LEADER-Hauptausgabe

«Emotionale Intelligenz ist eine Führungsstärke»

«Emotionale Intelligenz ist eine Führungsstärke»
Tobias Wolf
Lesezeit: 4 Minuten

Beim KMU-Tag 2025 drehte sich alles um das Thema «KMU bewegen – Power of Emotions». Im Interview erklärt Initiator Tobias Wolf, warum Emotionen in der Führung heute wichtiger sind denn je, welche Erkenntnisse die aktuelle Studie geliefert hat und weshalb Schweizer KMU im Fühlen Nachholbedarf haben.

Tobias Wolf, der KMU-Tag 2025 stand unter dem Motto «KMU bewegen – Power of Emotions». Warum fiel die Wahl auf dieses Thema?
Die zunehmende Unruhe in Politik und Technologie bewegt viele KMU. Emotionale Intelligenz (EI) wird dabei immer mehr zur entscheidenden Führungskompetenz. Wir reden oft über Zahlen, Strategien und Technologien, aber selten über das, was Menschen wirklich antreibt. Dabei sind es Emotionen, die Motivation, Vertrauen und Kreativität überhaupt erst ermöglichen.

Sie haben die Ergebnisse der diesjährigen KMU-Tag-Studie präsentiert. Was war das zentrale Ziel dieser Untersuchung, und was hat Sie persönlich an den Resultaten überrascht?
Unser Ziel war es, herauszufinden, wie Emotionen heute konkret in Führung und Unternehmenskultur von KMU gelebt werden und wie stark sie tatsächlich den Erfolg beeinflussen. Überrascht hat mich die grosse Lücke zwischen Bewusstsein und Umsetzung: Fast alle Führungskräfte erkennen die Bedeutung emotionaler Intelligenz an, aber nur rund vier Prozent der Unternehmen setzen sie gezielt als Führungsinstrument ein. Das zeigt: Wir wissen, dass Emotionen wichtig sind, aber wir wissen oft noch zu wenig, wie man sie bewusst in die Führung integriert.

Über 70 Prozent der befragten Führungskräfte sehen Emotionen heute als deutlich wichtiger an als noch vor zehn Jahren. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Je unvorhersehbarer die Welt wird, desto mehr suchen Menschen emotionale Orientierung. Früher konnten wir Stabilität planen, heute müssen wir sie gestalten – Tag für Tag. Emotionen sind dabei wie ein innerer Kompass. Sie helfen uns, Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen, Vertrauen zu schaffen und Sinn zu stiften. Rationalität ist notwendig, aber Emotionen geben ihr Richtung.

frifag  Geldanlage  

«Schweizer KMU sind stark im Machen, aber zurückhaltend im Fühlen.»

Gleichzeitig zeigt die Studie, dass sich 80 Prozent der Mitarbeiter auf unteren Führungsebenen nur schwach emotional ans Unternehmen gebunden fühlen. Wo sehen Sie die Hauptgründe dafür?
Emotionale Bindung entsteht durch gemeinsame Zeit, echten Austausch und gegenseitige Wahrnehmung. In Zeiten von Home-Office und Digitalisierung, wo spontane Begegnungen seltener werden, nimmt auch die emotionale Nähe ab. Wenn Emotionen im Arbeitsalltag keinen Platz haben, entsteht Distanz – und genau das spüren die Mitarbeiter.

Welche konkreten Massnahmen können KMU ergreifen, um die emotionale Bindung ihrer Teams zu stärken?
Es beginnt mit Zuhören – nicht als Technik, sondern als Haltung. Wer versteht, was Mitarbeiter bewegt, kann gezielter führen und Vertrauen aufbauen. Zweitens sollten Emotionen sichtbar gemacht werden, etwa durch Feedbackrituale, Teamreflexionen oder das bewusste Feiern von Erfolgen. Und drittens sollten Führungskräfte lernen, über Gefühle zu sprechen, ohne dass es esoterisch wirkt. Emotionale Intelligenz ist keine Schwäche, sie ist eine Führungsstärke.

Wie gut gelingt es Schweizer KMU heute, Emotionen als Führungsinstrument einzusetzen, und wo besteht Nachholbedarf?
Schweizer KMU sind hervorragend im Machen, aber zurückhaltend im Fühlen. Sie leben Nähe und Verantwortung oft intuitiv, aber selten reflektiert. Die Kunst besteht darin, das Intuitive bewusst zu machen – Emotionen nicht dem Zufall zu überlassen, sondern sie als strategische Ressource zu verstehen. Emotionale Kompetenz ist wie Muskelkraft: Sie wächst durch Übung, nicht durch Theorie.

 

«Emotionale Kompetenz wächst durch Übung, nicht durch Theorie.»

Der KMU-Tag lebt auch von Persönlichkeiten wie André Lüthi, Thomas Borer oder Joey Kelly. Welche Impulse aus diesen Referaten nehmen Sie besonders mit?
Jeder hat einen anderen Aspekt betont, und das war das Schöne. André Lüthi hat gezeigt, dass Reisen immer auch eine Reise zu sich selbst ist – das spürt man auch in seinem Buch, das er zusammen mit Frank Baumann geschrieben hat. Thomas Borer hat deutlich gemacht, wie stark Emotionen auch die Politik prägen und warum Rationalität allein nie genügt. Und Joey Kelly war pure Energie. Er verkörpert, was passiert, wenn Leidenschaft auf Disziplin trifft. Diese Mischung aus Kopf, Herz und Tatkraft – das ist für mich der Spirit des KMU-Tags.

Viele KMU stehen heute nicht nur vor emotionalen, sondern auch geopolitischen Herausforderungen. Wie beeinflussen diese Faktoren die Führungsrealität in Schweizer Unternehmen?
Führung findet immer im Spannungsfeld von Fakten und Emotionen statt. Wir können die Krisen der Welt nicht kontrollieren, aber wir können steuern, wie wir ihnen begegnen. Mitarbeiter erwarten heute keine unfehlbaren Chefs, sondern glaubwürdige Menschen. Authentizität schafft Vertrauen – und Vertrauen ist in unsicheren Zeiten die stabilste Währung, die ein Unternehmen besitzen kann.

Der KMU-Tag versteht sich als Netzwerkplattform. Welche Rolle spielt dieser persönliche Austausch in einer zunehmend digitalen Welt?
Wir haben in den letzten Jahren gelernt: Ein Video-Call ersetzt keinen Händedruck. Digitale Tools mögen effizient und zeitsparend sein, aber Emotionen entstehen in Begegnungen – im echten Gespräch und hoffentlich auch im gemeinsamen Lachen. Darum ist der KMU-Tag mehr als eine Tagung, er ist ein Ort der Inspiration und des Austauschs.

Wenn Sie bereits heute einen Blick auf 2026 werfen: Welche Themen werden aus Ihrer Sicht an Bedeutung gewinnen?
Die Unsicherheit wird auch 2026 nicht kleiner. Sowohl die geopolitische Lage als auch der technologische Wandel und der Generationenwechsel in vielen KMU werden uns weiter beschäftigen. Wir werden uns zudem stärker mit Fragen von Abhängigkeit, Freiheit und der Sicherung unseres Wohlstands auseinandersetzen müssen. Was uns 2026 wirklich bewegen wird, bleibt offen – das Thema legen wir im Frühjahr fest.

Text: Patrick Stämpfli

Bild: Marlies Beeler-Thurnheer

Auch interessant

KMU zwischen Leidenschaft und Leadership
St.Gallen

KMU zwischen Leidenschaft und Leadership

«Made in Sennwald» bleibt das Erfolgsrezept
Wirtschaft

«Made in Sennwald» bleibt das Erfolgsrezept

KMU-Tag 2025: «KMU bewegen – Power of Emotions»
St.Gallen

KMU-Tag 2025: «KMU bewegen – Power of Emotions»

Schwerpunkte