Wirtschaftsverbände drücken der Politik ihren Stempel auf

Wirtschaftsverbände drücken der Politik ihren Stempel auf
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Die Wirtschaft leidet unter einem schwindenden Vertrauen in der Bevölkerung – der alte Ruf, dass sich mehr Unternehmer in der Politik engagieren sollen, wird deshalb wieder lauter. Ein Highlight-Text aus der aktuellen LEADER-Printausgabe

Versuchen politische Parteien, Unternehmerinnen und Unternehmer für eine Kandidatur zu gewinnen, bekommen sie vor allem einen, meistens glaubwürdigen Absagegrund zu hören: Keine Zeit.

Einer, der sich die Zeit nimmt, ist Hansjörg Brunner. Als Inhaber der Fairdruck AG in Sirnach beschäftigt er 25 Mitarbeitende, davon drei Lernende. Seit 2013 ist er Präsident des Thurgauer Gewerbeverband und seit letztem Jahr Vorstandsmitglied des Schweizerischen Gewerbeverbands. 2012 wurde das langjährige FDP-Mitglied in den Thurgauer Kantonsrat gewählt, seit 2017 ist er Nationalrat und als solcher Mitglied der Staatspolitischen Kommission. Daraus resultiert ein Arbeitsvolumen, das er mit etwa 60 Prozent beziffert – gemessen an einer «Gewerblerwoche».

Um dieses Pensum bewältigen zu können, musste Hansjörg Brunner seinen Betrieb umorganisieren, die operative Geschäftsführung übertrug er einem langjährigen Mitarbeiter. Und wie so oft in Gewerbebetrieben ist auch die Frau des Patrons eine wichtige Stütze.

Gewählt als Gewerbler

Mit der Frage, ob er als Politiker nun eher Positionen des Gewerbeverbands oder FDP-Anliegen vertrete, führt man Brunner nicht aufs Glatteis: «Ich bin Gewerbler, das wissen die Leute, die mich gewählt haben», sagt er. Abgesehen davon seien die Differenzen ohnehin gering.

Auch wenn es der Wirtschaft noch meistens gelinge, ihre Anliegen durchzusetzen, sei ein Vertrauensschwund bei der Bevölkerung spürbar, räumt Hansjörg Brunner ein. Deshalb sei es wichtig, dass sich Unternehmer in der Politik engagieren: «Wir haben viele wirtschaftsfreundliche Politiker, aber zu wenig echte Unternehmer.» Brunner liefert dazu eine klare Definition: «Unternehmer müssen am Ende des Monats die Löhne ihrer Leute zahlen, sie stehen jeden Tag unter Druck, spüren die soziale Verantwortung.» Solche Politiker wüssten, dass man jeden Franken, den man ausgibt, zuerst verdienen muss.

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Graben zwischen Wirtschaft und Politik

Der damalige Avenir-Suisse-Direktor Gerhard Schwarz ortete 2014, nach der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative, in einem Blog einen Graben zwischen Wirtschaft und Politik: Die Politik empfinde die Wirtschaft als arrogant und unsolidarisch, die Wirtschaft kritisiere bei der Politik ungenügende Führung und mangelnden Sachverstand. Um dieses gestörte Verhältnis zu verbessern, erneuert Schwarz eine früher schon gehörte Forderung: Wirtschaftsführer müssen ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und sich politisch engagieren.

Gewerbler Brunner tut dies, er will mit seinem Engagement der Allgemeinheit etwas zurückgeben. Brunner wünscht sich aber mehr Nachahmer: «Jede und jeder sollte das tun, mindestens für eine Legislatur in einer Schulbehörde, im Kantonsrat oder in anderen Funktionen mitmachen.» Am Stammtisch zu kritisieren und zu fluchen bringe nichts. Man müsse sich dort einbringen, wo man die Probleme lösen könne.

Wesentliche Player auf dem Feld der Wirtschaftspolitik sind die zahlreichen landesweiten und regionalen Verbände. Im Interview mit dem Leader spricht HSG-Politologe Patrick Emmenegger von «wirkungsmächtigen Wirtschaftsverbänden». In der Vergangenheit hätten diese Verbände hervorragend zusammengearbeitet, in jüngster Zeit funktioniere das weniger.

Als Vorstandsmitglied im Schweizerischen Gewerbeverband bestätigt Hansjörg Brunner, dass es durchaus auch Machtspiele zwischen den nationalen Verbänden gebe. «Etwas Säbelrasseln braucht es ab und zu. Wichtig ist es, nachher einen Kompromiss zu finden.»

Im Kanton Thurgau pflegt der Gewerbeverband einen engen Austausch mit der Industrie- und Handelskammer Thurgau und auch mit dem Verband Thurgauer Landwirtschaft – «der Thurgau ist zu klein, um nicht miteinander auszukommen,» meint Brunner.

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Konstruktiver Kurs

Die IHK St.Gallen-Appenzell hat in den letzten Jahren immer wieder auch gerne die Kontroverse gesucht, grundsätzlich verfolge man als Wirtschaftsverband aber einen konstruktiven, chancenorientierten Kurs, betont der neue IHK-Präsident Markus Bänziger, dazu können auch weiterhin provokante Akzente gehören. Zu wirtschaftsrelevanten Themen fasst der Vorstand der IHK eine Parole, bei wichtigen Anliegen fährt er auch eine eigene Kampagne. Aktuell wirbt die IHK für die St. Galler IT-Bildungsoffensive – schliesslich stand sie auch an deren Ursprung: Die IHK übergab 2015 öffentlich einen Check über 200 000 Franken an die HSG. Ziel: Mit einer Machbarkeitsstudie die Chancen eines Studienschwerpunkts Informatik an der Universität auszuloten.

Mit einem solchen Kraftakt Impulse zu setzen vermag auch ein schlagkräftiger Verband wie die IHK St. Gallen-Appenzell nur alle paar Jahre einmal. Manchmal reicht ja auch eine simple Wahlempfehlung, um Schlagzeilen zu produzieren: Für die Ersatzwahl in den Ständerat empfiehlt die IHK mit Regierungsrat Beni Würth einen CVP-Mann und nicht die freisinnige Kandidatin Susanne Vincenz-Stauffacher, worauf es einzelne böse Kommentare absetzte. IHK-Direktor Bänziger, selbst FDP-Mitglied, beschwichtigt: «Auch wenn wir eine freisinnige DNA haben und eine sehr liberal geprägte Institution sind: Wir sind kein Ableger der FDP.»

Die IHK hat für diese Parole einiges an Aufwand betrieben und in separaten Hearings den drei bürgerlichen Kandidaten – eingeladen wurde auch Mike Egger von der SVP – 22 identische Fragen von der Steuerpolitik bis zu den Bilateralen Verträgen gestellt. Gewürdigt wurde die Übereinstimmung mit IHK-Positionen, aber auch, wer mutmasslich in Bern am meisten Wirkung entfalten könne. Dieser Punkt habe dann bei der Mehrheit des Vorstands den Ausschlag für Würth gegeben.

Unterschiedliche Meinungen gibt es auch im Gewerbeverband Thurgau, etwa, wenn es um Themen wie Migration und Ausländer geht. Ein Problem ist das nicht: «Mit Meinungsverschiedenheiten gehen wir relativ locker um,» erklärt Hansjörg Brunner. Wichtige Parolen fasst die Präsidentenkonferenz, der 63 Vertreter von örtlichen Gewerbevereinen oder Branchenverbänden angehören. Entscheidet dieses Gremium anders als der Präsident es sich gewünscht hat, dann übt er bei diesem Thema eben Zurückhaltung und tritt nicht öffentlich auf.

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Direkter Draht

Im Vorstand des Thurgauer Gewerbeverbands sind mehrere Kantonsräte der bürgerlichen Parteien SVP, FDP und CVP vertreten, «natürlich versuchen wir, über den direkten Draht zu den Fraktionen auch Einfluss zu nehmen,» sagt Brunner.

Die IHK St. Gallen-Appenzell hat sich anders aufgestellt. Die kantonale Politik der beiden Halbkantone überlässt sie mehrheitlich der Handels- und Industriekammer Appenzell Innerrhoden und dem Industrieverein von Appenzell Ausserrhoden. Als Bindeglied zur St. Galler Politik nimmt SVP-Fraktionschef Michael Götte bei der IHK die Funktion eines Leiters kantonale Politik wahr. Dies diene vor allem dem gegenseitigen Informationsaustausch, erklärt Markus Bänziger, und natürlich sei Götte im Kantonsrat auch eine Stimme der Wirtschaft.

Die IHK St. Gallen-Appenzell blickt immer auch über die Kantonsgrenzen hinaus, in den letzten Jahren wurde die Zusammenarbeit mit dem Thurgauer Pendant intensiviert. Daraus entstanden Plattformen wie etwa die Eco-Ost-Arena, wo Themen gesetzt werden können, die von der Politik aufgenommen werden. «Als Folge unserer Initiative treffen sich nun regelmässig Vertreter der vier Ostschweizer Kernkantone Thurgau, St. Gallen sowie Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden zu Gesprächen auf Regierungsebene,» betont Bänziger.

Text: Philipp Landmark

Bild: Marlies Thurneer

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