Wirtschaft

Wer attraktive Lehrstellen schafft, gewinnt

Wer attraktive Lehrstellen schafft, gewinnt
Lesezeit: 4 Minuten

Der Lehrlingsmangel beschäftigt die Ostschweizer Wirtschaft. Nicht zuletzt könnte dies den Fachkräftemangel in gewissen Branchen zusätzlich verschärfen. Im Gespräch erklären Felix Keller, Geschäftsführer des Kantonalen Gewerbeverbands St.Gallen, und Hansjörg Brunner, Alt-Nationalrat und Präsident von Gewerbe Thurgau, was die Verbände unternehmen und was Unternehmen heute bieten müssen, um an Lehrlinge zu kommen.

Felix Keller, der Lehrlingsmangel ist für viele Branchen ein grosses Thema. Der Kantonale Gewerbeverband St.Gallen hat zusammen mit dem Amt für Berufsbildung im Frühling 2021 die Lehrstellenbörse ins Leben gerufen: Was ist das Ziel?
Das Ziel der Lehrstellenbörse ist, möglichst viele Jugendliche mit Ausbildungsbetrieben möglichst einfach online in Kontakt zu bringen. An den monatlichen Börsen sehen die Jugendlichen auf einen Klick die verschiedenen vakanten Lehrstellen in der Region.

Was für Vorteile kann dies einem Unternehmen bringen, das eine Lehrstelle besetzen möchte?
Wir arbeiten direkt mit den Oberstufen-Lehrpersonen im ganzen Kanton zusammen. Sie motivieren die Jugendlichen an den Lehrstellenbörsen eine Anschlusslösung zu finden. Da die Lehrstellen nach jeder Börse nicht mehr sichtbar sind, entstehen keine Datenleichen.

 

Felix Keller: Echt sein überzeugt nachhaltig.
Felix Keller: Echt sein überzeugt nachhaltig.

Wie sind die Erfahrungen bisher – insbesondere seitens der Betriebe?
Pro Online-Lehrstellenbörse standen den Jugendlichen rund 220 Lehrstellen zur Verfügung. Es gab jeweils ungefähr 80 Gespräche. Die Online-Lehrstellenbörse trifft den Nerv der Jugendlichen. Die Kommunikationsform passt zu ihnen. Wir haben sehr gute Rückmeldungen von Unternehmen erhalten.

Wo drückt der Schuh bei Ihren Mitgliedern punkto Lehrlingsmangel aktuell am meisten?
Wir stellen fest, dass insbesondere handwerkliche Berufe im Moment nicht sehr gefragt sind. Dazu kommt, dass aktuell die geburtenschwachen Jahrgänge auf Lehrstellensuche sind. Es sind weit mehr Lehrstellen verfügbar als es Lehrstellensuchende gibt. Die Jugendlichen haben also die Qual der Wahl. 

 

Hansjörg Brunner: Administrative Hürden vermeiden.
Hansjörg Brunner: Administrative Hürden vermeiden.

Hansjörg Brunner, wie sieht es bei Thurgauer Unternehmen punkto Lehrlingsmangel aus?
Die Situation ist je nach Branche sehr unterschiedlich. Sicher ist, die steigende Lehrabbruchquote verschärft dieses Problem zusätzlich. Es ist deshalb von grosser Bedeutung, dass die Jugendlichen im richtigen Beruf starten. Wenn Anforderungen zu hoch sind und es zu einem Lehrabbruch kommt, nützt das unter dem Strich niemandem. Wir empfehlen deshalb, den Lehrvertrag nicht zu früh, frühestens ein Jahr vor Lehrbeginn abzuschliessen. 

Wie unterstützt Gewerbe Thurgau seine Mitglieder hier konkret?
Wir organisieren seit über 10 Jahren die Berufsmesse Thurgau im September. Die Messe ist eine ideale Plattform, um den Jugendlichen sowohl eine Berufserkundung als auch eine Berufswahl zu ermöglichen. In Gehdistanz können rund 200 Berufe entdeckt, verglichen und ausprobiert werden. Die Jugendlichen haben dadurch die Möglichkeit, einen Beruf zu finden, der den Interessen, Neigungen und Fähigkeiten entspricht.

Und was bietet der Kantonale Gewerbeverband St.Gallen (KGV) seinen Mitgliedern nebst der Online-Lehrstellenbörse?
Felix Keller: Der KGV fördert innovative Projekte in den Regionen finanziell, denn die Lehrstellensuche hat einen regionalen Charakter. Ein Gewerbeverein im Linthgebiet hat beispielsweise eine Lehrstellenzeitung publiziert. In der Gewerbezeitung «Wirtschaft» im April 2022 haben wir das Schwerpunktthema «Lehrlingsmangel» aufgegriffen und dort auch Tipps zum Lehrstellenmarketing gegeben. Zudem sind wir bei der OBA – Ostschweizer Bildungsausstellung engagiert.

 

  

«Die Lehrlinge fühlen sich dort wohl, wo sie verstanden werden.»

Felix Keller

À propos Marketing: Was muss ein Lehrbetrieb heute bieten, damit er an Nachwuchs kommt?
Felix Keller: Die Lehrlinge fühlen sich dort wohl, wo sie verstanden werden. Die zwischenmenschliche Beziehung ist für sie enorm wichtig. Sie möchten, dass ihre Anliegen aufgegriffen werden; sie erwarten Verständnis, Geduld und eine gute fachliche Einarbeitung. Sie wollen vor allem ernst genommen werden, entdecken, ausprobieren und ein Teil des Erfolgs sein.
Hansjörg Brunner: Die Lehrbetriebe müssen attraktive Lehrstellen schaffen. Sie müssen in die Nachwuchsförderung investieren, sich für die Ausbildung Zeit nehmen, zeitgemässe Anstellungsbedingungen schaffen, Erwerbschancen und Aufstiegsmöglichkeiten bieten. Die Ausbildung eines Jugendlichen ist eine Investition in die Zukunft.

Was ist der Erfolgsfaktor, damit’s klappt?
Hansjörg Brunner: Der Lehrstellenmarkt ist wie Felix Keller bereits sagte, sehr regional geprägt. Lange Arbeitswege sind während der Lehre zu vermeiden, da der Abnabelungsprozess vom Elternhaus erst während der Lehrer stattfindet. Die Lehrbetriebe müssen lokal bei den Jugendlichen präsent sein. Zu grosse Hürden im Bewerbungs- und Evaluationsprozess sind ebenfalls nicht förderlich. Betriebe, die Schnupperlehren ohne administrative Hürden ermöglichen, haben in der Regel keine Sorgen, die offenen Lehrstellen zu besetzen.
Felix Keller: Wichtig ist das Miteinander! Das heisst, in die Jugendlichen investieren, an sie zu glauben, ihnen früh Verantwortung zu übertragen und ihnen klare Rahmenbedingungen geben. Nur mit dieser Haltung kommt man an künftige Fachkräfte heran. Die Unternehmen müssen sich aktiv mit den Herausforderungen der verschiedenen Generationen befassen. Das halte ich für eine ganz wichtige Voraussetzung für den gemeinsamen Erfolg.

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«Die Ausbildung eines Jugendlichen ist eine Investition in die Zukunft.»

Hansjörg Brunner

Zum Schluss: Wie wichtig sind Werbe-/Imagekampagnen, die Präsenz auf Sozialen Medien, kurz ein «cooles» Image?
Felix Keller: Sehr wichtig! Social Media ist die Sprache der Jugend. Bilder sagen mehr als tausend Worte und bewegte Bilder und Videos werden immer populärer. Snapchat ist besonders geeignet, um eine jüngere Zielgruppe zu erreichen. Insbesondere, um Informationen zum Lehrberuf oder dem Ablauf der Ausbildung zu erhalten. Die Umfrage von Lehrlingsmarketing Schweiz zeigt aber auch, dass gerade für unentschlossene Jugendliche Betriebsbesichtigungen, Informationsnachmittage und der Austausch mit Lehrlingen entscheidend sein können. «Echt sein» überzeugt nachhaltiger als ein gewollt-cooles Image.
Hansjörg Brunner: Das sehe ich genauso. Sich von coolen Werbe- und Imagekampagnen blenden oder beeinflussen zu lassen, ist der falsche Weg. Einige Branchen haben sicherlich noch Aufholbedarf, was das aktuelle Berufsbild oder Image anbelangt.

Text: Tanja Millius

Bild: 123rf, zVg

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