wir den Standort für die internationalen Konzerne attraktiv halten, können wir die Wirtschaft insgesamt stützen und den Markt für Zulieferer behalten. Das kommt unseren KMU zugute.»

Wenn die OECD-Regelungen klarere Konturen haben, muss die Schweiz Änderungen im Steuergesetz vornehmen. «Ich nehme an, es wird eine intensive Debatte um die begleitenden Kompensationsmassnahmen geben», sagt Walt. Beispielsweise, wenn mehr Arbeitsbewilligungen für ausländische Spezialisten ermöglich werden sollten, «gibt sicher einige politische Sensibilitäten.»

Wichtige Steuerzahler

Die grosse Mehrheit der Unternehmen, die von der OECD ins Visier genommen werden, sind ausländische Konzerne, die in der Schweiz grosse operative Betriebe oder Headquarter unterhalten. «Das sind jene Unternehmen, dir bis vor Kurzem noch Privilegien hatten», betont Walt, «diese Unternehmen sind auch relativ mobil. Es ist wichtig, dass wir die halten können, denn sie finanzieren den grössten Teil unserer Steuereinnahmen und sie bringen Umsätze für unsere lokalen KMU.» Das Umfeld in der Schweiz müsse deshalb so attraktiv bleiben, dass die Konzerne gute Gründe hätten, hier zu bleiben, auch wenn sie zwei, drei Prozent Steuern mehr bezahlen.

Kleine Schweizer Unternehmen, die nur im Inland tätig sind, werden von den Neuerungen vielleicht wenig spüren, vor allem dann, wenn ein Kanton die Mindeststeuer nur für Umsätze ab 750 Millionen Euro einführen würde. Doch schon wenn ein Ostschweizer KMU in Vorarlberg und Baden Württemberg tätig ist, dürften sich einige lokale Vorschriften ändern – und der bürokratische Aufwand für die Steuererklärung steigen.

Jene 21 Ostschweizer Unternehmen und weit über 100 Tochterfirmen internationaler Konzerne, die über der Schwelle von 750 Millionen Euro liegen, müssen sich ohnehin darauf vorbereiten, sehr viel mehr Daten aus ihren Geschäftsabschlüssen für die Behörden aufzubereiten. «750 Millionen Euro ist die gleiche Grenze, die man heute schon beim Country-by-Country-Report aus dem BEPS 1.0 kennt, da muss man bereits gewisse Daten pro Land aufarbeiten», sagt Martina Walt. «Was nun kommt, geht aber massiv weiter. Die heutigen Daten reichen nicht für das, was man beim BEPS 2.0 braucht.»

Die Unternehmen müssen jetzt also ihre Buchhaltungssystem anpassen und sich fragen, wie sie an die relevanten Daten rankommen. «So eine Umstellung geht nicht von heute auf morgen, darum müssen sie das jetzt überlegen» sagt Walt. Man weiss zwar noch nicht genau, wie die Daten aufbereitet werden müssen, wie die Formulare aussehen werden oder wie die «GloBE», die künftige Bemessungsgrundlage, genau aussehen werden. Aber man ahnt es.

Es sei wichtig für ein Unternehmen, das die 750-Millionen-Euro-Umsatzschwelle überschreitet, jetzt aktiv zu werden, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen und zu überlegen, wie man diese Daten effizient von allen Tochtergesellschaften weltweit beschaffen und aufbereiten kann. Ob die Neuerung wirklich schon 2023 eingeführt werde, sei eine andere Frage, «mal schauen, ob der Gesetzgebungsprozess dem politischen Tempo hinterherkommt.»

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Weniger Standorte

Für Steuerexpertin Martina Walt ist der Fokus in nächster Zeit klar: «Wir sehen unsere Aufgabe darin, einem Unternehmen zu helfen, sein Potenzial auszuschöpfen.» Dabei werde der Blick zuerst auf optimale Zulieferketten und betriebliche Faktoren und erst in zweiter Linie auf steuerliche Faktoren gelegt. «Wenn das Unternehmen mehr Steuern zahlen muss, wird deshalb die Gewinnvorgabe nicht kleiner. Darum werden sich Unternehmen überlegen, wo sie sonst Kosten sparen können.»

Dabei würden sich etliche Unternehmen fragen, ob sie noch alle heutigen Standorte benötigen: «Man sieht heute bereits eine gewisse Konsolidierung auf weniger Standorte.» Überlegungen, die auch durch die Corona-Pandemie weiter angeschoben wurden.

Wenn sich globale Unternehmen auf weniger Standorte fokussieren, sei das sowohl eine Chance als auch eine Gefahr für die Schweiz. Die grossen Konzerne hätten schon seit einiger Zeit permanent ihre globalen Operationen angeschaut und sich überlegt: Bin ich noch am richtigen Ort? «Die Schweiz konnte in den letzten Jahren lernen. Wir wissen, dass wir den Standort dauernd verteidigen müssen», sagt Martina Walt. «Wir haben Übung darin, die Schweiz attraktiv zu halten. Die STAF hat sicher einiges dazu beigetragen.»

«Unternehmen werden sich überlegen, wo sie sonst Kosten sparen können.»

Schiedsgericht nötig

Die beiden Pfeiler der kommenden Steuerreform führen dazu, dass die einzelnen Staaten noch vermehrt um dieselben Steuererträge rangeln werden. Deshalb sei eine gute Disput-Resolution, ein Schiedsgericht, sehr wichtig. Wenn sich die Länder nicht auf eine Veranlagung einigen können, ein «Nicht-Einverständnis» vorliegt, «dann muss klar sein, wie die Regeln angewendet werden. Dieser Mechanismus muss wirklich funktionieren.»

Zudem glaubt Martina Walt, dass die bisher üblichen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen zwei Ländern durch multilaterale Abkommen ergänzt werden. «Die Zeit wird gar nicht reichen, alle notwendigen Anpassungen Land für Land zu machen», erläutert Walt den Trend. «Um sofort gleich lange Spiesse für alle zu haben, muss man multilaterale Abkommen schliessen.»

Allen Abkommen und Regeln zum Trotz werde aber am Schluss jedes Land schauen, dass es für sich optimieren könne. «Die Finanzminister werden an den Steuereinnahmen gemessen.»

Text: Philipp Landmark

Bild: Marlies Thurnheer

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