Thurgau

Die Thurgauer FDP meldet sich zurück

Die Thurgauer FDP meldet sich zurück
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Die Ständeratsvertretung des Thurgaus ist eigentlich geklärt: Ein Sitz «gehört» ohnehin der SVP, seit einer Legislatur in Person des früheren Regierungsrats Jakob Stark. Für den Nationalrat versucht die FDP 2023, im Verbund mit der Mitte und der EVP ihren Sitz zurückzuerobern, links haben sich SP, Grüne und Grünliberale zusammengeschlossen. 

Ständerat

Ausgangslage: Die Ständeratsvertretung des Thurgaus ist eigentlich geklärt: Ein Sitz «gehört» ohnehin der SVP, seit einer Legislatur in Person des früheren Regierungsrats Jakob Stark. Solange Brigitte Häberli-Koller will, geht der zweite Sitz an die CVP bzw. nun die Die Mitte. Die Ständeratspräsidentin 2022/2023 hat zwar das Pensionsalter erreicht, sie tritt aber noch einmal an – es heisst, sie wurde von ihrer Partei gedrängt, eine Amtsperiode anzuhängen. Für Stark wird es die zweite Amtszeit werden, auch er wird, mit demselben Jahrgang 1958 wie Häberli, in vier Jahren dann kaum mehr antreten.

Mit Kantonsrätin und IHK-Präsidentin Kristiane Vietze schickt die FDP eine Frau ins Rennen, die dieses Mal noch das Nachsehen haben wird – wenn in vier Jahren die Karten neu gemischt werden, aber vielleicht als amtierende Nationalrätin angreifen kann. Die Kandidatur von GLP-Präsident Stefan Leuthold gilt wie bei Vietze primär der Profilierung in der Nationalratswahl. Ein Ständeratssitz wird für die GLP im Thurgau ausser Reichweite bleiben.

Insgesamt gibt es sechs offiziell gemeldete Kandidaturen: Die Parteilose Gabriela Coray trat schon öfter für verschiedenste politische Ämter an, sie hat ebenso wenig Chancen wie Robin Spiri, der mit einem kruden Programm als «Aufrecht» antritt.

Brigitte Häberli-Koller (Die Mitte), Jakob Stark (SVP)
Brigitte Häberli-Koller (Die Mitte), Jakob Stark (SVP)

Prognose: Brigitte Häberli-Koller und Jakob Stark werden klar im Amt bestätigt. Kris Vietze wird auf dem dritten Platz liegen, ohne die beiden Amtsinhaber zu sehr zu bedrängen. Die weiteren Kandidaten machen zu wenig Stimmen, um das Absolute Mehr so hochzuschrauben, dass ein zweiter Wahlgang nötig würde. Die Strategen von SVP und CVP müssen sich heute keine Sorgen machen, aber bereits Pläne für 2027 schmieden. Bei der SVP gibt es eine Reihe von Köpfen, die in die Bresche springen können. Bei der Mitte steht ein Generationenwechsel an, denn auch Christian Lohr, der seine vierte Amtszeit im Nationalrat anstrebt, ist dannzumal im Pensionsalter.

Ergebnis: Brigitte Häberli-Koller und Jakob Stark werden im ersten Wahlgang gewählt.

 

Nationalrat

Ausgangslage: Vor vier Jahren verstand die Thurgauer FDP die Welt nicht mehr: Ihr amtierender Nationalrat Hansjörg Brunner wurde abgewählt. Es zeigte sich einmal mehr, dass Listenverbindungen im Thurgau veritable Wundertüten sein können. Die «Thurgauer Zeitung» analysierte nach den Wahlen, dass die FDP mit leichten Verlusten letztlich der Listenpartnerin SVP, die ihrerseits deutlich einbüsste, den dritten Sitz rette, selbst aber leer ausging. Wäre die FDP eine Listenverbindung mit CVP, BDP und EVP eingegangen, hätte sie den Sitz gesichert, die SVP hätte nur noch zwei Mandate gehabt, wie die TZ ausrechnete.

«Wer mit wem?» ist vor Eidgenössischen Wahlen in Thurgau darum eine Standardfrage, welche Folgen die jeweiligen Zweckbündnisse haben, ist dann schon Orakeln für Fortgeschrittene.

Die FDP versucht 2023, im Verbund mit der Mitte und der EVP ihren Sitz zurückzuerobern, links haben sich SP, Grüne und Grünliberale zusammengeschlossen. «Aufrecht» macht mit der EDU gemeinsame Sache. Dazu kommen Unterlistenverbindungen innerhalb der jeweiligen Familie. Die kann zuweilen unübersichtlich gross sein: Die Mitte hat nicht weniger als elf eigene Listen eingereicht, auch die GLP will ihr Glück mit einer Kandidatenflut erzwingen und hat acht Listen aufgestellt. Die Überlegung: Möglichst in jedem Dorf einen Kandidaten zu haben, der auch noch ein paar Stimmen von Bekannten generiert.

Die drei Parteien im links-grünen Lager holen normalerweise zwei Sitze, die GLP, die sich auch im Thurgau als klar links outet, ging 2019 leer aus. Als Trostpflästerli wird nun ihr – aussichtsloser – Ständeratskandidat Stefan Leuthold von der SP offiziell unterstützt. Bei den Grünen tritt der bisherige Nationalrat Kurt Egger noch einmal an; die SP dagegen muss ihre langjährige Nationalrätin Edith Graf-Litscher ersetzen, die seit 2005 in Bern wirkte.

Einen Rücktritt gibt es auch bei der SVP: Die Bisherigen Diana Gutjahr und Manuel Strupler treten wieder an, die 2013 für Peter Spuhler nachgerückte Verena Herzog, die mit einem ultrakonservativen Familienbild auffiel, ist nicht mehr auf der Liste. Wer hier den dritten Platz macht, muss hoffen, dass die Partei auch den dritten Sitz verteidigt, was schwierig wird. Ein Nachrücken in den nächsten vier Jahren ist unwahrscheinlich, Gutjahr und Strupler dürften ihre Legislatur durchziehen.

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Diana Gutjahr, Manuel Strupler (SVP)
Diana Gutjahr, Manuel Strupler (SVP)

Bei der Mitte wird es Christian Lohr noch einmal richten, er war 2019 erneut der «Panaschierkönig» und holte am meisten Stimmen auf parteifremden Listen (Die Plätze zwei und drei in diesem Ranking sicherten sich Diana Gutjahr und Edith Graf-Litscher.). Auf der Mitte-Liste wird sich hinter Christian Lohr die künftige Hierarchie der Thurgauer Mitte herauskristallisieren: Jene Köpfe, die beim nächsten Mal Häberli und Lohr beerben könnten.

Die FDP hat für ihr Comeback in Bern eine starke Hauptliste komponiert, auf der sich der frühere Nationalrat Hansjörg Brunner, der Präsident des Thurgauer Gewerbeverbands, und die FDP-Frau der Stunde, Kris Vietze, die neue Präsidentin der Thurgauer IHK, um den ersten Platz balgen werden. Hinter ihnen werden der Amriswiler Stadtpräsident und Kantonsrat Gabriel Macedo, Kantonsrätin Michèle Strähl, der Romanshorner Stadtrat Philipp Gemperle und der Unternehmer Thomas Leu die weiteren Plätze ausmachen.

Kleinere Parteien wie die EVP und die EDU haben selbst keine Chancen, die EVP liefert Stimmen für die Mitte, die EDU hat sich der politischen Long-Covid-Erscheinung «Aufrecht» angeschlossen. Aus derselben Ecke kommt die Liste «Mass-Voll», die angeführt wird von der früheren Kantonsrätin Barbara Müller, die 2022 von der SP ausgeschlossen wurde. Auch im Thurgau sind die beiden Listen aus dem Milieu der Corona-Schwurbler nicht verbunden.

Insgesamt stellen sich den Wählern auf 36 Listen nicht weniger 210 Nationalratskandidaten. Nur sechs fahren dann auch nach Bern.

Christian Lohr (Die Mitte), Kris Vietze (FDP)
Christian Lohr (Die Mitte), Kris Vietze (FDP)

Prognose: Die SVP hat vor vier Jahren mehr als drei Prozent verloren und dennoch ihren dritten Sitz behauptet: Mit einem Drittel der Stimme holte sie die Hälfte der Mandate. Nun dürften die Vorzeichen anders lauten: Die SVP wird nicht zuletzt dank der omnipräsenten Diana Gutjahr ihren Wähleranteil wieder ausbauen – aber den dritten Sitz verlieren. Im Nationalrat verbleiben die Bisherigen Gutjahr und Strupler. Dahinter platziert sich der Weinfelder Kantonsrat Pascal Schmid.

Der verlorene SVP-Sitz geht zurück an die FDP; die Allianz FDP-Mitte wird zwei Sitze erobern, ein Sitz geht wieder an die frühere CVP und Christian Lohr. Hinter dem Bisherigen werden sich Landwirt und Kantonsrat Josef Gemperle und Mitte-Präsidentin Sandra Stadler einreihen. Gemperle holte sich schon mehrfach unangefochten den zweiten Platz, der «Klima-Landwirt» und Kantonsrat ist mit Jahrgang 1960 aber eher nicht mehr die Zukunft der Mitte im Thurgau.

Bei der FDP verspricht der Kampf um Platz eins ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Hansjörg Brunner und Kris Vietze. Brunner dürfte am Anfang der Auszählung vorn liegen, Vietze wird mit den grösseren Gemeinden und Städten aufholen und vermutlich am Schluss die Nase vorn haben. So oder so wird die FDP-Fraktion wieder mit Thurgauer Wirtschaftskompetenz verstärkt. Gabriel Macedo sichert sich den dritten Platz auf der FDP-Liste.

  
Kurt Egger (Grüne), Nina Schläfli (SP)
Kurt Egger (Grüne), Nina Schläfli (SP)

Die links-grüne Zweckgemeinschaft wird erneut zwei Sitze holen. GLP und Grüne werden wie im nationalen Trend etwas verlieren, die GLP wird es nicht schaffen, die gut 2,5 Prozent Rückstand zu den Grünen 2019 nun in einen Vorsprung zu verwandeln. Somit gehen die Sitze wieder an die Grünen mit dem Bisherigen Kurt Egger und an die SP. Und da wäre alles andere als eine deutliche Wahl der Kantonsrätin und früheren Parteipräsidentin Nina Schläfli eine Überraschung. Sie lag vor vier Jahren zwar deutlich hinter Edith Graf-Litscher, aber ebenso deutlich vor allen anderen. Offen ist nur, wer sich hinter ihr platziert, ein naheliegender Tipp ist Barbara Dättwyler Weber; die Frauenfelder Stadträtin war 2022/2023 auch Präsidentin des Thurgauer Grossen Rats.

Bei der GLP machen den Sieg ohne Belohnung der langjährige Mastermind der Partei, Ueli Fisch, und der heutige Parteipräsident Stefan Leuthold unter sich aus. Bei den Grünen dagegen kann man den Sitz halten; der bisherige Kurt Egger fährt wieder nach Bern. Da ein vorzeitiger Rücktritt des 67-Jährigen denkbar wäre, ist der zweite Platz auf der Liste besonders attraktiv. Der Zieleinlauf 2019 lautete Peter Dransfeld vor Sandra Reinhart, dieses Mal könnten die Podestplätze wechseln.

Die Kleinparteien und die im Corona-Dunst entstandenen Bewegungen werden leer ausgehen. Für einen Sitz braucht es 2023 wohl auch bei günstigsten Konstellationen einen mindestens zweistelligen prozentualen Wähleranteil, das schaffen diese Gruppierungen nicht.

Ergebnis: Gewählt werden Diana Gutjahr, Manuel Strupler (SVP), Christian Lohr (Die Mitte), Kris Vietze (FDP), Nina Schläfli (SP), Kurt Egger (Grüne).

Text: Philipp Landmark

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