Wirtschaft

«Durchziehen oder zumachen?»

«Durchziehen oder zumachen?»
Der St.Galler Marc Reinhardt ist seit September 2018 Geschäftsführer von Mummenschanz. Er hat ein Executive MBA absolviert und verfügt über Erfahrung in den Bereichen Marketing und Kommunikation, Veranstaltungsmanagement, Leadership und Geschäftsführung.
Lesezeit: 6 Minuten

Die legendärste Theatergruppe der Schweiz feiert heuer ihr 50-jähriges Bestehen: Mummenschanz steht seit 1972 für zeitgenössisches Maskentheater. Ohne Worte, Musik oder Bühnenbild, nur mit Masken und Körpern vor schwarzem Hintergrund. Marc Reinhardt führt das Rheintaler KMU mit zehn Angestellten seit September 2018. Wie ist das in Altstätten beheimatete und international bekannte Kulturunternehmen wirtschaftlich durch die Corona-Krise gekommen?

Marc Reinhardt, Sie hatten Ihren neuen Job noch nicht einmal zwei Jahre und standen wegen der Corona-Pandemie plötzlich vor der vermutlich grössten Herausforderung Ihrer beruflichen Karriere. Wie war das damals für Sie?
Wir waren im März 2020 auf Tournee durch die USA, als uns die Pandemie erreichte. Täglich haben wir die Situation beurteilt. Als dann die USA die Grenzen schlossen, mussten wir eine Woche früher abbrechen. Da auch die Swiss nicht mehr in die USA fliegen konnte, musste ich die Truppe von einem Tag auf den andern auf eine amerikanische Airline umbuchen, damit wir umgehend in die Schweiz fliegen konnten. Unser Material kam erst zwei Monate später nach, da Frachtkapazitäten rar und teuer waren.

Und wie ging es weiter?
Von da an wurden sämtliche Auslandtourneen im Wochentakt abgesagt. Eine grosse Italien-Tournee, das Gastspiel in München, auf das wir Jahre hingearbeitet haben, um einen Slot zu bekommen, Auftritte in verschiedenen Städten in Deutschland und Frankreich, Corporate-Events in der Schweiz, eine Teilnahme in einer Netflix-Serie und, ganz traurig, eine mehrmonatige Tournee in China. Obwohl man in unserem Geschäft immer wieder mit Absagen rechnen muss, war die Häufung schrecklich. Damals dachte ich noch: Wenn wir im Dezember 2021 unsere 50-Jahre-Tournee starten, dann wird das alles vorbei sein …

Sämtliche Aktivitäten von Mummenschanz werden von der gleichnamigen Stiftung getragen. Wie gesund waren die Finanzen vor Corona und wie stark hat die Pandemie der Theatergruppe zugesetzt?
Mummenschanz hat finanziell gesehen wilde Zeiten erlebt. Zu Beginn hat man mit den Kollekten und Huteinnahmen von der Hand in den Mund gelebt. Später, als sich in den späten 1970ern der Erfolg einstellte, konnte man auch Geld verdienen. Aber es gab dann auch eine Zeit, wo viel Geld wieder verloren ging, weil man die Company zu wenig nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien geführt hat.

Mummenschanz war damals in den roten Zahlen?
Ja, in tiefroten. Mein Vorgänger hat die Company mit hohen Schulden übernommen und dann in acht Jahren dank einer klaren Finanzplanung, einem strikten Kostenmanagement und betriebswirtschaftlichen Strukturen wieder auf finanziell solide Beine gestellt. Ich durfte vor knapp vier Jahren ein – für den kulturellen Bereich – gesundes Unternehmen übernehmen. Als die Pandemie losging, war für uns alle, vor allem in der Kultur, nicht klar, wie wir das überstehen werden.

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«Grosse Unternehmen reduzieren ihre Kulturengagements immer mehr.»

Wie finanziert sich Mummenschanz?
Ausschliesslich über Gagen und Ticketeinnahmen. Dazu kommen kleinere Einnahmen aus Merchandising oder Lizenzen. Alle rund fünf Jahren gehen wir auf eine grosse Schweizer Tournee, wie aktuell mit der Jubiläumstournee «50 Years». In einem solchen Jahr erwirtschaften wir in der Regel einen substanziellen Gewinn. Dieser muss dann in den Folgejahren als Deckungsbeitrag für die Verluste dienen. Wir müssen pro Jahr rund 100 Auftritte spielen, um eine ausgeglichene Rechnung zu erzielen. Ich musste mich als Geschäftsführer schon etwas daran gewöhnen, dass Jahresrechnungen in der Regel mit einem grossen Minus abschliessen. Aber das ist unser Geschäftsmodell: Im Jahr eins einen Gewinn erzielen und dann vier Jahre – zusammen mit den Einnahmen der Auslandtourneen – davon leben.

Erhalten Sie auch Unterstützung von Sponsoren oder der öffentlichen Hand?
Für unsere Schweizer-Tournee haben wir Unterstützung aus dem Lotteriefonds des Kantons St.Gallen, der Rheintaler Kulturstiftung und weiteren Stiftungen erhalten. Leider konnten wir keinen kommerziellen Sponsor für die Tournee gewinnen; grosse Unternehmen reduzieren ihre Kulturengagements immer mehr. In «normalen» Jahren erhalten wir aber weder Unterstützungen und Zuwendungen von Privaten noch von der öffentlichen Hand.

Welche Kosten fallen bei einem Kulturbetrieb wie Mummenschanz an?
Der grösste Posten sind die Personalkosten. Wir beschäftigen zehn Angestellte (sieben Darsteller, zwei in der Verwaltung und einen technischen Leiter). Bei den Betriebskosten fallen Mieten, Versicherungen, IT, Telefon, unser Camion etc. an. Und in Jahren wie aktuell mit einer grossen Tournee machen die Produktionskosten einen riesigen Teil aus. Unsere Schweizer Tournee produzieren wir selbst und auf eigenes Risiko, tragen also alle Kosten für Theatermieten, Technik, Werbung, Reisekosten, Übernachtungen und Verpflegungen selbst. Dazu kommen noch die Investitionen in eine neue Show mit mehrmonatigen Proben, Masken- und Requisitenherstellung, Lichtkonzept, Herstellung von Marketing- und Werbematerialien.

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Sie funktionieren also eigentlich wie ein international agierendes KMU. Haben Sie während Corona auch finanzielle Unterstützung erhalten wie ein klassisches KMU?
Wir sind sehr dankbar, dass wir schnell und unkompliziert Unterstützung vom Kanton St.Gallen erhalten haben. Dank unserer Rechtsform sowie der Festanstellung unserer Mitarbeiter haben wir Kurzarbeitsentschädigung erhalten und konnten von der Ausfallsentschädigung für Kulturunternehmen profitieren. Dazu haben wir einen Covid-Kredit abgeholt, den wir aber bis heute aber nicht benötigt haben.

Dann hat die Unterstützung gereicht, um finanziell über die Runden zu kommen?
Ja. Dank eines rigiden Kostenmanagements, Einsparungen, der Kurzarbeit und den Ausfallentschädigungen sind wir mit einem blauen Auge davongekommen. Und da wir bereits im April 2021 mit unserer Jubiläumstournee in den Verkauf gegangen sind, konnte auch die Liquidität sichergestellt werden.

Im vergangenen Jahr waren nur vereinzelt Live-Veranstaltungen vor Publikum möglich. Konnte Mummenschanz in dieser Zeit wieder Einnahmen generieren?
Viele unserer weltweit geplanten Auftritte wurden verschoben, zum Teil mehrmals. Im März 2021 schafften wir es trotz widriger Umstände, in Monaco zu spielen. Das Forum Grimaldi war ausverkauft und das Publikum dankbar, dass es wieder Kultur zu erleben gab. Im September 2021 spielten wir in Montreux am «Septembre Musical»-Festival. Dazu gastierten wir in Bremen und Kempten. Leider waren die Kapazitäten der Theater beschränkt, aber uns war wichtig, Auftritte nicht weiter zu verschieben. Das Publikum hat es uns gedankt!

«Wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen.»

Und das nicht nur in der Schweiz und dem angrenzenden Ausland, oder?
Richtig. Der Höhepunkt war unser Gastspiel in Dammam/Saudi Arabien im November 2021. Es war ein ungewöhnliches Gefühl, nach so langer Zeit wieder zu reisen.

Trotz unklarer Zukunft haben Sie in dieser Zeit auch am Jubiläumsprogramm gearbeitet. Wie bereitet man ein solches vor, wenn unklar ist, wie und ob man es überhaupt feiern kann?
Wir waren immer optimistisch und hofften, dass sich die Situation per 2021 bessert und 2022 dann ganz vorbei sei. Für mich war immer klar, dass es fatalistisch nur den Weg nach vorne gibt.

Es gab also keinen Plan B? Beispielsweise, dass man die Tournee verschiebt?
Nein. Es gab keine anderen Optionen als durchführen oder den Betrieb schliessen. Da wir für 2023 und Folgejahre grosse Auslandspläne haben, mussten wir das neue Programm in der Schweiz lancieren. Eine Verschiebung hätte einen Rattenschwanz mit sich gebracht, der wahrscheinlich unser Ende gewesen wäre.

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«Mummenschanz hat finanziell wilde Zeiten erlebt.»

Und die Darsteller hätten Sie ohne Einnahmen vermutlich nicht noch ein weiteres Jahr beschäftigen können.
Nein. Die hätten sich neu orientiert. Zudem sind durch die verschiedenen Verschiebungen die Theater in den nächsten Jahren übervoll und ausgebucht. Es wäre unmöglich gewesen, gute Spieltage als Ersatz zu finden. Umso glücklicher bin, ich dass wir nun wie geplant auf Tournee sind und erst einmal eine Show wegen einer Coronaerkrankung absagen mussten. Der Mut zum unternehmerischen Risiko mit einem Touch Fatalismus und Optimismus hat sich gelohnt.

Unterdessen scheint sich die Pandemie langsam, aber sicher dem Ende entgegenzuneigen und seit Ende Dezember 2021 ist das Jubiläumsprogramm «50 Years» live auf der Bühne zu sehen. Neben Auftritten in der Schweiz sind auch welche in Deutschland und den USA geplant. Wie läuft der Vorverkauf?
Der Start im Dezember 2021 in Zürich war etwas harzig und unter den Erwartungen. Das Publikum war verunsichert bezüglich Situation und Massnahmen. Zudem stand die Umstellung von 3G auf 2G im Raum, die dann auch für unser Gastspiel in Genf zum Tragen kam: Wer nicht geimpft oder genesen war, konnte nicht ins Theater. Seit Jahresbeginn hat sich die Situation jedoch geändert.

Mit welchen Auswirkungen?
Wir profitieren davon, dass wir heute fast die Einzigen sind, die auf Tournee sind. Zudem entspannt sich die Lage ja bekanntlich. Wir konnten in St.Gallen und Baden mehrmals vor ausverkauftem Haus spielen, andere Spielorte werden wohl in Kürze ausverkauft sein. Bis heute haben wir über 30 000 Tickets verkauft.

Wie geht es weiter mit Mummenschanz?
Zuerst spielen wir unser Jubiläumsprogramm bis Ende Juni in der Schweiz. Es sind rund 100 Vorstellungen in 27 Orten geplant. Danach sind wir im Sommer in Köln zu Gast und gehen im zweiten Halbjahr wieder auf USA-Tournee. Von der Ostküste bis zur Westküste sind rund 30 Auftritte geplant. 2023 holen wir all das nach, was wir 20 und 21 verschieben mussten. Das sind die Tourneen in Frankreich, Italien, Spanien und Deutschland. Im zweiten halben Jahr steht dann Asien auf dem Programm, Mexiko, China, Singapur

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