«Das Alter wird überbewertet»

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Ältere Mitarbeiter werden durch den Fachkräftemangel immer wichtiger. Trotzdem sind die Chancen für über 50-Jährige auf dem Arbeitsmarkt oft schlecht. Ein Pilot-Workshop mit dem Coach Christoph Thoma auf dem Lilienberg hat gezeigt, dass ältere Mitarbeiter jungen Kollegen in manchen Punkten sogar überlegen sind – sofern Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein paar Faktoren beachten.

Wenn es ernst wird, sind über 50-Jährige oft die Ersten, die entlassen werden. Teuer, unflexibel und mitunter schwer zu führen, lauten die häufigsten Vorurteile. Dann kommen Leute wie Antonio Meli zum Zug. Meli leitet das Team Arbeitgeberservice beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum Thurgau (RAV). Viele Menschen, die er wieder in Lohn und Brot bringen soll, sind über 50. «Das ist nicht immer einfach.» Nicht alle seien wirklich offen. Das eigentliche Problem seien jedoch die Unternehmen: «Wir können nur selten Leute vorschlagen, die über 50 sind.»

Die richtige Person für den richtigen Job

Schuld sind Vorurteile. Melis Wunsch an Personalverantwortliche: «Schaut euch die Leute über 50 wenigstens an. Sie haben oft spannende Hintergründe.» Ein Mitarbeiter über 50 will zudem meist bleiben. «Das gibt auch eine gewisse Planungssicherheit.» Doch viele Stellenprofile beginnen nicht mit den Anforderungen, sondern mit dem Alter. «Das Alter wird im Anforderungsprofil absolut überbewertet. Wichtiger ist die richtige Person für den richtigen Job.»

Meli war einer der Teilnehmer beim Pilot-Workshop zum Thema ältere Arbeitnehmer vom 1. Dezember im Unternehmerforum Lilienberg in Ermatingen TG. Er weiss, dass es viele über 50-Jährige gibt, die es nochmals wissen wollen. Hat der Personalverantwortliche des Unternehmens selbst ein gewisses Alter, ist ein Wiedereinstieg möglich. Doch bei jungen Chefs haben ältere Bewerber schlechte Karten.

Chefwechsel als Hauptproblem für ältere Mitarbeiter

«Grösste Gefahr für Ältere ist ein Chefwechsel», bestätigt Christoph Thoma, der den Workshop leitet. «Vor allem, wenn Jüngere ans Ruder kommen.» Auch Peter Leumann, Leiter des RAV Thurgau, fordert ein Umdenken. Das Thema werde aber auch durch Medien und in der Öffentlichkeit aufgeblasen. «Die Leute lesen, dass sie keine Chance mehr haben, und glauben das dann.»

Tatsächlich gibt es echte Hürden: Langjährige Unterbrechungen ohne berufliche Fort- und Weiterbildung, geringe Job-Mobilität oder lange, gleichbleibende Aufgabenstellungen. Hier hilft nur Weiterbildung. Dabei sind nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Chefs und Teamleiter gefragt, so Thoma. Schliesslich sei es in ihrem Interesse, die Arbeitsfähigkeit ihrer älteren Angestellten zu erhalten.

In der Klinik Schloss Mammern gehört die Mitarbeiterentwicklung daher bereits zu den strategischen Unternehmenszielen, berichtet Personalchefin Flandrina von Salis. «Ich erwarte von meinen Abteilungsleitern, dass sie ihre Mitarbeiter weiterbilden.»

750 Franken haben die Angestellten im Ekkharthof, einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung in Lengwil TG, jedes Jahr für Weiterbildungen frei zur Verfügung. Ob sie das Geld berufsbezogen oder einfach nur für einen Kochkurs nutzen, sei ihnen überlassen, sagt Leiter Jürg Bregenzer. Seiner Meinung nach lohnt es sich, in ältere Mitarbeiter zu investieren. Sie seien oft zuverlässiger. Von den 250 Angestellten sind 125 über 50.

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Ältere als Fels in der Brandung

Weiterbildung erfolgt nicht nur in Seminaren. Auch ein Projekt, die Lektüre eines Fachbuches oder Expertengespräche halten fit, sagt Coach Christoph Thoma. Wichtig ist die Haltung, offen für Neues zu sein. Denn ältere Mitarbeiter seien nicht weniger leistungsfähig. Muskelkraft, die Beweglichkeit oder die Geschwindigkeit, Informationen zu verarbeiten, lassen zwar nach. Dafür werden andere Fähigkeiten ausgeprägter: Urteilsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Gelassenheit, Konfliktfähigkeit, soziale Kompetenz.

Manche Branchen machen sich das gezielt zunutze. «Im Sozialbereich ist auch der ältere Mitarbeiter gesucht», sagt Jean-Luc Villing von der Stiftung Säntisblick in Degersheim SG. «Ältere Angestellte bringen auch Wärme mit.» Auch die Zuverlässigkeit der Älteren sei oft grösser. Von den 110 Mitarbeitern in seinem Betrieb seien 36 über 50.

«Ältere können ein Fels in der Brandung sein. Aber nur, wenn die Arbeitsfähigkeit gut ist», sagt Thoma. «Ohne Engagement nimmt die Arbeitsfähigkeit ab», erklärt er. Stellschrauben für eine möglichst gute Arbeitsfähigkeit der älteren Angestellten sind die Arbeitsbedingungen: Vorgesetzte können bei Bedarf Aufgaben, Arbeitsvolumen und mitunter sogar Arbeitszeiten anpassen und steuern, zum Beispiel wie Mitarbeiter bei der Schichtarbeit eingesetzt werden. Mitsprache oder ein gutes Betriebsklima senken den Stresslevel. Auch das ist wichtig, denn ältere Angestellte sind oft etwas empfindlicher.

«Ich weiss, was ältere Mitarbeiter leisten können», sagt von Salis. Dennoch kommt die Klinik Mammern älteren Mitarbeitern etwa im Nachtdienst entgegen. Tagsüber wollen viele ältere Angestellte später anfangen, Jüngere sind gerne früher fertig, damit sie noch in den Ausgang gehen oder sich um ihre Kinder kümmern können. «Wir setzten deshalb auf gemischte Teams.»

Ein Problem ist der Stress. Ruhige Phasen mit wenig Patienten gibt es kaum noch. Vor allem ältere Kollegen haben Probleme damit, dass man nicht mehr richtig durchatmen kann. «Vielleicht muss man dafür andere Formen finden?», fragt Christoph Thoma. Er bietet als Teil des Workshops an, im Betrieb vorbei zu kommen. Der Coach weiss, dass sich die Mühe lohnt. Denn am Ende profitieren Arbeitnehmer und Betrieb. Mit der Arbeitsfähigkeit steigen nicht nur Motivation und Produktivität. Auch der Rückgang von Frühpensionierungen und Fluktuation schlagen positiv zu Buche.

Auf dem Bild von links: Antonio Meli, Peter Leumann (beide RAV Frauenfeld), Jürg Bregenzer (Ekkharthof), Flandrina von Salis (Klinik Schloss Mammern) und Jean-Luc Villing (Stiftung Säntisblick).