Thurgau

Thurgauer Wirtschaftsinstitut: Entscheide von Menschen verstehen

Thurgauer Wirtschaftsinstitut: Entscheide von Menschen verstehen
Prof. Urs Fischbacher
Lesezeit: 4 Minuten

In Kreuzlingen liegt ein einzigartiges Zentrum der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung: das Thurgauer Wirtschaftsinstitut. Als eines von bald vier An-Instituten wurde es vor gut zwei Jahrzehnten gegründet und hat sich zu einem bedeutenden Akteur auf dem Gebiet der Verhaltensökonomik entwickelt. Doch was macht das TWI so besonders und in welchen Gebieten wird geforscht?

Text: Beni Rachad

Wirtschaftswissenschaften sind oft geprägt von abstrakten Theorien und komplexen Modellen. Doch hinter den Kulissen verbirgt sich eine faszinierende Welt menschlicher Entscheidungsfindung, Psychologie und interkultureller Einflüsse auf wirtschaftliches Verhalten. Das Thurgauer Wirtschaftsinstitut arbeitet in der Verhaltensökonomik, die sich der Erforschung dieser menschlichen Facetten der Wirtschaft verschrieben hat. Im Gespräch mit dem Leiter des Instituts, Prof. Urs Fischbacher, tauchen wir in die Welt der Verhaltensökonomik ein und entdecken, wie das TWI Brücken zwischen Theorie und Praxis schlägt.

Grundlagenforschung in der Verhaltensökonomik

Das TWI hat einen besonderen Status, der es von anderen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten abhebt. Einerseits wird es vom Kanton Thurgau finanziert und ist somit ein integraler Bestandteil der regionalen Forschungsgemeinschaft. Auf der anderen Seite ist es ein An-Institut der Universität Konstanz, was bedeutet, dass es in Lehre und Forschung eng mit der Universität verbunden ist. Diese Verbindung einer regionalen Einrichtung mit einer internationalen Universität ermöglicht es dem TWI, sein Fachwissen sowohl lokal als auch über die Landesgrenzen hinaus zu nutzen und zu teilen.

Mit der Spezialisierung auf Verhaltensökonomik konzentriert sich das TWI darauf, wie Menschen wirtschaftliche Entscheidungen treffen und wie psychologische Faktoren, soziale Normen und kulturelle Unterschiede diese Entscheidungen beeinflussen. Prof. Fischbacher erklärt: «Wir versuchen, wirtschaftliches Entscheidungsverhalten von Menschen zu verstehen; also zu ergründen, wie die Menschen tatsächlich handeln.» Unter anderem wird deshalb im «LakeLab» an der Universität Konstanz erforscht, unter welchen Umständen Menschen kooperieren oder welche Rolle menschliches Schwarmverhalten in der Ökonomie spielt.

 

Die Grenzlage als Standortvorteil

Eine der auffälligsten Eigenschaften des TWI ist seine geografische Lage an der schweizerisch-deutschen Grenze. Diese Grenzlage hat einen erheblichen Einfluss auf die Forschung und ermöglicht eine interkulturelle Perspektive. Professor Fischbacher erklärt dies anhand eines beeindruckenden Experiments zur Untersuchung von Littering-Verhalten in beiden Ländern.

Die Forschenden platzierten Flyer auf Wind- schutzscheiben von Autos, um zu überprüfen, wie oft die Flyer weggeworfen werden. Die Er- gebnisse zeigen, dass es beim Littering weniger darauf ankommt, woher die Leute kommen, sondern wo sie sind. Es gibt in der Schweiz weniger Littering als in Deutschland, aber das liegt daran, dass sowohl Schweizer wie auch Deutsche die Flyer weniger wegwerfen. Dieses Experiment verdeutlicht den Einfluss der Umgebung auf menschliches Verhalten und zeigt, wie die Grenzlage genutzt wird, um relevante Erkenntnisse zu gewinnen.

Wie schafft es das TWI, die Forschungsergebnisse in die Praxis zu übertragen? Die Veröffentlichung von Forschungspapieren in wissenschaftlichen Zeitschriften ist ein wesentliches Element und stösst teilweise auf ein breites (Medien-)Echo. Dies zeigte beispielsweise die Veröffentlichung der Studien von Katrin Schmelz, die sich mit Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit von Massnahmen währen der COVID-Pandemie befassten.

Des Weiteren spielt die Ausbildung der Studierenden eine entscheidende Rolle, da diese schliesslich ihr Wissen in der Wirtschaft anwenden werden. Jährlich organisiert das TWI zudem zwei Foren, die sich an Unternehmen der Region sowie an die Gesellschaft richten. In diesen werden wirtschaftlich und gesellschaftlich relevante Themen sowie Forschungsergebnisse aufgegriffen.

Auch interessant

Der Wohlstand der Schweiz basiert auf stabilen Handelsbeziehungen
Thurgau

Der Wohlstand der Schweiz basiert auf stabilen Handelsbeziehungen

IHK Thurgau will Umdenken bei Finanzstrategie und unterstützt Regierungsrat
Thurgau

IHK Thurgau will Umdenken bei Finanzstrategie und unterstützt Regierungsrat

Bilaterale III: Das grosse Ganze zählt
Ostschweiz

Bilaterale III: Das grosse Ganze zählt

Das Lieblingsexperiment zum Thema Lügen

Im Gespräch erzählt Professor Fischbacher von einem Experiment, das ihm besonders am Herzen liegt: das Lügen-Experiment. Dabei haben die Forschenden untersucht, wie Probanden lügen, wenn sie die Chance dazu haben. Die Teilnehmenden konnten mit einem Würfel Geld verdienen. Je nach Ergebnis erhielten sie Geld (eine 6 gab nichts, von 1-5 stieg der Betrag). Da der Experimentator den Würfelwurf nicht beobachten konnte, konnten die Versuchspersonen lügen, ohne dass der Experimentator herausfinden konnte, ob gelogen wurde.

Die Forschenden stellten fest, dass viele Probanden zwar nicht gerne lügen und auch nicht als Lügner gesehen werden wollen. Dennoch zeigte sich ein interessantes Muster: Die Häufigkeit der gewürfelten Vier war überdurchschnittlich hoch. Dies führte zum Schluss, dass die Probanden zwar nicht maximal schummelten, aber dennoch versuchten, vom Experiment zu profitieren. Diese Erkenntnisse werfen faszinierende Fragen zur Ethik und Psychologie des Lügens auf.

Interdisziplinärer Ansatz in der Forschung

Für das TWI sind spannende Projekte in der Pipeline. Das Institut ist stark in die Universität Konstanz eingebunden und arbeitet derzeit an zwei Clustern, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert werden. Diese Cluster befassen sich mit den Themen Ungleichheit und kollektivem Verhalten. Da die Forschenden am TWI am menschlichen Verhalten interessiert sind, betont Professor Fischbacher die interdisziplinäre Natur der Forschung und die Zusammenarbeit mit Wissenschaftern aus anderen Disziplinen – aus der Psychologie, Biologie oder der Soziologie, die er als sehr wertvoll erachtet.

«Der Kontakt innerhalb des Instituts, aber auch mit internationalen Forschenden sowie der Austausch an der Uni, ist sicher das, was das Leben als Wissenschafter sehr bereichert», so der Professor.

Auch interessant

IHK begrüssen Bestrebungen der Ostschweizer Regierungen zum Internationalen Bodenseeraum
Ostschweiz

IHK begrüssen Bestrebungen der Ostschweizer Regierungen zum Internationalen Bodenseeraum

Wasserstoff: Studie zeigt Handlungsbedarf in der Bodenseeregion
Ostschweiz

Wasserstoff: Studie zeigt Handlungsbedarf in der Bodenseeregion

Ostschweizer Unternehmen planen Teuerungsausgleich
Ostschweiz

Ostschweizer Unternehmen planen Teuerungsausgleich