«Wir müssen uns im Standortwettbewerb klar positionieren»

Daniel Gentsch, wie wird man Verwaltungsratspräsident in einer Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmung, deren Inhaber die Partner sind?
Zuallererst empfinde ich es als eine sehr grosse Ehre, das Amt des Verwaltungsratspräsidenten von EY Schweiz im Auftrag meiner Partner übernehmen zu dürfen. Unsere Partner sind die Eigentümer unserer Unternehmung; ein Sounding- Prozess mit allen Partnern hat zu meiner Ernennung geführt. Diese breite Unterstützung der EY-Partnership ist zentral, da der Verwaltungsrat insbesondere die Interessen der Partner vertritt.
Was bedeutet diese Position für Sie persönlich und beruflich?
Persönlich, das gebe ich gerne zu, war es wohl der emotionalste Moment meiner beruflichen Karriere, diesen starken Support der Partnerschaft erfahren zu dürfen. Nachdem ich die letzten Jahre in internationalen Führungsrollen für EY tätig war, bedeutet dies auch einen wieder stärkeren Fokus auf unsere Aktivitäten in der Schweiz. Darauf freue ich mich ausserordentlich. Dies ermöglicht mir, die nächsten Jahre meine gesamte Energie in die weitere erfolgreiche Entwicklung von EY im lokalen Markt zu investieren.
Wie und wann ist bei Ihnen der Gedanke gereift, sich als Verwaltungsratspräsident zur Wahl zu stellen?
Nachdem mein Vorgänger, Prof. Dr. Andreas Blumer, im November 2024 seinen Rücktritt auf Ende März 2025 bekannt gegeben hatte, habe ich begonnen, mich mit der Frage auseinanderzusetzen. EY hat mir im Laufe meiner Karriere immer wieder neue Möglichkeiten eröffnet – und ich habe diese immer mit Freude und voller Energie wahrgenommen. Ich kam zum Schluss, dass dies in meiner jetzigen Karrierephase die perfekte Position für mich ist, und bin überzeugt, viel zum weiteren Erfolg von EY beitragen zu können.
«Unsere Firmenkultur ist das Fundament – sie soll gelebt und gestärkt werden.»
Welche Erfahrungen aus Ihrer beruflichen Laufbahn möchten Sie in Ihre neue Rolle einbringen?
Ich verstehe unser Geschäft und habe viele Jahre in nationalen und internationalen Führungsrollen tätig sein dürfen. Dadurch bin ich national wie auch international sehr gut vernetzt. Diese Kontakte kann ich in dieser Funktion im besten Interesse von EY Schweiz und deren Partnern und Mitarbeiter einsetzen.
Und welche Prioritäten haben Sie sich für Ihre Amtszeit gesetzt?
Die vordringliche Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass wir eine gute «Corporate Governance» leben. Es geht also um das Verhältnis zwischen Verwaltungsrat, Inhabern – das heisst den Partnern – und der Geschäftsleitung. Dies geht selbstverständlich über die Einhaltung der rechtlichen und regulatorischen Anforderungen hinaus.
Gibt es dabei spezifische Projekte, die Ihnen besonders am Herzen liegen?
Ja, die Firmenkultur: Sie steht im Zentrum all unseres Handelns. Wir leisten mit unseren über 3000 Angestellten in Wirtschaftsprüfung und Beratung einen wichtigen und auf Vertrauen basierenden Beitrag zu funktionierenden Finanzmärkten und einer funktionierenden Wirtschaft. Deshalb muss unsere Firmenkultur im Zentrum stehen, und für mich ist es ein zentrales Anliegen, diese Kultur durch unsere täglichen Handlungen zum Ausdruck zu bringen und weiter zu stärken.
«Die wirtschaftlichen Auswirkungen für ein Unternehmen können existenziell sein.»
Zu Ihrem Spezialgebiet: Sie sind ein ausgewiesener Steuerberater für multinationale Unternehmen. Täglich hören wir von neuen Zöllen, die eingeführt werden sollen, und fiskalpolitische Massnahmen scheinen ein zentrales Instrument zur Durchsetzung geopolitischer Interessen zu sein. Wie schätzen Sie diese Entwicklungen ein?
Tatsächlich beschäftigen wir uns momentan intensiv mit diesen geopolitischen Verwerfungen und deren Auswirkungen auf globale Lieferketten. Szenario-Planungen für unsere Kunden stehen dabei im Zentrum. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass die aktuelle US-Regierung nicht nur die in der breiten Presse diskutierten Zölle als Druckmittel zur Durchsetzung ihrer Ziele einzusetzen versucht, sondern es gibt noch diverse weitere Retaliationsmassnahmen im Steuerbereich, die möglicherweise schon bald ans Licht kommen. Auch wenn es kurzfristig nicht möglich ist, Lieferketten fundamental neu auszurichten und etwa Produktionsstätten zu verlagern, so ist es zentral, die möglichen Auswirkungen zu verstehen und allenfalls auch kurzfristige Planungsalternativen zu prüfen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen für ein Unternehmen können existenziell sein.
In diesem Zusammenhang hat die Schweiz im Sommer 2023 in einer Volksabstimmung die globale Mindeststeuer gutgeheissen. Wie steht es bezüglich deren internationalen Umsetzung?
Interessant ist, dass noch vor einem Jahr unter der Führung der G20 und der OECD signifikante globale Harmonisierungsbemühungen im Steuerbereich vorangetrieben wurden. Dazu gehört auch die globale Mindeststeuer. Die OECD steht diesbezüglich jedoch vor grossen Herausforderungen, da die neue US-Regierung das Projekt ablehnt und auch andere wesentliche Wirtschaftsmächte ausserhalb der EU dem Projekt kritisch gegenüberstehen. Damit haben auch im Steuerbereich die geopolitischen Realitäten die Überhand gewonnen: Nationale Interessen werden klar höher gewichtet als internationale Steuerharmonisierungsbestrebungen.
Was bedeutet dies für die Schweiz – oder konkreter für die Ostschweiz und unseren Wirtschaftsstandort?
Wir haben einen sehr konkurrenzfähigen Wirtschaftsstandort, sein Erfolg bestätigt dies auch heute noch. Dem ist Sorge zu tragen. Wir befinden uns in der Mitte von Europa, einem Europa, das in Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit vor grossen Herausforderungen steht. Der Standortwettbewerb wird somit klar zunehmen – und die Schweiz muss die eigenen Interessen rigoros verteidigen und die positiven Standortfaktoren weiter schärfen. Dazu gehört ein attraktives Steuersystem. Dieses befindet sich im Umbruch; hier müssen relevante Anreize für Unternehmen angeboten werden können.
Zum Schluss: Welche Vision haben Sie für die Zukunft von EY in der Schweiz und die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens?
Aufgrund des technologischen Fortschritts – allen voran Künstlicher Intelligenz – stehen wir vor fundamentalen Veränderungen. EY Schweiz hat über 3000 bestens ausgebildete Mitarbeiter mit sehr unterschiedlichen nationalen und internationalen Ausbildungen und Erfahrungen. Das Durchschnittsalter bei uns ist 34 Jahre, und wir investieren als globale Firma signifikant in unser Transformations-Know-how. Ich bin also überzeugt, dass wir ideal positioniert sind, um in dieser Phase der Transformation eine tragende Rolle einzunehmen.
Text: Stephan Ziegler
Bild: Marlies Beeler-Thurnheer