St.Gallen

Gradmesser für Notlagen

Gradmesser für Notlagen
40 Dozenten und Studenten haben sich an der Movetia Summer School beteiligt
Lesezeit: 3 Minuten

Welche Rolle spielt die Soziale Arbeit in Zeiten globaler Krisen? Welche Auswirkungen haben Zerstörung, Flucht und Armut auf das soziale Miteinander? Wie können Ansätze über die Ländergrenzen hinweg aussehen? Diesen Fragen ging eine internationale Fachtagung nach, die am 8. Juli im Rahmen der Movetia Summer School 2022 an der OST stattfand. Mit dabei waren Dozenten und Studenten aus der Ukraine, Georgien, Albanien und der Schweiz.

Die Stimmung im Hörsaal ist locker, familiär und konzentriert. Bereits eine Woche lang haben die anwesenden Dozenten und Studenten intensiv miteinander gearbeitet, sich in Workshops zu aktuellen Themen der Sozialen Arbeit ausgetauscht und ein abwechslungsreiches Freizeitprogramm miteinander gestaltet.

Das ist spürbar. Stephan Schlenker, Organisator der Movetia Summer School 2022 an der OST, spricht denn auch in seiner Begrüssung von der «Movetia Family».

40 Dozenten und Studenten der Chernihiv Polytechnic National University (Ukraine), der National Universitya Tbilisi (Georgien), der University of Tirana (Albanien) und der Ostschweizer Fachhochschule haben sich vom 4. bis 8. Juli im Rahmen der Movetia Summer School zusammengefunden, um sich dem Thema «Soziale Arbeit in globalen Krisen» anzunähern und aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Schlusspunkt bildet der offene Konferenztag am 8. Juli.

Der lange Weg aus der Ukraine

Den Auftakt zur Schlussveranstaltung machen Studenten-Teams. Sie haben sich mit Themen wie «Migration», «Häusliche Gewalt» und «Innovation und Leadership» beschäftigt und stellen ihre Ergebnisse vor. Ein Team präsentiert Hintergründe, Strategien und Massnahmen zur Migration – ein Thema, das vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine eine besondere Aktualität erhält.

Einige der anwesenden Hochschulangehörigen sind selbst oder in ihrem unmittelbaren Umfeld von Migration betroffen. Für ein konkretes Erlebnis nimmt uns Hanna Dyvnych mit auf ihre Reise. Sie schildert ihren Weg von der Ukraine durch vier Länder zur Konferenz in die Schweiz. Ihr Bericht lässt nachempfinden, was Unterstützungsangebote und eine Willkommenskultur für das Wohlergehen der Menschen bedeuten.

Ein anderes Team hat zu «Domestic Violance» gearbeitet und den Einfluss der Pandemie auf die Entwicklung der häuslichen Gewalt in Georgien und der Schweiz untersucht. In ihrer Posterpräsentation stellen sie erste Ergebnisse ihrer vergleichenden Studie vor.

  

Menschenwürde wahren

Weiter geht es mit Vorträgen, Gesprächen und Workshops. Jeannette Hartman von der Stenden University (Niederlande) spricht über «Social Work in Times of Crises». In einem Projekt mit Sanela Bašić von der University of Sarajevo (Serbien) hat die Wissenschaftlerin erforscht, wie globale Krisen die soziale Situation in den beiden Ländern geprägt und die nationale sozialpolitische Agenda mit je unterschiedlichen Konsequenzen verändert haben.

Ihre Forderung: Soziale Arbeit muss sich neu definieren und Akteurin des politischen Wandels werden – indem sie Einfluss auf die Reorganisation der sozialen Institutionen ausübt, damit die Menschenrechte und die Menschenwürde gewahrt bleiben.

Fachleute der Soziale Arbeit seien «thermometers of pain», so Hartmann. Wie kaum eine andere Profession ist die Soziale Arbeit in ihrem praktischen Tun unmittelbar von den Auswirkungen globaler Krisen wie Krieg, Armut und Flucht betroffen. Deshalb kann und soll sie den öffentlichen Diskurs in der Gesellschaft mitgestalten und ein tieferes Verständnis für Zusammenhänge herstellen.

Die Akteure der Sozialen Arbeit tragen eine Mitverantwortung, um den politischen Diskurs im Sinne einer solidarischen Weltgemeinschaft aktiv mitzuprägen.

«Lebendige Zeugenschaft»

Eine andere Perspektive eröffnet das Gespräch zwischen Stefan Köngeter vom Institut für Soziale Arbeit und Räume der Ostschweizer Fachhochschule und Darja Zaviršek von der Universität Ljubiljana, das als Film eingespielt wird. Hier wird die Bedeutung transnationaler Beziehungen für die Soziale Arbeit deutlich.

Als Vertreterin einer transnationalen Community schildert die slowenische Wissenschaftlerin, wie länderübergreifende Netzwerke dazu beitragen, Fachwissen auszutauschen, Unterstützung zu organisieren und von den Erfahrungen anderer zu profitieren. So konnte die Ukraine beispielsweise bei der Umstellung ihrer sozialen Dienste auf die Kriegssituation von den Erfahrungen aus Israel oder Bosnien lernen.

Länderübergreifende Netzwerke geben besonders in Krisenzeiten eine Art «lebendige Zeugenschaft» über gesellschaftliche Missstände und schaffen eine wirksame Gegenöffentlichkeit gegen Fake News und nationalistisch eingefärbte Propaganda.

Die Summer School hat sich zum Ziel gesetzt, die Konzepte der Sozialen Arbeit im Kontext sozialer Wandlungsprozesse neu zu denken. Ein nächster Schritt soll ein internationales Netzwerk «University of Change» sein, das sich regelmässig in einem der beteiligten Länder trifft.

Vorgesehen ist, die bestehenden bilateralen Kooperationen im Rahmen von Studienreisen und Projekten weiterzuführen.

«Die Internationalisierung des Departements Soziale Arbeit wird der neuen Entwicklung einen grossen Schub verleihen», ist Stephan Schlenker überzeugt. «Mehr englischsprachige Angebote und mehr Studenten, die ein Semester im Ausland verbringen – das wird die internationale Ausrichtung und Vernetzung der OST voranbringen.» Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist mit der Summer School getan.

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