Wirtschaft

«Das Zeitalter der Arbeitgeber ist vorbei»

«Das Zeitalter der Arbeitgeber ist vorbei»
Jo Dietrich
Lesezeit: 5 Minuten

Das Wirtschaftsmagazin «Forbes» zählt ihn zu den vielversprechendsten «30 unter 30» der Schweiz: Der Eggersieter Jo Dietrich gilt als Sprachrohr für die Generation Z. Sein Unternehmen Zeam, das er mit seiner Frau Yaël Meier führt, wächst seit zwei Jahren rasant, indem es Firmen dabei hilft, die Jungen zu erreichen. Der Keynote-Speaker des WTT Young Leader Awards 2022 ist sich sicher: Wer sich nicht um die Generation Z bemüht, steht bald vor – gröberen – Problemen.

Jo Dietrich, die Idee von Zeam ist es, eine Brücke zwischen Unternehmen und der Generation Z zu bauen. Wie angewiesen ist der Arbeitsmarkt überhaupt auf diese Generation?
Sehr – und dafür gibt es zwei Gründe. Der eine ist statistischer Natur: Wenn wir uns das Bevölkerungswachstum anschauen, dann sehen wir, dass in den nächsten zehn Jahren 30 Prozent mehr Menschen in Rente gehen, als neu in den Arbeitsmarkt eintreten. Der zweite Grund ist ein kultureller: Die Generation Z ist besser ausgebildet, digital fitter und mit der voranschreitenden Digitalisierung für sehr viele Unternehmen begehrt. Doch noch nie haben so viele Junge Kündigungen eingereicht wie letztes Jahr. Und rund 40 Prozent wollen innerhalb der nächsten zwei Jahre den Arbeitgeber wechseln.

Homeoffice, Remote Work, mehr Freizeit: Boomers sagen, dass die neue Generation auf dem Arbeitsmarkt einfach faul sei.
Und ich sage, dass sie gesund ist. In der Schweiz geniesst man als Arbeitgeber extrem viele Vorteile, aber das Zeitalter des Arbeitgebers ist vorbei. Arbeitnehmer können es sich leisten, Ansprüche zu stellen. Ein glücklicher Mitarbeiter sollte das wichtigste Produkt jedes Arbeitgebers sein. Unsere Generation nimmt sich es heraus, glücklich zu sein – und das darf sie auch!

Was unterscheidet denn die Gen Z so sehr von anderen Generationen, dass sich ein ganzer Arbeitsmarkt darauf einstellen muss?
Gen Z sind Digitale Natives, sie sind mit der Digitalisierung gross geworden. Von klein auf vergleichen sie sich nicht mit den Menschen aus dem Dorf, sondern aus der ganzen Welt – dank Smartphones und Sozialen Medien. Dies hat den positiven Effekt, dass man internationale Inspiration erhält. Man kennt den Benchmark von Gleichaltrigen, vergleicht sich branchenübergreifend und hat dementsprechend auch andere Anforderungen.

  

Sich ständig mit der ganzen Welt vergleichen … Ist das nicht anstrengend?
Natürlich kann das auch negative Auswirkungen haben. Der stetige Vergleich kann zu Unzufriedenheit und extremem Druck führen.

In vielen Branchen wird der Fachkräftemangel immer deutlicher. Hat man in der Schweiz den Zug verpasst, junge Leute für sich zu gewinnen?
Ich bin überrascht, wie wenigen Unternehmen das Ausmass des Problems bewusst ist. Lange ging man davon aus, dass irgendwann Maschinen die Arbeitskräfte ersetzen werden, doch es kam offensichtlich nicht so. Der Flugverkehr bricht zusammen, weil Stewardessen fehlen, Restaurants müssen schliessen, weil sie keine Köche finden, Maschinen müssen abgestellt werden, weil keiner da ist, um sie zu bedienen. Das Problem von fehlendem Personal ist akut, und es wird höchste Zeit, dass man sich als Unternehmen überlegt, wie man dagegen vorgeht. Wir erhalten derzeit sehr viele Anfragen von grossen Konzernen – vor allem auch aus Deutschland. Da ist das Problem scheinbar noch akuter, da sie nicht ein gleich starkes duales Bildungssystem haben wie wir in der Schweiz.

Die Arbeitsbedingungen etwa in der Gastrobranche entsprechen nicht gerade den Ansprüchen der Gen Z. Wie kann ein Betrieb trotzdem attraktiv für die jungen Leute werden?
Das stimmt. Die Arbeitszeiten sind sehr antizyklisch: Man arbeitet dann, wenn die Freunde frei haben – also an Wochenenden und am Abend. Zudem weiss man, dass in der Gastrobranche ein ruppiger Ton herrscht und die Bezahlung bescheiden ist. Nichtsdestotrotz lebt die Branche von Herzblut; das ist ihr USP. Genau da muss man ansetzen: Den eigenen Vorteil erkennen und herausstreichen, perfekt darin werden.

«Ich bin überrascht, wie wenigen Unternehmen das Ausmass des Problems bewusst ist.»

Das heisst konkret?
In Zürich gibt es eine Cafékette, das seinen Mitarbeitern sehr viele Benefits bietet. So können die Freunde von Angestellten einen Gratis-Kaffee trinken. Der Umgang ist sehr freundschaftlich, das spricht sich herum. Ich kenne viele, die dort arbeiten möchten. Die Gastroszene lebt von der Menschlichkeit, von der Vernetzung; darauf muss man aufbauen! Manchmal braucht es gar keine grossen Veränderungen.

Kürzlich führte ein St.Galler Coiffeurgeschäft das Vier-Tage-Modell ein. Es wurde mit Bewerbungen überhäuft. Überrascht?
Nein. Ähnlich wie die Gastrobranche kann ein Coiffeur mit der Menschlichkeit punkten und damit, dass er seinen Mitarbeitern mehr Raum für die persönliche Entfaltung lässt. Für die Gen Z ist es üblich, dass man nebenbei noch einer anderen Tätigkeit nachgeht. Da wird natürlich so ein Vier-Tages-Modell sehr geschätzt – und der Coiffeur macht sich als Arbeitgeber interessant, weil es in seiner Branche wenige gibt, die das anbieten.

Welche Unternehmen machen es bereits gut?
Die Swisscom scheint einen guten Job zu machen. Auf 250 Lehrstellen erhalten sie 8000 Bewerbungen. Sie bieten Teilzeit, Gleitzeit, Jahresarbeitszeit, mobiles Arbeiten, Homeoffice und Remote Office an. Zudem ist es möglich, bis zu zehn zusätzliche Ferientage zu erwerben, und Stellen werden wenn möglich mit 60 bis 100 Prozent ausgeschrieben. Und jetzt haben sie gerade Schulzeugnisse für die Bewerbung abgeschafft.

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Gemeinsam mit dem Sozial- und Marktforschungsinstitut Link hast Du eine Studie zu diesen Themen veröffentlicht. Was war der Antrieb?
Es gab zwar Studien zu diesem Thema, aber sie waren nicht praxisorientiert. Da steht dann etwa drin, dass Whatsapp das grösste Soziale Medium sei … Dabei ist es ein Kommunikationskanal. Eine repräsentative Studie mit mindestens tausend Befragten zur Generation Z fehlte. Deshalb haben wir uns mit dem führenden Marktforschungsunternehmen Link zusammengetan und brachten unser Know-how ein. Entstanden ist etwas wirklich Einzigartiges.

Welche Ergebnisse waren überraschend?
Dass die Ergebnisse so deutlich sind, hätte ich nicht gedacht. Beispielsweise was die Veränderungen im Marketing anbelangen: Junge werden nicht mehr über Werbespots oder Zeitungsinserate erreicht, sondern über Kanäle wie Instagram und LinkedIn. 25 Prozent der 21- bis 27-Jährigen sind auf LinkedIn. Das hört sich erst mal nicht nach viel an, aber wenn man bedenkt, was für Leute das sind, dann kann man diese doch sehr fokussiert ansprechen.

Wie blickt Ihr mit Zeam in die Zukunft?
Wir haben derzeit extrem viel zu tun, erhalten viele Anfragen. Auch wenn es uns erst seit zwei Jahren gibt, sind wir stolz, auf das, was wir bereits geleistet haben. Wir wollen uns ein nachhaltiges Unternehmen aufbauen, das die Bedürfnisse der jungen Leute kennt, weil sie mit an Bord sind. Ausserdem möchten wir der attraktivste Arbeitgeber für junge Talente sein.

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